Zwei ganz unterschiedliche Schwäne: „Der sterbende Schwan“ versus „Schwanensee“
Der Schwan ist vielleicht das Tier, das am häufigsten mit dem Ballett in Verbindung gebracht wird. In flauschigen weißen Tutus und rosafarbenen Spitzenschuhen gleiten die Balletttänzer und -tänzerinnen über die Bühne wie schwimmende Schwäne auf einem See. Natürlich ist der Schwan nicht die einzige vogelartige Figur im Ballett.
So gibt es den dramatischen Phönix, einen roten mythologischen Vogel in Igor Strawinskys „Der Feuervogel“. In „Dornröschen“ gibt es ein blaues Vogelpaar und eine kanariengelbe Fee, die beide in der Regel gefiederte Kostüme tragen. Als Teil ihrer Choreografie ahmen sie mit ihren Armen den Flügelschlag nach. In dem Ballett „La fille mal gardee“ von 1789 gibt es sogar einen Tanz der Hühner im Stall.
Keiner dieser Tänze hingegen ist so anmutig und lieblich wie der des Schwans, wobei es zwei tänzerische Bearbeitungen dieses Wasservogels gibt: „Schwanensee“ und „Der sterbende Schwan“.
Schwanensee
„Schwanensee“ ist eines der berühmtesten und am häufigsten aufgeführten Ballettwerke. 1877 komponierte Pjotr Iljitsch Tschaikowsky eine Partitur, deren Melodien weltweit berühmt wurden. Das Hauptthema, gespielt von einer Oboe, ahmt einen Vogelruf nach.
Der sanfte weiße Schwan, Odette, ist hier dem boshaften Schwan Odile gegenübergestellt. Außerdem gibt es einen hübschen Prinzen, Siegfried, und einen bösen Zauberer, Baron von Rothbart. Odette wurde vom bösen Rothbart in einen Schwan verwandelt. Doch Nacht für Nacht verwandeln sich Odette und ihre Schwanenmädchen wieder in Frauen – um am Tag darauf wieder in Schwanenkörper verbannt zu sein.
In der Nacht seines 21. Geburtstags geht Prinz Siegfried im Wald auf die Jagd. Dort trifft er Odette in ihrer Frauengestalt, verliebt sich in sie und lädt sie zu seinem Ball ein. Odette gesteht ihm, dass sie mit einem Fluch belegt wurde und nur dann befreit werden kann, wenn ein Mann reinen Herzens ihr seine Liebe schwört.
Rothbart erfährt davon und schickt stattdessen seine Tochter Odile, die sich als Odette verkleidet. Siegfried wird durch die List getäuscht und schwört Odile seine Liebe. Als Siegfried erkennt, dass er Odette irrtümlicherweise verraten hat, kehrt er zum See zurück und bittet sie um Vergebung. Sie verzeiht ihm, muss aber sterben, um von Rothbarts Fluch befreit zu werden. Siegfried folgt ihrem Beispiel – ihre Liebe vernichtet Rothbart und befreit die Schwanenmädchen.
Der sterbende Schwan
„Der sterbende Schwan“ ist ein vollständiges Ballett, das jedoch nur aus einem einzigen Tanz einer einzigen Ballerina besteht. Die Musik „Der Schwan“ ist aus der Suite „Der Karneval der Tiere“ von Camille Saint-Saëns entnommen. Der französische Komponist und Musikwissenschaftler Saint-Saëns war Zeitgenosse und guter Freund Tschaikowskys.
In „Der sterbende Schwan“ stellt die in ein weißes Tutu gekleidete Ballerina die letzten Momente im Leben eines Schwans dar – bevor sie sich im Tod sacht auf dem Boden zusammenfaltet. Sanfte Cellotöne erinnern an den Schwanengesang des Vogels, der zum letzten Mal singt, bevor er stirbt. Das Stück ist je nach Tempo zwischen drei und vier Minuten lang.
Anna Pawlowa wurde durch die Aufführung dieses Ballettstückes berühmt, welches der russische Choreograf Michel Fokine für sie kreiert hatte. Seit der ersten Aufführung 1905 in St. Petersburg tanzte Pawlowa diese Choreografie rund 4.000 Mal.
Auch andere Balletttänzerinnen haben dieses einzigartige Ein-Personen-Ballett aufgeführt. Die britische Ballerina Alicia Markova aus der Mitte des 20. Jahrhunderts wird am meisten mit diesem Tanz in Verbindung gebracht. Sie veranlasste Vladimir Tretchikoff dazu, den „sterbenden Schwan“ in einem Gemälde von 1949 zu verewigen.
Beide Ballettwerke haben ein ähnlich trauriges Ende. Jedoch endet in einer traditionellen Inszenierung „Schwanensee“ nicht, indem Odette ihre Flügel anmutig zusammenfaltet und auf den Boden niedersinkt. Sie stürzt sich von einem Felsvorsprung zu Tode, um durch ihr Opfer Rothbarts Bann zu brechen.
Gefiederte Anmut
„Schwanensee“ und „Der sterbende Schwan“ haben zwar eine gemeinsame Thematik. Aber in Bezug auf den technischen Schwierigkeitsgrad sind sie sehr unterschiedlich. Das Stück „Schwanensee“ ist eines der schwierigsten Ballettstücke für Primaballerinas. Es ist vier Akte lang und schauspielerisch als auch tänzerisch äußerst anspruchsvoll.
Die größte Herausforderung ist die Doppelrolle der Odette und der Odile. Die Ballerina muss zwei verschiedene Charaktere verkörpern und zwei sehr unterschiedliche Tanzstile umsetzen. Während Odette mit langsamen, kontrollierten Bewegungen traurig und verletzlich wirken soll, ist Odile unheimlich und verführerisch mit einer auffälligen Technik – einschließlich der beeindruckenden 32 Drehungen, die als Fouettés bekannt sind.
„Der sterbende Schwan“ ist eine einfache Solonummer mit nur wenigen Tanzbewegungen, die die letzten Momente im Leben eines Schwans darstellen. Der größte Teil der Choreografie besteht aus anmutigen Schritten, die über den Boden gleiten – den sogenannten Bourrées – und aus flatternden Armbewegungen.
Viele Balletttänzerinnen haben sich von der Choreografie dieses Tanzes inspirieren lassen und schwanenähnliche Bewegungen in ihre Interpretationen der Odette eingebaut. Passenderweise ist dies oft das letzte Stück, das viele Tänzerinnen im Laufe ihrer Karriere aufführen, ein wahrer Schwanengesang.
Es ist ein weitverbreiteter Irrglaube, dass die beiden Stücke miteinander verwandt seien, denn viele der im Internet veröffentlichten Videos tragen den Titel „Der sterbende Schwan“ aus „Schwanensee“. Doch obwohl das eine Stück nur vier Minuten und das andere vier Akte umfasst, sind beide wunderschöne Werke des klassischen Balletts, die Anmut, Schönheit und Tradition verkörpern.
Dieser Artikel erschien im Original auf theepochtimes.com unter dem Titel „Dancing Swans: ‘The Dying Swan’ Versus ‘Swan Lake’“. (redaktionelle Bearbeitung kms)
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