Warum Baerbock mit Islamisten spricht: Neue Allianzen und alte Bedrohungen

Ein muslimischer Attentäter hat in der Neujahrsnacht in New Orleans mit einem Fahrzeug und einer Schusswaffe ein Massaker unter feiernden Menschen angerichtet. Im Namen des Islamischen Staates (IS). Doch Ende 2017 galt der IS als besiegt. Warum also ist die Organisation nach wie vor in der Lage, Attentate zu verüben: im Nahen Osten und im Westen?
Ausgestreckte Hand nur für den männlichen Minister: Rebellenchef al-Scharaa.
Ausgestreckte Hand nur für den männlichen Minister: Rebellenchef al-Scharaa.Foto: Jörg Blank/dpa
Von 4. Januar 2025

Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) und ihr französischer Amtskollege Jean-Noël Barrot sind am Freitag, 03.01. nach Syrien gereist. Beide wollen die neuen Machthaber kennenlernen. An ihrer Spitze steht der Anführer der islamistischen Miliz „Hajat Tahrir al-Schams“ (HTS), Ahmed al-Scharaa. Die beiden europäischen Spitzenpolitiker machen damit die in Deutschland als Terrororganisation eingestufte HTS hoffähig. Wenn der neue starke Mann Syriens indes nach Deutschland käme, müsste er sofort verhaftet werden.

Die HTS, einst sowohl Partner von Bin-Ladens Terrornetzwerk Al-Qaida als auch des IS, vertritt letztendlich die gleiche salafistisch-jihadistische Ideologie wie der IS. Mit dem früheren syrischen Diktator Assad, der islamistische Terrororganisationen bekämpfte, sprach niemand aus dem Westen. Die jetzt in Damaskus herrschenden Islamisten hingegen gelten plötzlich als angemessene Gesprächspartner. Warum dieser Unterschied?

Außenministerin Annalena Baerbock spricht sich bei einer Pressekonferenz in Damaskus gegen eine Rückkehr zu extremistischen Herrschaftsstrukturen in Syrien aus. Foto: Anwar Amro/afp via Getty Images

Unterschied zwischen Assad und HTS

Bashar Al-Assad bekämpfte nicht nur Terroristen, sondern sein eigenes Volk, unter anderem mit Giftgas. Er errichtete eine Schreckensherrschaft vergleichbar zu der von Saddam Hussein im Nachbarstaat Irak. Das gesamte Ausmaß der Brutalität des Assad-Regimes kommt jetzt erst nach und nach ans Tageslicht. HTS hingegen begreift sich selbst als Befreiungsorganisation, hat aber im Laufe ihres Bestehens ebenfalls die Bevölkerung in ihrem Herrschaftsbereich drangsaliert, zahlreiche Morde begangen und bleibt bislang bezüglich ihrer letztendlichen Ziele unberechenbar.

Allerdings hat HTS nach der Abkehr von Al-Qaida und dem IS erreichen können, von dem NATO-Mitglied Türkei in Nord-Syrien als Partner ernstgenommen zu werden. Ankara stattete HTS militärisch und finanziell aus. Als Gegenleistung bekämpfte HTS weiterhin das Assad-Regime sowie die kurdischen Enklaven im Norden Syriens. Weil HTS also in den vergangenen vier Jahren mit einem NATO-Staat paktierte, gelang es der Miliz, sich ein Image zu erwerben, das besagt, diese Islamisten seien „weniger schlimm“ als Assad.

Was bezweckt Baerbock in Damaskus?

Ob dies wirklich so ist, davon wollen sich die beiden europäischen Außenminister nun überzeugen. Folglich reiste Ministerin Baerbock mit einer Liste an Forderungen nach Damaskus. Doch bei einer Annäherung an die bisherigen Jihadisten kann es nicht nur darum gehen, wann in Syrien Demokratie eingeführt wird und ob alle religiösen und ethnischen Minderheiten Schutz genießen.

Die Bedrohung Europas, allen voran Deutschlands, durch das Wiedererstarken der Zellen des einstigen Islamischen Staates ist massiv. Frankreich und Deutschland müssen daher den neuen Spitzenmann Ahmed al-Scharaa, der nun im Anzug auftritt, auch fragen, ob und wie er bereit ist, seine einstigen IS-Glaubensbrüder und Waffengefährten zu bekämpfen und als Organisation auszulöschen. Ob Baerbock und Barrot dieses Thema zur Sprache bringen, wurde aus den Pressemitteilungen beider Ministerien nicht deutlich.

Die IS-Attentate in Deutschland im vergangenen Jahr und nun das jüngste in den USA berühren indes die Bürger beider Staaten unmittelbar. Es geht um die innere Sicherheit westlicher Staaten. Wenn mit Machthabern in Syrien gesprochen und verhandelt wird, dann muss auch der IS ein Thema sein.

Frankreichs Außenminister Jean-Noël Barrot und die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock besuchten am 3. Januar 2025 das Saydnaya-Gefängnis nördlich von Damaskus. Foto: Anwar Amro/afp via Getty Images Images

Wo befinden sich IS-Zellen?

Während nach dem IS-Attentat in New Orleans in zahlreichen amerikanischen Medien Erstaunen darüber zu erkennen war, dass es den scheinbar seit mehr als sechs Jahren besiegten IS immer noch gebe, weiß das amerikanische Militär ganz genau, dass in den östlichen Wüstengebieten Syriens und in der Anbar-Wüste des Irak zahlreiche IS-Zellen überlebt haben.

Deshalb unterhalten die USA dort große Militärbasen. Ihr Hauptstützpunkt in Syrien liegt in der Nähe von Al-Tanf, einem Grenzort im Dreiländereck Syrien, Irak und Jordanien. Wie erst kürzlich bekannt wurde, sind in Syrien die bisher 900 US-Soldaten auf 2.000 Mann aufgestockt worden. Außerdem besteht für die USA die Möglichkeit, für Spezialoperationen auf US-Streitkräfte zurückzugreifen, die im benachbarten Irak stationiert sind.

Wie konnte IS überleben?

Jene IS-Mitglieder, denen es gelang, sich vor dem Zugriff der irakischen und kurdischen Truppen in den unzugänglichen Gebieten zu verstecken, genießen oftmals Unterstützung durch die einheimische Bevölkerung, aus der die IS-Mitglieder stammen. Oder sie terrorisieren kleine Dörfer, um die Einwohner zur Kollaboration mit dem IS zu zwingen.

Die unübersichtliche Lage nach dem Sturz des langjährigen Diktators Assad nährt nun die Befürchtung, dass sich der IS insbesondere in Syrien neu aufstellen und damit eine neue Anziehungskraft unter unzufriedenen arabischen Jugendlichen in der gesamten Region sowie in Westeuropa ausüben könnte.

Aufgaben Deutschlands in Syrien und im Irak

Deutschland beteiligt sich mit einem Bundeswehrkontingent seit 2015 im Nord-Irak an dem internationalen Anti-IS-Einsatz und will zur Stabilisierung der Region beitragen. Doch das Kontingent besteht lediglich aus etwa 80 Soldaten und sieht seine Aufgabe darin, die irakischen Kurden militärisch zu beraten. Die eigentliche militärische Bekämpfung des Rest-IS hat Deutschland seit Ende 2017 den Amerikanern sowie irakischen Streitkräften überlassen. In Syrien hat sich Deutschland nicht engagiert.

Aufgrund des Wiedererstarkens des IS müsste im Bundesverteidigungsministerium indes ein Umdenken stattfinden. Wenn die derzeitige und wohl auch die künftige Bundesregierung in Syrien ernsthaft dazu beitragen will, die Region zu „stabilisieren“, bedürfte es der Entsendung von Kampftruppen und nicht nur Beratern. Wer in Berlin, Solingen und anderen deutschen Städten IS-Attentate verhindern will, muss der bitteren Wahrheit ins Auge sehen, dass das Übel bei der Wurzel angepackt werden muss. Und dann eben auch den langen Weg bis zum Ende gehen, damit sich keine „Zellen“ mehr irgendwo in Wüsten verstecken.

Dass dieser Schritt nicht ausreichen wird, ist selbstredend. Aber die Entsendung von deutschen Spezialeinheiten – davon hat die Bundeswehr einige – sollte Teil eines Gesamtkonzeptes sein, worüber die Bevölkerung aufgeklärt werden sollte.

Die fragwürdige Einzeltäterthese

Bisher wurde bei den IS-Attentaten in Deutschland – und sogar jetzt auch wieder bei dem Attentat in New Orleans – die Einzeltäterthese vertreten. Diese besagt, eine Person muslimischen Glaubens, die in einem westlichen Staat lebt, radikalisiert sich ohne fremde Einwirkung so weit, dass sie bereit ist, im Namen des IS möglichst viele Menschen zu töten, meist im Umfeld eines besonderen Ereignisses.

Dies geschehe, so die These, weil die Attentäter in ihrem persönlichen Umfeld Ablehnung oder sozialen Abstieg erlebt hätten und aus Zorn auf „die Gesellschaft“ eine Art Rachetod herbeiführen möchten. Um ihrer Tat die größtmögliche Aufmerksamkeit zu verleihen, würden sie diese mit einer vermeintlichen Zugehörigkeit zum IS gewissermaßen „überhöhen“. Hintermänner sind laut dieser Annahme nicht involviert.

Diese von zahlreichen Islam-Experten vertretene These unterschlägt jedoch, dass es in westlichen Staaten ein zunehmendes Umfeld gibt, das eine solche islamistische Radikalisierung begünstigt oder gar gutheißt. Dieses Umfeld gilt es ebenso zu bekämpfen wie die IS-Verstecke in den Wüsten Syriens und des Irak. Dazu bedarf es einer Abkehr in unserer Gesellschaft – etwa auch an Universitäten – von den bisherigen Toleranzspielräumen für islamistisches Gedankengut.

Das ist leichter gesagt als getan. Ein Umdenken auf allen politischen und gesellschaftlichen Ebenen wird Zeit in Anspruch nehmen. Eine Alternative dazu aber gibt es nicht. Denn islamistischer Terror kann jeden treffen – auch Muslime, wie im Nahen Osten besonders deutlich geworden ist.

Dieser Beitrag stellt ausschließlich die Meinung des Verfassers dar. Er muss nicht zwangsläufig die Sichtweise der Epoch Times Deutschland wiedergeben.


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