USA: Mit Staatsschulden gegen Rezession und Crash
Der Blick auf die Konjunkturprognosen für die Vereinigten Staaten von Amerika erinnert derzeit ein wenig an Samuel Becketts absurdes Theaterstück „Warten auf Godot“: Die Ankunft des nur vage bekannten Herrn Godot, den die Landstreicher Estragon und Wladimir fortwährend ankündigen, bleibt aus. Er kommt einfach nicht.
Zweifelsohne gab und gibt es eine Reihe von Faktoren, die eine anstehende Rezession in der weltgrößten Volkswirtschaft wahrscheinlich machen. Dazu zählen zum Beispiel die starken Zinserhöhungen, die Konsumenten und Produzenten unter Druck setzen; die Auswirkungen der jüngsten Hochinflationswelle, die die Kaufkraft der Bevölkerung stark dezimiert hat; eine schwelende Krise im Markt für Gewerbeimmobilien; anhaltende Probleme bei US-Regionalbanken; nachlassende Bankkreditvergabe, begleitet von einer stagnierenden Geldmenge.
Doch die Rezession und ein Einbruch am Aktienmarkt sind bisher ausgeblieben – ganz so wie das verkündete Erscheinen von Herrn Godot sich nicht bewahrheitet hat. Was ist der Grund?
Die Sonnen- und Schattenseiten der Staatsverschuldung
Die Vermutung liegt nahe, dass die seit Jahren gewaltige, in Friedenszeiten bisher nicht beobachtbare staatliche Schuldenfinanzierung die Frage nach der Ursache beantwortet. Betrug das Defizit pro Bruttoinlandsprodukt noch 4,9 Prozent im Jahr 2019, explodierte es förmlich 2020 auf 14,6 Prozent am Höhepunkt der Coronavirus-Krise, verringerte sich auf 5,2 Prozent bis 2022, stieg dann jedoch wieder an, und zwar auf 6,1 Prozent im vergangenen Jahr.
Anders gesagt: Von Ende 2019 an schossen die US-Staatsschulden von 23,2 Billionen US-Dollar auf 34 Billionen US-Dollar in die Höhe – ein Zuwachs von fast 47 Prozent. In dieser Zeitspanne legte die Wirtschaftsleistung jedoch nur um 8,4 Prozent zu. Die Relation von „mehr-Staatsschulden-zu-mehr-Output“ war also geradezu kümmerlich. Und doch plant die US-Regierung für die kommenden Jahre weiterhin sehr hohe Defizitquoten um die 6 Prozent.
Das gewaltige Anschwellen der Staatsschulden – anfänglich begleitet von einer immensen Geldmengenausweitung und in der Folge stark steigenden Güterpreisen auf breiter Front – hat zweifellos die gesamtwirtschaftliche Nachfrage gewaltig angetrieben. Es handelt sich hier im Grunde um eine lehrbuchartige Illustration einer keynesianischen Deficit-Spending-Politik, die in den Vereinigten Staaten von Amerika umgesetzt wird.
Die kreditfinanzierten Staatsausgaben verschaffen Unternehmen Produktions- und Gewinnmöglichkeiten. Die Nachfrage nach Arbeitskräften nimmt zu. Arbeitnehmer und Firmeneigner gelangen an neue Einkommen, die es ihnen erlauben, ihren Schuldendienst zu leisten und Steuern zu zahlen. Und Unternehmen wagen sich unter diesen Bedingungen auch an Ersatz- und Erweiterungsinvestitionen heran. Doch das Ganze ist natürlich alles andere als problemlos.
Denn das starke Anwachsen der Staatsschulden hat auch sehr unangenehme Nebenwirkungen, die derzeit meist geflissentlich ausgeblendet werden. So weitet sich der Staat durch die wachsenden Schulden immer weiter im Wirtschafts- und Gesellschaftsleben aus – zulasten der verbliebenen Freiheiten von Bürgern und vor allem kleinen und mittleren Unternehmen.
Schleichend zunehmend staatliche Lenkung
Entsprechend gewöhnt sich der Unternehmenssektor an den staatlichen Geldregen, richtet sich auf ihn ein, macht sich daran, die staatlich bestimmte Güternachfrage mit seiner Produktion und Arbeitsplatzschaffung zu bedienen. Die Ausgaben, die der Staat mit neuen Krediten finanziert, befördern dabei einige Wirtschaftssektoren und Arbeitsplätze, während andere Branchen und Beschäftigungsmöglichkeiten den Kürzeren ziehen. Das gesamte Wirtschafts- und Gesellschaftsgeschehen gerät zusehends in die Abhängigkeit fortgesetzter, auf Pump finanzierter, vom Staat diktierter Nachfrage.
Es ist leicht ersichtlich, dass eine einmal begonnene Staatsverschuldung nur noch schwer einzuhegen, geschweige denn zurückzuführen ist: Je länger und umfangreicher die schuldfinanzierten Käufe des Staates angedauert haben, desto mehr Firmen und Arbeitnehmer hängen von ihm ab, und desto größer und schwerer wird auch die unausweichliche Anpassungskrise ausfallen, sollte die Neuverschuldung des Staates abnehmen, geschweige denn versiegen.
Die Wirtschaftsgeschichte gibt viele Beispiele zu dieser Problematik. Man denke nur einmal an die Kriegswirtschaft im Deutschen Kaiserreich in den Jahren 1914 bis 1918: Solange der Staat seine Aufträge bezahlte, herrschte Vollbeschäftigung. Als der Staat die Ausgaben für die Kriegshandlungen einstellte, stürzte die auf Waffenproduktion getrimmte Wirtschaft sprichwörtlich ab.
Diese Episode illustriert eindrücklich, dass staatliche Schuldenpolitik nicht „neutral“ ist, dass sie vielmehr Wirtschaft und Gesellschaft formt beziehungsweise verformt. Es handelt sich also nicht nur um eine konjunkturorientierte Deficit-Spending-Politik, sondern auch um so etwas wie eine Quasi-Verstaatlichung der Volkswirtschaft durch die Hintertür.
Wirtschaft und Gesellschaft werden nämlich mehr oder weniger still und heimlich zusehends von staatlichen Belangen, also kollektivistisch-sozialistisch ausgerichtet. Die verbliebenen Elemente des freien Marktsystems werden entsprechend zurückgedrängt und außer Kraft gesetzt.
Der Staat befindet schließlich in wachsendem Maße über die Verwendung der Ersparnisse und die Ausrichtung der Investitionen in der Volkswirtschaft. Setzt sich der Prozess ungebremst fort, kann man hier durchaus von einem Übergang in die Lenkungs- und Kommandowirtschaft sprechen.
Wachsende Bürokratie und Ungleichgewichte
In der Außenwirkung erscheint eine sich beschleunigende Verschuldungspolitik des Staates allerdings anfänglich nicht als anstößig. Wie gesagt, sie verstetigt die Wirtschaftsexpansion, hält viele Betriebe über Wasser, gibt Firmenneugründungen Raum, bewahrt und schafft Arbeitsplätze, füllt die Staatskasse, und insbesondere steigt die Wahrscheinlichkeit, dass Rezession und Aktienmarkt-Crash bis auf Weiteres verhindert werden.
Doch unter dieser erfreulichen Oberfläche braut sich eben doch etwas sehr Unerfreuliches zusammen: Weil die Volkswirtschaft zusehends unter den Lenkungsgriff des Staates gerät sowie seiner Bürokratie und auch der Sonderinteressengruppen, die sie für ihre Zwecke einzuspannen suchen, kann das Marktsystem seine eigentliche Aufgabe nicht mehr wirksam erfüllen: also knappe Ressourcen in die dringendsten Verwendungen leiten. Ungleichgewichte stellen sich ein und weiten sich aus wie Fehlinvestitionen und Überkonsum.
Das, was sich in den Vereinigten Staaten von Amerika abspielt, lässt sich auch anderswo in unterschiedlicher Intensität beobachten – etwa in Europa, Japan und China. Die Staatsverschuldung schwillt an, die Regierenden greifen immer stärker in den Wirtschaftsprozess ein – neben kreditfinanzierten Käufen auch mit neuen Ge- und Verboten, Reglementierungen und Gesetzen.
Und weil die Verschuldung überall bereits ein sehr hohes Niveau erreicht hat, wird ein Wirtschaftseinbruch – Rezession oder gar Depression – umso mehr gefürchtet. Sie werden mit allen verfügbaren Mitteln bekämpft, vorzugsweise durch noch mehr Staatsausgaben, die mit Kredit finanziert werden.
So gesehen ist die wirtschaftspolitische Richtung in den großen Volkswirtschaften der Welt klar erkennbar: Die Lenkungs- und Kommandowirtschaft ist dabei, das, was vom freien Marktsystem noch verblieben ist, auch noch zu verdrängen.
Nachfrage künstlich hoch, Wachstumsdynamik schwindet
Die mitunter rabiaten Markteingriffe, die die Staaten im Zuge der Klima- beziehungsweise Energiepolitik diktieren, sind auch in diesem Lichte zu sehen: Man meint, die Herausforderungen mit staatlicher Planung und Lenkung bewältigen können, nicht durch das freie Unternehmertum, das freie Marktgeschehen.
Das zeigt sich deutlich in den herrschenden wirtschaftspolitischen Paradigmen wie etwa dem „Great Reset“. Er zielt unter anderem darauf ab, durch das sogenannte „Private-Public-Partnership“ die Grenze zwischen Staat und Unternehmenssektor de facto aufzulösen – um so Finanzkraft und Einflussbereich des Staates auszuweiten.
Die Kosten dieses staatlich betriebenen „Umbaus“ der Volkswirtschaften in Form von Produktions- und Beschäftigungsverlusten bleiben weitestgehend verschleiert – weil der Staat mit schuldenfinanzierten Ausgaben ganz einfach die Nachfrage künstlich hoch hält.
Unter diesen Bedingungen werden absehbar knappe Ressourcen weniger effizient eingesetzt. Im Wettbewerb um sie kommen nicht mehr die Produktivsten zum Zuge. Das lässt die Wachstumsdynamik schwinden. Und wenn die steigenden Staatsschulden den Zuwachs der Wirtschaftsleistung immer rasanter übersteigen, dann sorgen sich früher oder später auch Investoren, dass die ausstehenden Staatsschulden entweder nicht mehr wie versprochen bedient werden oder die Zentralbank die elektronische Notenpresse anwirft, um die offenen Rechnungen zu bezahlen.
Wachsamkeit für Anleger weiterhin geboten
Im Zeitalter des ungedeckten Geldes, das die staatlichen Zentralbanken jederzeit und in jeder gewünschten Menge ausweiten können, wird die Kapitalanleger früher oder später eine Inflationsfurcht beschleichen. Die Währungsgeschichte zeigt nämlich nur allzu deutlich, dass Regierende und Regierte in der Geldmengenausweitung und damit Inflationspolitik das relativ kleinste Übel erblicken.
Solange jedoch die Zweifel an den Staatsfinanzen nicht überhandnehmen, die Volkswirtschaften positive Wachstumsdaten produzieren, abrupte Rückschläge in der Produktion und Beschäftigung ausbleiben, werden die Aktienmärkte zunächst wohl noch weiter im Aufwind bleiben und man wird auf einen „Crash“ warten wie auf Samuel Beckets Herrn Godot; insbesondere dann, wenn auch die Leitzinsen wieder gesenkt werden – was aus heutiger Sicht recht wahrscheinlich ist.
Schließlich nimmt jetzt die Güterpreisinflation aufgrund der Geldmengenverknappung rapide ab, und die Notenbanken werden darauf eher früher als später mit Zinssenkungen reagieren.
Doch auch wenn sich die Konjunkturen und Aktienmärkte in den kommenden Quartalen weiter positiv entwickeln sollten, gibt es gute Gründe für die Anleger, die Probleme der Staatsverschuldung und alles, was das nach sich zieht, nicht aus dem Auge zu verlieren. Sie werden noch in Erscheinung treten, man wird ihnen nicht entkommen.
Über den Autor:
Dr. Thorsten Polleit ist Honorarprofessor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Bayreuth und Präsident des Ludwig von Mises Instituts Deutschland.
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