Waterloo im Osten: Wie Merkel der CDU das Erbe von Helmut Kohl verspielte
Der Publizist und frühere langjährige „Handelsblatt“-Chef Gabor Steingart hat sich in seinem „Morning Briefing“ mit der Situation der CDU in den neuen Bundesländern befasst. Sein Fazit aus der Entwicklung der Partei in ihrer ehemaligen Hochburg ist ernüchternd: Wo die Union einst ihre größten Triumphe einfahren konnte, droht ihr nun das ultimative Waterloo. Er schreibt:
„Der Berliner CDU-Führung entgleitet der deutsche Osten. Erst gingen die Wähler stiften, nun auch die Funktionäre. Die ehemalige DDR entwickelt sich für die CDU immer mehr zum Feindesland.“
Damit zeichnet sich 30 Jahre nach der Wiedervereinigung eine Entwicklung ab, die zum damaligen Zeitpunkt kaum jemand für möglich gehalten hätte. Sieht man von Brandenburg ab, wo sich nach der Wende die SPD nicht zuletzt dank populärer Identifikationsfiguren wie Manfred Stolpe oder Regine Hildebrandt einen Startvorteil verschaffen konnte, waren die neuen Bundesländer diejenigen, die der Union die entscheidenden Wahlen gewannen.
Das begann 1990, als am 18. März des Jahres der damalige Kanzler Kohl in Dresden mit „Helmut, Helmut“-Rufen empfangen wurde und die Unionsparteien die erste Volkskammerwahl ohne Einheitsliste für sich entscheiden konnten. Im darauffolgenden Herbst bei den Landtagswahlen in allen wiederentstandenen neuen Bundesländern konnte sich in den meisten Ländern wieder die CDU durchsetzen.
Biedenkopf und Vogel hielten absolute Mehrheiten bis in die 2000er
Dass Kohl auch die ersten gesamtdeutschen Bundestagswahlen so triumphal für sich entscheiden konnte, lag auch nicht zuletzt daran, dass CDU und FDP im Osten ihre gemeinsame Mehrheit gegenüber den Volkskammerwahlen sogar noch ausbauen konnten.
Als die CDU-Bastionen bei Bundestagswahlen auch im Osten zu bröckeln begannen, etwa in der Ära Schröder, erzielten zumindest noch Landesfürsten wie der „Sachsenkönig“ Kurt Biedenkopf oder Bernhard Vogel und Dieter Althaus in Thüringen noch bis in die 2000er Jahre hinein absolute Mehrheiten. Die CDU hatte sich auch auf kommunaler Ebene in weiten Teilen der neuen Bundesländer eine dominante Stellung erkämpft, die sich bis heute in den Rathäusern und Stadtverwaltungen bemerkbar macht.
Auch wenn vor allem in ersten Jahren nach der Wende Westimporte eine tragende Rolle spielten, wurde die CDU zur politischen Stimme kommunaler Führungseliten und jener Bürger, für die das Ende der DDR die Chance bot, sich endlich aus eigener Kraft Lebensträume zu erfüllen, die ihnen im Sozialismus verwehrt blieben. In der CDU fand sich die Basis der Partei vor Ort – von den Wendegewinnern über die Verwaltungsbeamten bis hin zu den Wirtschaftsförderverbänden und kommunalen Einrichtungen.
Lokalmatadore bekamen die Rechnung für Merkels Politik präsentiert
Allerdings gehörten sie auch zu den Ersten, die den Unmut der Wähler über die Politik der Bundesregierung und der westdeutsch dominierten Bundesführung der CDU in Berlin zu verspüren bekamen. Auch wenn die CDU-Verbände im Osten nie für Illoyalität bekannt waren, ging es an Mitgliedern, Funktionären und langjährigen Abgeordneten nicht spurlos vorüber, dass sie sich zunehmend für die Politik in Berlin rechtfertigen mussten oder gar ihre Direktmandate an zum Teil völlig unbekannte AfD-Kandidaten verloren.
So geschehen etwa 2016 in Sachsen-Anhalts Wahlkreis Bernburg, wo der städtische Museumsdirektor und einflussreiche CDU-Lokalmatador Jürgen Weigelt nach zwei Wahlperioden sein Erststimmenmandat an die – später aus der Fraktion ausgetretene – Sarah Sauermann verlor, obwohl diese nicht einmal über einen Wohnsitz im Stimmkreis verfügte.
Seit der Bundestagwahl 1990 hat die CDU in Ostdeutschland mehr als 14 Prozent an Stimmenanteilen verloren. In Thüringen wanderten auf Landesebene zuletzt 36 000 Stimmen zur AfD, in Sachsen 84 000. In vielen Regionen hat die Rechtspartei die Union in der Wählergunst bereits überholt. Gabor Steingart weist darauf hin, dass mittlerweile 118 von 455 Landtagsabgeordneten in den Landtagen der neuen Bundesländer der AfD angehören.
„Der Misserfolg der CDU vor Ort nährt eine Stimmung, die sich zunehmend gegen den Modernisierungskurs von Angela Merkel richtet“, schreibt der Publizist weiter. „Ihr Diktum – keine Kooperation mit Links wie Rechts – erfreut sich wachsender Unbeliebtheit.“
„Die Lebensrealität beachten“
Abgesehen davon, dass sich einige Wähler und Funktionäre im Osten offenbar noch daran erinnern können, dass in der Ära Helmut Kohl die Abgrenzung nach links auch noch für die Grünen gegolten hatte, sind einige CDU-Politiker im Osten der Überzeugung, dass sich ungeliebte Realitäten nicht durch dogmatische Diktate von oben aus der Welt schaffen lassen.
Dies gilt mit Blick auf die Linkspartei, die schon in den 1990er Jahren in ostdeutschen Kommunen und Ländern schnell wieder Fuß fassen konnte, wie auch hinsichtlich der AfD, wo sich mittlerweile viele Menschen zusammengefunden haben, die vor 30 Jahren noch aus innerer Überzeugung Helmut Kohl und Hans-Dietrich Genscher zugejubelt hatten.
Brandenburgs Ex-Spitzenkandidat Ingo Senftleben, der bereits im Wahlkampf einen strikten Abgrenzungskurs infrage gestellt hatte, wiederholte erst jüngst gegenüber dem Deutschlandfunk seine Einschätzung, bezüglich der Linkspartei bilde ein striktes Nein „nicht die Lebensrealität ab“.
Im ZDF erklärte der Vize-Fraktionschef der CDU im Landtag von Sachsen-Anhalt, Lars-Jörn Zimmer, ein Tolerierungsmodell, wonach sich eine CDU-geführte Regierung von der AfD stützen lassen würde, als „absolut denkbar“. An die Adresse von CSU-Chef Markus Söder gerichtet sagte er:
„Kommt aus eurem Elfenbeinturm in Berlin oder München mal raus. Ich kann keine 25 Prozent der Wähler vor den Kopf stoßen und sagen: Mit euren Vertretern rede ich nicht, was ihr wollt, was ihr sagt, ist mir egal.“
Retourkutsche aus Thüringen: Christian Hirte soll CDU-Landeschef werden
Die jüngsten Umfragezahlen sehen die AfD in Sachsen-Anhalt mit 25 Prozent als stärkste Partei, zudem würde sie nach derzeitigem Stand mehr Erststimmenwahlkreise gewinnen als alle anderen Parteien zusammen.
Auch in Thüringens CDU hat man das Vorgehen Angela Merkels nach der Ministerpräsidentenwahl in der Vorwoche nicht ad acta gelegt. Fraktionsvize Michael Heym fühlte sich „an tiefste DDR-Zeiten erinnert“ und berichtet, dass Leute, die vor 30 Jahren für die Demokratie auf die Straße gegangen seien, sich nun „angewidert von den etablierten Parteien“ fühlen. Nun will man den von Merkel persönlich aus dem Amt gedrängten Ost-Beauftragten Christian Hirte zum neuen Landeschef machen. Sein „Delikt“: Er hatte dem mit Mehrheit im Landtag gewählten FDP-Kandidaten Thomas Kemmerich zu seiner Wahl zum Ministerpräsidenten beglückwünscht.
Gabor Steingart sieht in der Spaltung der Union „nur das Abbild des gesellschaftlichen Auseinanderdriftens zwischen Ost und West. Es kommt zu immer neuen Abstoßungsreaktionen.“
In den neuen Bundesländern, wo man sich die Demokratie selbst erkämpfen musste, will man sich diese nicht länger von Westdeutschen erklären lassen, denen sie vor mehr als 70 Jahren die Amerikaner geschenkt hatten. Entsprechend stößt die Führung in Berlin zunehmend auf Reaktanz:
„Jede neue Depesche aus Berlin, jeder neue Ukas aus dem Mund der Kanzlerin, jede weitere Entlassungsurkunde eines Ostlers wird zum Fanal eines grimmigen Widerstandes. […] Die westliche McKinsey-Gesellschaft mit ihrem Hang zur Selbstbeschleunigung und die Konformität der Nonkonformisten wird mit der gleichen Inbrunst abgelehnt wie die westdeutsche Besatzungsmacht der sogenannten Volksparteien.“
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