Vom Kapitalismuskritiker zum NATO-Fan: Olaf Scholz

Friedrich Merz, Olaf Scholz, Alice Weidel und Robert Habeck: Diese vier Politiker haben ihre Ambitionen auf das Kanzleramt öffentlich gemacht. Für welche Politik stehen sie eigentlich? In Teil 1 unserer kleinen Serie geht es um Olaf Scholz (SPD).
Titelbild
Olaf Scholz will erneut deutscher Bundeskanzler werden.Foto: Maryam Majd/Getty Images
Von 8. Januar 2025

Vier offizielle Kandidaten ringen bis zum 23. Februar 2025 um die Ehre, als zehnter Bundeskanzler nach 1949 Deutschland in eine bessere Zukunft führen zu dürfen. Den Umfragen der vergangenen Monate zufolge besitzt der Unionskandidat Friedrich Merz die größten Chancen: Sein Bündnis aus CDU und CSU versammelt mit konstant über 30 Prozent in der Sonntagsfrage die mit Abstand meisten potenziellen Stimmen hinter sich.

Doch auch noch-Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hofft trotz des großen Abstands von derzeit rund 15 Prozentpunkten und trotz des vorzeitigen Endes seiner Regierung auf eine Wiederwahl. Der Posten eines Vizekanzlers unter Merz käme für den 66-Jährigen nach eigener Aussage nicht infrage.

An der Seite der Ukraine „so lange wie nötig“

Scholz hatte im Rahmen seiner „Zeitenwende“-Rede nur wenige Monate nach Amtsantritt im Februar 2022 der Ukraine die Unterstützung der deutschen Regierung zugesagt und sich für eine starke NATO ausgesprochen. Doch während es manchen seiner grünen und gelben Partner nicht schnell genug gehen konnte, mehr Geld und Waffen nach Kiew zu schicken, ließ sich Scholz in der Regel Zeit, bevor er sukzessive immer schlagkräftigeres Gerät freigab. „Slava Ukraini“ (Ruhm der Ukraine) und „for as long as it takes“ (so lange wie nötig) lauteten seine öfter zum Ende einer Rede oder in X-Botschaften geäußerten Bekenntnisse. „Einen russischen Diktatfrieden zulasten der Ukraine werden wir nicht akzeptieren“, heißt es im aktuellen SPD-Wahlprogramm.

Die rote Linie für sein Ukraine-Engagement sieht Scholz dort, wo Deutschland die Gefahr drohen könnte, Kriegspartei zu werden. Das wäre auch nach Einschätzung der SPD dann der Fall, wenn der Noch-Kanzler dem aktuellen Drängen der Union, der FDP und der Grünen auf Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern nachgeben würde.

Demonstranten, denen die Freigabe von allerlei anderem Kriegsgerät schon zu viel war, hatte Scholz bei einem Wahlkampfauftritt in München im August 2023 entgegengehalten, sie seien „gefallene Engel, die aus der Hölle kommen“ – gemessen an seinem sonst meist ruhigen Tonfall ein seltener Moment der Unbeherrschtheit.

Falls Scholz Kanzler bleiben würde, ist von einer dauerhaften Verstärkung der deutschen Streitkräfte auszugehen. Die SPD werde sich weiter für eine „nachhaltige Verteidigungsfinanzierung von mindestens zwei Prozent des Bruttoinlandsproduktes“ einsetzen, wie ihrem Wahlprogramm zu entnehmen ist. Das Geld solle unter anderem in einen flexiblen Wehrdienst auf freiwilliger Basis, in den Ausbau Deutschlands als „zentrale Drehscheibe für die Logistik“ in Diensten der NATO und in den Aufbau der Brigade Litauen fließen. Laut Wahlprogramm steht die SPD auch künftigen Auslandseinsätzen und einer europäischen Verteidigungsunion positiv gegenüber.

Kritik wegen Juso- und Cum-Ex-Vergangenheit

Dass Scholz sich überhaupt einmal als Verfechter der NATO entpuppen würde, war in seinen jungen Jahren als Zivildienstleistender, als stellvertretender Bundesvorsitzender der Jusos (1982–1988) und als Anhänger des marxistischen Stamokap-Flügels der Juso-Hochschulgruppen nicht abzusehen.

In jener Zeit unterhielt er enge Kontakte zu DDR-Funktionären, kritisierte die „aggressiv-imperialistische NATO“ und protestierte gegen deren Vorhaben, in Westeuropa neue Mittelstreckenraketen zu stationieren. Scholz warb in jenen Jahren auch für die „Überwindung der kapitalistischen Ökonomie“. Später aber habe er sich von derartigen Ansichten distanziert: „Das Gute ist, dass ich fast alle Irrtümer einmal gemacht habe. Die habe ich hinter mir“, antwortete Scholz in dem für ihn typischen Stil.

Aus Scholz‘ Zeit als Erster Bürgermeister von Hamburg (2011–2018) blieben neben dem aus dem Ruder gelaufenen G20-Gipfel im Jahr 2017 und dem Cum-Ex-Skandal eine Reihe von teuren Prestigeprojekten im Gedächtnis: In seine Amtszeit fielen die Vollendung der Elbphilharmonie, die Einführung einer gebührenfreien Kinderbetreuung und mehr Geld für den Wohnungsbau in der Hansestadt.

Migrationskrise ungelöst

Nach fast zwei Jahren als Kanzler kündigte Scholz im Oktober 2023 eine Wende in der Migrationspolitik an. Er erklärte „endlich im großen Stil“ jene Menschen abzuschieben, „die kein Recht haben, in Deutschland zu bleiben“. Doch bis heute konnten Scholz und seine Koalitionspartner sich auf keinen Weg einigen.

Scholz selbst hatte einschlägigen Forderungen zuvor und auch danach zumeist entgegengehalten, dass die Wirtschaft auf Einwanderung angewiesen sei. Im aktuellen Wahlkampf setzt die SPD nun wieder auf „rasche wie konsequente Abschiebungen“, insbesondere von Straftätern.

Als der syrische Präsident Baschar al-Assad Anfang Dezember 2024 nach fast 14 Jahren Bürgerkrieg gestürzt wurde, lehnte Scholz schnelle Rückführungen von Syrern aber ab: Zuvor sei für eine „rechtlich sichere Lebensweise“ und auf das Entstehen einer Demokratie vor Ort zu sorgen.

Reiche zur Kasse bitten, Schuldenbremse „moderat“ reformieren

In der Arbeits-, Sozial- und Finanzpolitik unterstützt Scholz seit jeher den SPD-Ansatz, starke Schultern auch stärker zu belasten. Das zeigt sich unter anderem in seinem Eintreten für einen höheren Mindeststundenlohn in Höhe von 15 Euro für Arbeitnehmer, für die Besteuerung von Vermögen, Erbschaften, Immobiliengewinnen und Finanztransaktionen, für eine weltweite Mindeststeuer für international tätige Unternehmen in Höhe von mindestens 15 Prozent und für Steuerentlastungen für 95 Prozent der Bürger.

Um seine aktuellen Investitionsziele auf Bundesebene zu erreichen, würde er eine „moderate Reform“ der grundgesetzlich vorgeschriebenen Begrenzung von Staatskrediten in Kauf nehmen und einen neuen 100-Milliarden-Euro-Fonds einrichten.

Wie ernst es Scholz damit zu sein scheint, zeigt der Ampel-Bruch vom 6. November 2024: Damals entließ der Kanzler den FDP-Finanzminister und Schuldenbremse-Verfechter Christian Lindner (FDP), um ihn tags darauf durch den SPD-Staatssekretär und Schuldenbremsen-Kritiker Jörg Kukies zu ersetzen.

Im „Deutschlandfunk Kultur“ mit der hypothetischen Frage konfrontiert, was er im Fall einer erneuten Kanzlerschaft ändern würde, antwortete Scholz mit Blick auf die Differenzen innerhalb der Ampel: „Die Klarheit herstellen, dass es bestimmte Dinge gibt, über die die Regierung entweder weitermacht oder aufhört.“ Für ihn stehe die Frage im Raum, ob er den Schritt zum Ampel-Aus nicht schon früher hätte vollziehen müssen.

Pro-EU, pro-USA, pro-Transformation

Scholz gilt seit jeher als Befürworter jener sozial-ökologischen „Transformation“, die Deutschland in eine „klimaneutrale“, digitale und widerstandsfähigere Zukunft führen soll. Im Juli 2023 rief Scholz dafür beispielsweise eine „Allianz für Transformation“ ins Leben, bei der nach Angaben der Bundesregierung zusammen mit Vertretern aus Wirtschaft, Sozialpartnern und Wissenschaft über Lösungen diskutiert werden soll.

An einen Wiedereinstieg in die nahezu CO₂-freie Kernkraft ist mit Scholz allerdings nicht zu denken. Als Angela Merkel im Verbund mit der FDP Mitte 2011 das KKW-Aus zum Jahresanfang 2023 beschlossen hatte, saß Scholz zwar nicht auf der Kabinettsbank. Statt als Merkel-Nachfolger den Ausstieg aber rückgängig zu machen, entschied sich Scholz unter Berufung auf seine Richtlinienkompetenz im Herbst 2022 lediglich für eine dreieinhalbmonatige Fristverlängerung.

Abgesehen von seinem fruchtlosen Nein zu EU-Zöllen für E-Autos aus China war es das einzige Mal, dass Scholz von der Richtlinienkompetenz eines Kanzlers Gebrauch gemacht hatte.

Generell setzt sich Scholz laut SPD-Wahlprogramm für europäisch abgestimmte Wirtschaftsbeziehungen zu China ein, welches zugleich als „Partner, Wettbewerber und Systemrivale“ betrachtet wird. Zentral aber sind für ihn eine starke EU und gute transatlantische Beziehungen. „Wir setzen alles daran, Handelshemmnisse abzubauen und einen Subventionswettlauf mit den USA zu vermeiden“, heißt es im Parteiprogramm. Europa bedürfe deshalb einer „Investitions- und Innovationsoffensive“.

Sein Respekt vor den Interessen der US-Regierung lässt sich unter anderem darin erkennen, dass er der Ankündigung von US-Präsident Joe Biden im Januar 2022 nicht widersprochen hatte, der deutsch-russischen Nord Stream 2-Gaspipeline in der Ostsee ein Ende zu bereiten, falls es zu einem russischen Angriff auf die Ukraine kommen sollte.

Erfinder kurioser Euphemismen

Auch wenn Scholz gerne mit Schlagworten wie „Bazooka“, „Wumms“ oder „Doppel-Wumms“ operiert, gilt er vielen Bürgern als Musterbeispiel eines disziplinierten, distanzierten Hanseaten. Eigentlich stammt er aus Osnabrück. Noch vor seiner Einschulung zog die Familie allerdings nach Hamburg um.

Wie sein heute schärfster Konkurrent Friedrich Merz entschied sich der ehrgeizige Scholz für ein Jurastudium, das er im Jahr 1984 erfolgreich abschloss. Danach spezialisierte er sich als Partner einer Kanzlei auf Arbeitsrecht, bevor er mit seinem Einzug in den Bundestag im Jahr 1998 die Politik zum Mittelpunkt seines Wirkens machte.

Vor seiner Zeit als Kanzler hatte Scholz unter Kanzlerin Merkel erst als Arbeitsminister (2007–2009), nach seinem Intermezzo als Hamburger Bürgermeister schließlich als Bundesfinanzminister und Vizekanzler (2018–2021) gedient.

Im Bundestagswahlkampf 2021 hatte Scholz anfangs ziemlich aussichtslos dagestanden, seine Kritiker am Ende aber Lügen gestraft: Im Endspurt führte er die SPD mit 25,7 Prozent als stärkste Kraft in den Plenarsaal. Der seit 1998 in kinderloser Ehe mit Brandenburgs Ex-Bildungsministerin Britta Ernst verheiratete Wahl-Potsdamer durfte als erster deutscher Kanzler überhaupt ein rot-grün-gelbes Dreierbündnis anführen.

Dieser Beitrag stellt ausschließlich die Meinung des Verfassers dar. Er muss nicht zwangsläufig die Sichtweise der Epoch Times Deutschland wiedergeben.


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