Was ist von Trump zu erwarten?
Die Pariser Kathedrale Notre Dame de Paris strahlt innen und außen dank Spezialreinigung aller Oberflächen so hell, wie seit Jahrhunderten nicht. Ihr Leuchten nach dem Brand im April 2019 steht im Gegensatz zur Finsternis der weltpolitischen Lage. Mit einer Ausnahme. Am Tag ihrer Wiedereröffnung fiel das Assad-Regime in Syrien. Geht von dieser Kathedrale womöglich eine Symbolik aus, die die politische Dunkelheit überwinden kann?
Historisch einzigartig
Diesen Eindruck konnte man zumindest am Samstag gewinnen, als der französische Staatspräsident Emmanuel Macron hochrangige Repräsentanten vieler Staaten in die wiederaufgebaute „Kirche der Nation“ – Notre Dame gehört dem französischen Staat – einlud. Darunter aus französischer Sicht als höchsten „Staatsgast“ Donald Trump. Typisch für Trump: Er ist noch gar nicht im Amt, tritt aber schon so auf, als sei er amerikanischer Präsident. Denn schließlich behandelte Macron ihn auch so. In der amerikanischen Geschichte einzigartig! Demzufolge fehlte der eigentliche US-Präsident Joe Biden.
Größte Überraschung war indes ein politischer Coup Macrons: Am Rande der Feierlichkeiten brachte der französische Präsident Donald Trump mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj zusammen. Noch vor den Feierlichkeiten gab es am Präsidentensitz, dem Élysée-Palast, ein Dreiertreffen, bei dem über einen Friedensplan für die Ukraine gesprochen wurde. Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz war nicht dabei. Er war gar nicht erst eingeladen. Offizielle Begründung des Élysée-Palasts: Es seien nur Staatsoberhäupter eingeladen worden [was nicht stimmte]. Aus Deutschland sei dies Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier.
Trump für Ukraine bereits in Aktion
Deutschland ist für die Ukraine nach den USA der größte Zahler und Unterstützer im militärischen Bereich. Frankreich dagegen liegt auf dem neunten Platz, nach den Niederlanden und Schweden. Deshalb hätte Scholz sehr wohl im Élysée-Palast mitreden müssen.
Doch dieses Ausmanövrieren der Bundesregierung unter Verweis auf Steinmeier, der politisch nichts zu sagen hat, dürfte auch Donald Trump entgegengekommen sein. Sobald es zu Friedensverhandlungen zwischen der Ukraine und Russland kommt, ist es in seinem Interesse, das Ansehen als Friedensbringer mit möglichst wenigen teilen zu müssen.
Dass Trump durch Macron sechs Wochen vor seiner Amtsübernahme in Washington bereits wie der tatsächliche amerikanische Präsident behandelt wurde, kann durchaus stellvertretend für viele Staaten gesehen werden. Die ganze Welt blickt seit der Wahl am 5. November gespannt auf den neuen „Alten“. Die Erwartungen an Trump sind hoch. Weil er solche Erwartungen während seines langen Wahlkampfs geweckt und geschürt hat. Was also ist von Trump wirklich zu erwarten?
Wird Trump die USA abschotten?
Die USA strahlen nicht mehr das Image des weltweiten Leuchtturms für Freiheit, Wohlstand und Stärke aus, das sie noch in den Neunziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts einnahmen. Wie die jüngste Wahl drastisch offenbarte, ist die amerikanische Nation tief gespalten und von einem Gefühl der Ernüchterung erfasst. Inmitten steigender Inflation, politischer Lähmung und des stetigen Rückzugs vom globalen Einfluss in den vergangenen vier Jahren taucht überraschend erneut Donald Trump als „Symbol des Widerstands“ auf, wie etwa das US-Onlinemagazin „Fair Observer“ festzustellen glaubt. Trump verspricht eine Rückkehr zu Stärke und Erneuerung Amerikas, während er gleichzeitig ankündigt, Amerika aus den globalen Verstrickungen zu lösen, also ein Stück weit eine Rückkehr zur „splendid isolation“ (Isolationismus), wie letztmalig in den 1930er-Jahren von Präsident Franklin Delano Roosevelt praktiziert.
Um dies zu erreichen, will er die halbe Welt mit Einfuhrzöllen belegen. Bei vielen Industrie-Bossen und der Arbeiterschaft kommen solche Pläne gut an. Bleibt die Frage, ob sich die mächtigste Volkswirtschaft der Welt wirklich aus der von ihr initiierten Globalisierung zurückziehen kann, ohne selbst ernsthaften Schaden zu nehmen. Trump wird solche Schritte zumindest versuchen. Er lässt es darauf ankommen. Er ist konfrontationsbereit. Er will für seine heimischen Wähler „liefern“. Vor allem starke Wirtschaftsnationen neigen immer wieder dazu, Wirtschaftskriege vom Zaun zu brechen und diese politisch als ganz normalen Wettbewerb zu verkaufen. Doch die Geschichte zeigt, dass Handelskriege in der Regel nur Verlierer hervorbringen. Ein Beispiel:
USA mit Handelskrieg schon mal gescheitert
Präsident Herbert Hoover erließ im Juni 1930 eine protektionistische Zollpolitik mit bis zu 60 Prozent Zoll auf die Einfuhr ausländischer Waren. Damit sollte die amerikanische Wirtschaft geschützt werden. Daraufhin erhöhten viele Staaten ebenfalls Zölle auf amerikanische Waren. Spanien etwa verteuerte die Einfuhr von amerikanischen Gütern um bis zu 700 Prozent. Als Folge brach der Welthandel so massiv ein, dass ganze Industriezweige ruiniert wurden. Daraufhin senkten die USA 1934 ihre Zölle wieder und schlossen Handelsverträge ab, die 1947 zum „Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen“ (GATT) führten. Dieses Übereinkommen trägt seither mal mehr, mal weniger dazu bei, einen fairen Welthandel zu garantieren. Trumps Ankündigungen lassen indes vermuten, dass er das GATT aufkündigen möchte.
Was Trumps Wähler erwarten
Auch um die ideologischen und sozialen Brüche im In- und Ausland zu heilen oder genauer gesagt, zu beheben, ist mehr gefragt als Wahlkampfsprüche. Jetzt naht für Donald Trump die Stunde der Wahrheit. In der Wahrnehmung vieler Amerikaner, vielleicht sogar der Mehrheit, werden in Washington Gesetze und Richtlinien entworfen, werden die Geschicke des Landes beschlossen, die für die einfachen Amerikaner weit weg erscheinen. Für viele ist die Washingtoner Politik sehr abstrakt.
In Kentucky etwa gibt es Familien, die sich unter der Last der Inflation wie erdrückt fühlen und deren Gehälter kaum mehr zum Überleben ausreichen. In Wisconsin wird über verlorene Industriezweige geklagt. Die Herstellung vieler Güter ist nach China abgeflossen. Das Leben der Menschen scheint durch Entscheidungen, die in Washington gefällt wurden und damit außerhalb ihrer Reichweite liegen, fundamental zu ihren Ungunsten verändert worden zu sein. Für diese Amerikaner ist Washington wie ein Mythos – eine Stadt aus Marmorhallen, „die in Plattitüden spricht“, so die Äußerungen in den lokalen Medien.
Und nun versprechen sich diese zu kurz Gebliebenen vom ehemaligen und künftigen Präsidenten Donald Trump wieder eine Rückkehr zur verklärten „guten alten Zeit“ – unabhängig davon, ob es diese je gegeben hat – oder zumindest eine Erneuerung amerikanischer Träume von Wohlstand und Stärke der Nation. Deshalb kam es auch zu den Erdrutschsiegen in sieben Swing States. Die Mehrheit der Amerikaner erwartet Maßnahmen statt Versprechungen. Damit liegt auf Trump eine große Last – und Verantwortung.
Schwindender Einfluss der USA
Schließlich die bisherige Außenpolitik: Auch diese bewirkt bei vielen Amerikanern das Gefühl der Hilflosigkeit: Desaster in Afghanistan und nirgendwo eine Krise in der Welt, die Amerika beheben könnte. Der schwindende Einfluss der USA ist tatsächlich weltweit spür- und sichtbar. Stattdessen hat das kommunistische Regime in China die Gelegenheit genutzt, seinen Einfluss überall auszuweiten und jene Lücken bereits gefüllt, die Amerikas außenpolitisches Zaudern hinterlassen hat.
In transatlantischen Kreisen wird zunehmend beklagt, dass Allianzen, die mit Amerika eingegangen wurden, inzwischen unsicher erscheinen. Sind die USA noch ein verlässlicher Partner? Auch in Asien, etwa auf den Philippinen und in Südkorea, wird über eine steigende Unberechenbarkeit der USA geklagt. Es macht sich Ernüchterung breit: hehre Versprechen der amerikanischen Regierung bleiben hinter ihren Taten zurück.
Trump hingegen hat sich nun als „Mann für den Frieden“ positioniert. Dies passt zum klassischen Selbstverständnis der Amerikaner: Sie sorgten für Frieden im Ersten und im Zweiten Weltkrieg und in Korea. Mit hohen Opfern. Die folgenden Kriege indes gingen schief: Vietnam, Afghanistan, Irak. Die Mehrheit der Amerikaner will sich nicht mehr in scheinbar endlose Kriege verwickeln lassen. Einerseits. Andererseits wird aber von den Wählern erwartet, dass die USA Weltmacht Nummer Eins bleiben. Wie Trump, der versprochen hat, Amerika wieder „great“ zu machen, diesen Spagat schaffen will, kann nur gemutmaßt werden. Seine ersten beiden Herausforderungen in dieser Hinsicht sind die Ukraine und der Nahe Osten. Das sind außenpolitische Minenfelder, an denen schon Größen wie Henry Kissinger gescheitert sind.
Die Brüche in der amerikanischen Gesellschaft und die Verstrickungen im Ausland erfordern mehr als Slogans – sie erfordern eine Vision, die von Washington aus schon lange nicht mehr formuliert und gelebt wurde. John F. Kennedy hatte bei seinem Amtsantritt eine Vision für die jungen Amerikaner, die lange Bestand hielt: „Frage nicht, was dein Land für dich tun kann – frage, was du für dein Land tun kannst.“ Donald Trump war damals fünfzehn Jahre alt. Vielleicht ist er in der Lage, ab 20. Januar 2025 etwas für sein Land zu tun. Da alle US-Präsidenten auch die Geschicke der Welt bestimmen, wäre alles Gute, das er für die USA tut, auch gut für die Welt. Dafür bedarf es allerdings nicht nur den „starken Mann“, sondern auch Demut.
Über den Autor:
Tom Goeller ist Journalist, Amerikanist und Politologe. Als Korrespondent hat er in Washington, D.C., und in Berlin gearbeitet, unter anderem für die amerikanische Hauptstadtzeitung „The Washington Times“. Seit April 2024 schreibt er unter anderem für die Epoch Times.
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