Zero Covid: „Der autoritäre Deutsche findet in der Pandemie zu sich selbst“
Der „Focus“-Kolumnist Jan Fleischhauer hat in einem Kommentar vor Kräften gewarnt, die unter dem Deckmantel des Ringens um den richtigen Weg aus der Corona-Pandemie versuchten, eine totalitäre Veränderung der Gesellschaft voranzubringen. Explizit beschreibt der Publizist die Initiative „Zero Covid“ als wesentlichen Akteur im „Kampf um eine neue Wirtschaftsordnung“.
Zudem sieht er vor allem in Deutschland ein erhöhtes Risiko, dass Bestrebungen dieser Art auf Rückhalt stoßen könnten. Immerhin zeige die Corona-Krise, dass sich der autoritäre Charakter, der Deutschen seit Gründung des Nationalstaats unter preußischer Hegemonie vielfach zugeschrieben wurde, auf der politischen Linken mindestens ebenso häufig zeigt wie rechts.
EU gar nicht befugt, eine solche Entscheidung zu treffen
Die Initiative, die unter anderem auch von „Fridays for Future“-Sprecherin Luisa Neubauer, dem linksradikalen Blogger Mario Sixtus oder der „Spiegel“-Kolumnistin Margarete Stokowski unterstützt wird, plädiert für einen „solidarischen europäischen Shutdown“.
Zwar gibt es keine europäische Instanz, die dem Inhalt der geltenden EU-Verträgen zufolge dazu legitimiert wäre, eine Notstandssituation wie jene, die durch den neuartigen Coronavirus aus Wuhan geschaffen wurde, beflügelt jedoch Stimmen, die für radikale Probleme radikale Lösungen suchen – wie beispielsweise die Aktivisten für „Zero Covid“.
Neben einem grundlegenden Übergang zentraler Souveränitätsrechte nach Brüssel – der die denklogische und juristische Voraussetzung für die Umsetzung des Konzepts wäre – wollen die Befürworter der Petition die Corona-Pandemie auch zum Anlass machen, in einem weiteren Schritt auch die wirtschaftliche Ordnung in Europa von Grund auf umzuformen.
„Zero Covid“ bringt bekannte Gemeinplätze der radikalen Linken
Die Initiatoren des Appells machen aus diesem Ansinnen auch nicht wirklich ein Geheimnis. Sie fordern: „Fabriken, Büros, Betriebe, Baustellen, Schulen müssen geschlossen und die Arbeitspflicht ausgesetzt werden.“ Diese Pause müsse „so lange dauern, bis die oben genannten Ziele erreicht sind“. Die Gewerkschaften sollten ebenfalls einen Beitrag dazu leisten, die Umsetzung dieser „erforderlichen großen und gemeinsamen Pause“ erzwingen.
Zwar gibt es keine belastbaren Daten, die beweisen würden, dass Länder mit einem dominanten staatlichen Gesundheitswesen – unter anderem Italien oder Großbritannien – besser durch die Corona-Krise gekommen wären als jene mit starkem privatem Gesundheitswesen – beispielsweise Südkorea.
Dennoch ist es nach Meinung der „Zero Covid“-Initiatoren „das Profitstreben im Gesundheits- und Pflegebereich“, das die „kollektive Gesundheit“ gefährde. Deshalb sollten bisherige Privatisierungen und Schließungen von Krankenhäusern rückgängig gemacht und deren Arbeit durch eine „solidarische Finanzierung des Bedarfs“ finanziert werden.
„Umfassende Arbeitspause“ soll solidarisch finanziert werden
Bezüglich der Entwicklung von Impfstoffen wünscht man sich gar eine globale Lösung, denn „eine globale Pandemie lässt sich nur global besiegen“. Die Impfstoffe müssten demnach „der gesamten Menschheit gehören“ und „der privaten Profiterzielung entzogen“ werden.
Alle bis dato in Westeuropa und den USA zugelassenen Corona-Impfstoffe wurden von privaten Unternehmen entwickelt. Üblicherweise ist die Entwicklung eines Impfpräparats für bestimmte Krankheiten eine Angelegenheit, die mehrere Jahrzehnte der Forschung und Tests in Anspruch nimmt.
Obwohl auch den Unterstützern von „Zero Covid“ klar ist, dass die von ihnen gewünschten Schritte die Frage aufwerfen, wovon die Betroffenen ohne eigene Möglichkeiten zur Erzielung von Einkommen leben sollen, hält man „die umfassende Arbeitspause und alle solidarischen Maßnahmen“ für „problemlos finanzierbar“.
Immerhin hätten die Gesellschaften in Europa „enormen Reichtum angehäuft“, den sich „allerdings einige wenige Vermögende angeeignet haben“. Deshalb verlangt die Initiative „die Einführung einer europaweiten COVID-Solidaritätsabgabe auf hohe Vermögen, Unternehmensgewinne, Finanztransaktionen und die höchsten Einkommen“.
„Die Verführungskraft des Radikalen nicht unterschätzen“
In seinem Kommentar für den Focus warnt Jan Fleischhauer: „Man sollte die Verführungskraft des Radikalen nicht unterschätzen.“ Die öffentliche Unterstützung eines Vorhabens, das selbst die linksgerichtete „taz“ für eine „halbtotalitäre Fantasie“ hält, ist jedenfalls im heutigen Deutschland kein Hinderungsgrund mehr für eine Einladung in den Corona-Expertenrat des Bundeskanzleramtes. So geschehen mit der Braunschweiger Genetikerin Melanie Brinkmann, die zudem als eine der Mitautorinnen des Aufrufs gilt.
Für Fleischhauer zeigt der Aufruf: „Der autoritäre Deutsche findet in der Pandemie zu sich selbst. An die Stelle des Vorschlags tritt das Kommando, an die Stelle des Arguments der Befehl.“
Dies zeige sich auch in den im Kommandoton gehaltenen Unterstützungserklärungen für die Aktion auf Twitter. Stokowski will, dass die Initiative „einfach zack sofort umgesetzt wird“. Sixtus fordert: „Macht! Die! Büros! Zu!“.
Der Epidemiologe Markus Scholz von der Universität Leipzig spricht hingegen gegenüber der „Ärztezeitung“ davon, dass das Vorhaben, die Infektionszahlen im Winter auf null zu bringen, „fast aussichtslos“ sei.
Demokratie ohne Individualrechte
Im letzten Absatz des Aufrufs heißt es, es gäbe „keinen Gegensatz zwischen Gesundheitsschutz und Pandemiebekämpfung einerseits und der Verteidigung demokratischer Rechte und des Rechtsstaats andererseits“. Demokratie ohne Gesundheitsschutz sei „sinnlos und zynisch“, Gesundheitsschutz ohne Demokratie führe „in den autoritären Staat“. Die „solidarische“ Zero-Covid-Strategie markiere „die Einheit von beidem“.
Was bei der Überlegung nicht zur Sprache kommt, ist jedoch die historische Erfahrung, dass ein Staat, der unter Berufung auf demokratische Mehrheiten, wie auch immer diese zustande gekommen sind, Individualrechte wie Eigentum oder Berufsausübung für obsolet erklärt, totalitär wird. Vielen früheren DDR-Bürgern dürfte dieser Zusammenhang noch bewusst sein. Die meisten Unterstützer des „Zero Covid“-Aufrufs kommen – ähnlich wie bei „Fridays for Future“ – jedoch aus dem westdeutschen Bildungsbürgertum der Oberschicht.
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