Werden Kants Gedanken aus seiner Friedensschrift heute noch von Politik und Gesellschaft beachtet? 

Die Kriege in der Welt, die Wehrpflicht, aber auch der Ruf nach Frieden geben genügend Gründe, Kants Äußerungen zum ewigen Frieden näher zu betrachten und mit dem gegenwärtigen Geschehen abzugleichen. 
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Kants Schriften werden vielfach zitiert, auch sein Text „Zum ewigen Frieden“. Wie finden diese jedoch Umsetzung?Foto: iStock
Von 15. Juni 2024

Am 22. April 1724 erblickte Immanuel Kant das Licht der Welt. Mit seinen drei Kritiken, „Kritik der reinen Vernunft“, „Kritik der praktischen Vernunft“ – und dem unter anderen darin entwickelten kategorischen Imperativ – sowie der „Kritik der Urteilskraft“ wurde er einer der bedeutendsten Philosophen. 

Dieses Jahr jährte sich Kants Geburtstag zum 300. Mal. Zu seinen Ehren hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD) eine Ausstellung zu Kants Schrift „Zum ewigen Frieden“ eröffnet. Im Schloss Bellevue wird nun ein halbes Jahr lang ein von Kant handgeschriebener Abschnitt aus dieser Schrift ausgestellt. 

Frieden und Würde 

Nicht nur Kants Geburtstag, auch die Kriege in der Welt, die Diskussion um die Wehrpflicht und der Ruf nach Frieden geben genügend Gründe, „Zum ewigen Frieden“ näher zu betrachten. Wie bedeutsam der Frieden ist, zeigen auch zwei Ereignisse in zeitlicher Nähe: Am 8. und 9. Mai jährte sich der Tag der Befreiung Deutschlands vom Nationalsozialismus zum 79. Mal. Und am 23. Mai wurde das Grundgesetz 75 Jahre alt.

Die Würde des Menschen, die dort im ersten Artikel erwähnt wird, ist auch aus der Auseinandersetzung mit Kant entstanden. Und weil sich die Gräueltaten des Zweiten Weltkrieges nicht wiederholen dürfen, wird dem Schutz der Würde seit 75 Jahren eine „Ewigkeitsgarantie“ zugesprochen. 

Was es laut Kant zu unterlassen gilt 

Die Schrift „Zum ewigen Frieden“ erschien 1795. Dieser Text umfasst im ersten Abschnitt sechs Artikel, weitere drei in einem zweiten Abschnitt, zwei Zusätze und einen Anhang. 

Im folgenden Text werden nur die sechs Artikel aus dem ersten Abschnitt, die sogenannten Präliminarartikel, näher betrachtet und stellenweise mit der aktuellen Situation verglichen. Diese sechs Artikel beschreiben Aktionen, die es zu unterlassen gilt. Kant versah die Artikel mit einer Überschrift und fasste sie prägnant auf wenigen Seiten zusammen. 

Der erste Präliminarartikel besagt, dass „kein Friedensschluß“ vereinbart werden soll, der das Potenzial zu einem „künftigen Kriege“ hat. Es wäre nichts anderes als „ein bloßer Waffenstillstand“, hätte aber nichts mit einem wahren Frieden gemeinsam.

Hier sei zum Beispiel an das Minsker Abkommen erinnert, das laut Angela Merkel „der Ukraine Zeit verschafft habe.“ Sofern dieses Abkommen mit der Absicht geschlossen wurde, die eigene Armee aufzubauen und später Krieg zu führen, wäre es mit Kant gesprochen tatsächlich kein Friedensschluss, sondern nur ein Waffenstillstand gewesen. 

Gefahr einer Aufrüstung 

Laut dem zweiten Artikel „soll kein für sich bestehender Staat […] von einem andern Staate […] erworben werden können“. Die Überschrift des dritten Artikels besagt in voller Länge folgendes: „Stehende Heere (miles perpetuus) sollen mit der Zeit ganz aufhören.“ Denn das Heer, allzeit verfügbar, stellt für die anderen Staaten eine bedrohliche Kulisse dar. Das führt unter den Staaten, die unter diesen Umständen offenbar den Stand eines potenziellen Feindes haben, zu einer Aufrüstung, „die keine Grenzen kennt“. 

Die Aktivierung der Wehrpflicht, die von Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) vorangetrieben wurde, steht Kants dritten Präliminarartikel entgegen. Momentan sieht es so aus, als würde Pistorius die Wehr- wie auch Dienstpflicht fallen lassen und durch Freiwilligkeit und Anreize ersetzen.

Doch er merkte bereits an, dennoch eine Dienstpflicht einzuführen, sollten sich in Zukunft zu wenige Freiwillige melden. Die erste Pflicht besteht darin, einen Musterungsfragebogen auszufüllen, später könnten „Zwangsrekrutierungen“ folgen. Er hält also weiter an seinem Ziel fest: Das deutsche Heer soll in der Zahl nicht weiter abnehmen, sondern zunehmen.

Der Bundeswehrverband will nun alle wehrfähigen Menschen in Deutschland erfassen. Und die CDU, die sich „für eine schrittweise Rückkehr zur Wehrpflicht ausgesprochen“ hat, bleibt wohl ebenfalls bei ihrer Linie. 

Die Rolle der Gesellschaft 

Die sechs Präliminarartikel erwecken den Eindruck, als würden sie nur die Politik adressieren. Doch im dritten Artikel geht Kant, wenn auch nicht direkt, ebenso auf die Rolle der Gesellschaft ein und welche diese hinsichtlich des Friedens einnehmen kann. Denn wenn Menschen „zum Töten […] oder getötet zu werden in Sold genommen“ werden, dann zeigt sich an ihnen der „Gebrauch von Menschen als bloße […] Maschinen und Werkzeuge […] in der Hand eines andern“. Kurzum: Sie werden als Objekte behandelt. 

Zwar hat es sich Pistorius zu seinem Vorhaben gesetzt, nicht nur die Bundeswehr, sondern auch die Gesellschaft „kriegstüchtig“ zu machen, doch letztendlich kommt es darauf an, ob sie mitzieht. 

Momentan sieht es eher so aus, als würden hauptsächlich die Personen für eine Wehrpflicht stimmen, die im Ernstfall nicht in den Krieg ziehen müssten. Im März dieses Jahres wurde das Ergebnis einer Forsa-Umfrage dazu veröffentlicht. Demnach spricht sich „jeder zweite für eine Wiedereinführung der Wehrpflicht“ aus. Die Überschrift klingt sehr effektvoll, doch die meisten Stimmen der Fürsprecher stammen aus dem Kreis der über 60-Jährigen. Ein ähnliches Abstimmungsverhältnis zeigte bereits eine Umfrage aus dem Januar. Mit Kant gesprochen behandeln sie ihre jungen Mitbürger, die in den Krieg ziehen sollen, demnach wie Objekte. Für ihn ist das mit seinem kategorischen Imperativ nicht vereinbar. 

Hier lässt sich eine Verbindung zu der Würde des Menschen ziehen, denn auch nach heutigen Maßstäben sollte eine Objektivierung von Menschen eigentlich nicht geschehen. Auf der Website der Bundesregierung steht unter der Überschrift des ersten Artikels des Grundgesetzes: „Ein Mensch darf nicht wie ein Gegenstand, wie ein Objekt behandelt werden.“ 

Schulden als Geldmacht 

Im vierten Artikel nimmt Kant die „Staatsschulden“ in den Fokus. Schulden, die für die Verbesserung der eigenen Infrastruktur gedacht sind, stellen kein Problem dar. Doch „ein Kreditsystem ins Unabsehliche anwachsender […] Schulden“ stellt eine Gefahr dar. Kant bezeichnet das als „eine gefährliche Geldmacht, nämlich ein Schatz zum Kriegführen“. 

Wie sehr Geldmacht und Aufrüstung zusammenhängen, lässt sich an mehreren aktuellen Beispielen gut zeigen. Die Banken sehen in der Aufrüstung „ein lukratives Geschäft“ und der Verteidigungsminister möchte „Verteidigungsausgaben von der Schuldenbremse ausnehmen“.

Außerdem wird Deutschland dieses Jahr das Zwei-Prozent-Ziel der NATO erreichen. Das heißt, zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts werden für die Verteidigung ausgegeben. Doch Pistorius will noch über die Zwei-Prozent-Marke hinaus, nennt aber keine genaue Zahl. Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) prescht nun vor und will die Marke auf drei Prozent erhöhen. 

Für die Rüstungsunternehmen stellt der aktuelle Zustand eine günstige Situation dar. Hierzu kann Pistorius konkrete Zahlen nennen: „‚Wir haben 380 Verträge mit amerikanischen Rüstungsunternehmen am Laufen‛“. Das bedeutet, dass fast ein „Viertel aus dem Sondervermögen“ der Bundeswehr nur für diese Verträge verwendet wird. Zur Erinnerung: Dieses Sondervermögen umfasst 100 Milliarden Euro. Der deutsche Konzern Rheinmetall geht davon aus, 30 Milliarden Euro von diesem Vermögen zu bekommen. 

Autonomie und ein Rest an Vertrauen 

Die Überschrift des fünften Artikels lautet: „‚Kein Staat soll sich in die Verfassung und Regierung eines andern Staats gewalttätig einmischen.‛“ So will Kant die Selbstständigkeit der Staaten bewahren.

Und der sechste und letzte Präliminarartikel besagt, dass Staaten, die sich im Krieg befinden, keine Handlungen ausführen sollten, die „das wechselseitige Zutrauen im künftigen Frieden unmöglich machen“. Wenn es gar kein Vertrauen mehr gibt, dann wird der Krieg zu einem „Ausrottungskrieg (bellum internecinum)“. 

Wie der anhaltende Frieden tatsächlich organisiert werden kann, zeigt Kant mit den drei Definitivartikeln im zweiten Abschnitt von „Zum ewigen Frieden“. 

Über den Autor:

Ronny Ebel ist Literaturwissenschaftler und im Begriff, sein Philosophie-Studium an der Humboldt-Universität Berlin abzuschließen. Er beschäftigt sich mit menschlichem Verhalten und den Auswirkungen ihres Tuns. Seinen Fokus legt er auf Verantwortung und demokratische Partizipation.

Dieser Beitrag stellt ausschließlich die Meinung des Verfassers dar. Er muss nicht zwangsläufig die Sichtweise der Epoch Times Deutschland wiedergeben.


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