Träume aus Leder
Längst hat sich der Sattlerberuf spezialisiert auf die Sport-, die Fahrzeugsattlerei und die Feintäschnerei. Die Vielfalt der Anfertigungen für verschiedenste Zwecke kennt kaum Grenzen. Zur Ausbildung des Sattlers zählen traditionell die Polsterei, die Raumausstattung mit Fußbodenverlegen, Tapezieren und die Anfertigung von Rollos.
In Sattler- und Schuhmacherbetrieben auf dieser Grundlage wird heute repariert, restauriert und neu angefertigt. Verarbeitet werden Leder aller Art (Rind, Pferd, Lamm, Ziege, Schwein, Hirsch und andere) von unterschiedlicher Qualität mit Ketten, Ringen, Schlössern, Karabinern, Nieten, Textilien usw. Allein in Hamburg gibt es ein Dutzend Handwerksbetriebe, die Maßschuhe anfertigen, sowie rund 20 Sattler- und Polstereibetriebe.
Handwerk hautnah
„Das ist hier ein offener Betrieb, die Leute können sehen, was wir gerade machen. Wir verstecken uns nicht“, beschreibt Lothar Müller, Handwerksmeister und Inhaber des Betriebes „Mein Schuhmacher“ die gediegene Mischung aus Ladengeschäft und Werkstatt in Hamburg-Horn: „Jeder kann gern einmal hierher kommen und sich anschauen, wie wir arbeiten.“ Der Laden ist nicht gestylt, alles auf engstem Raum praktisch angeordnet, die Werkstatt direkt hinter dem Ladentresen: Arbeitstische, Werkbänke und Geräte für die Maßschuhanfertigung. Beim Betreten des Ladens schweift der Blick über Regale mit Lederutensilien, über Bürsten, Schuhlöffel, Ausstellungsstücke für Schaufenster, lederne Reisekoffer bis zu Kuriositäten wie einem urtümlichen Reitsattel aus Paraguay. Sein Leder für die Maßschuhanfertigung bezieht Müller aus Gerbereien, die noch traditionell in Gruben mit Naturstoffen arbeiten: Es bleibt bis zu vierzehn Monate in einer Lauge aus Eichenlohe. Auch bei Pflegemitteln setzt der Betrieb auf Naturstoffe. Schuhcrème wird in der eigenen Werkstatt vom Meister mit Bienenwachs, natürlichen Ölen und Naturfarbpulver selbst hergestellt. Im Juni 2010 wird „Mein Schuhmacher“ sein 25-jähriges Bestehen mit einem Jubiläumsfest feiern: An dem Tag der offenen Tür ist jedermann eingeladen, mitzufeiern, sich kundig zu machen und hinter die Kulissen zu blicken.
Der Beruf ist Berufung
Die Wünsche der Kunden sind vielfältig. Hundeleinen, Schuhe, Taschen, Etuis, Koffer, Pferdegeschirr und sonstige Schätze werden zur Reparatur gebracht. Manchmal fahren Biker vor und fragen, wer die Spezialanfertigung für eine Motorradsitzbank macht. Bei Müller sind sie gleich am richtigen Ort. Senioren und Vielbeschäftigte schätzen seinen Hol- und Bring-Service. Einmal die Woche fährt er zu den Reiterhöfen der Umgebung.
Er selbst ist weder Reiter noch Motorradfahrer. Bei seiner Arbeit verlässt er sich auf sein Einfühlungsvermögen. „Man muss schon einen Draht dazu haben“, sagt Müller. Er glaubt an die Berufung: „Das ist einem angeboren. Man muss auch nicht viel darüber lesen. Ich denke, dass man dazu bestimmt ist.“ Dabei kam er als 14-Jähriger zufällig dazu. Sein Großvater schickte den in der Nähe von Celle aufgewachsenen zum Sattler, der ihn gleich fragte, ob er eine Lehre bei ihm machen wolle. Sonst hätte er bestimmt das Konditorhandwerk erlernt, vermutet Müller, der schon als Kind gern Kuchen gebacken und Torten gefertigt hat.
Schätze erhalten, Träume erfüllen
Was gefällt dem Handwerkermeister an seinem Beruf am Besten? Der Kontakt mit den Kunden. Müller freut sich, wenn sie ihre Wünsche schildern und er in der Lage ist, ihnen diese zu erfüllen. „Es gibt viele Träume. Manche träumen davon, irgendwelche Ledersachen zu tragen. Das fertige ich ihnen. Ganz egal, ob es eine Tasche ist oder ein Lederrock. Die Träume werden wahr, wenn sie zu mir finden“, verrät er. Lothar Müller ist vorurteilsfrei, auch bei Kundenwünschen, die vom Üblichen abweichen. Da ist Fingerspitzengefühl und Diskretion gefordert. Manche Kunden geben Dankschreiben ab. Manche freuen sich über die gefertigten Teile und erzählen ihm, welche schönen Stunden sie damit erlebt haben. „Das ist für mich ein Erfolgserlebnis, das mich immer wieder aufbaut“, sagt Müller. So könne er mit Elan den nächsten Kundenwunsch erfüllen.
Liebe zum Leder
Meister Müller führt den Betrieb zusammen mit seinen zwei weiblichen Auszubildenden. Eine hat nach dreijähriger Ausbildung in Kürze ausgelernt. Bettina Neelsen ist im zweiten Lehrjahr. Die 23-Jährige kann sich vorstellen, später einen Betrieb selbständig zu führen. Neu im Team ist die 18-jährige Enkelin des Meisters, Janine Müller, die ein Praktikum absolviert und demnächst ihre Lehre beginnt. Sie alle teilen die Liebe zum Werkstoff Leder. Mit seinen Auszubildenden ist der Meister sehr zufrieden. Diese gehen auf die Kunden zu, fragen sie nach ihren Wünschen und versuchen, so gut wie möglich zu beraten. „Wenn ich die Klingel höre, denke ich: gleich hinlaufen und fragen, was los ist“, beschreibt Janine Müller ihre Einstellung. „Ich finde den Kundenkontakt einfach schön“, ergänzt Bettina Neelsen.
Zukunftspläne
Was wird, wenn der Meister in zwei Jahren in Rente gehen und kürzer treten möchte? Er plant, den Betrieb 2012 abzugeben. Bis dahin will er dafür sorgen, dass die Auszubildenden den Betrieb selbstständig weiterführen können. Hoffnung setzt er in seine Enkelin, die unter seinem Namen weitermachen könnte. Müller hat sich zu Hause in Niendorf eine kleine Werkstatt mit Steppmaschine, Nähmaschine und Werktischen eingerichtet. Als Rentner könne er sich später Arbeiten abholen, ausführen und wieder anliefern, wenn jemand in Nöten ist, erklärt Müller. Er möchte seinen Nachfolgern mit Rat und Tat zur Seite stehen. „Ich bin dann nicht weg vom Fenster“, sagt er.
Frauen auf dem Vormarsch
Bislang ist der Beruf des Sattlers und Schuhmachers eine Männerdomäne. In der Berufsschulklasse von Bettina Neelsen sind die Frauen mit einem Drittel in der Minderheit, „aber die Frauen sind auf dem Vormarsch“, stellt sie fest. „Auch für Mädchen bringt das Handwerk Spaß“, findet Janine Müller. Sie liebt es, in ihrer Freizeit die Zimmer ihrer Geschwister und Freunde umzugestalten und zu schrauben. Für sie kommt nur ein Handwerksberuf in Frage.
Bei Bettina Neelsen zeigte sich die Neigung zum Handwerk schon früh: „Als Kind hatte ich schon immer einen Schraubenzieher in der Hand, habe Kugelschreiber auseinandergenommen und wieder zusammengesetzt“.
Info:
In der Steinzeit wurden die ersten Schuhe gefertigt. Frauen umwickelten die Füße der Angehörigen mit Leder und Fellstücken. Ab 3000 v. Chr. gab es Sandalen. Der Stiefel kam im 4. Jahrhundert aus dem Orient und wurde nur von Männern getragen. Prächtig verzierte Fußbekleidung und eine große modische Vielfalt zeigten sich im 15. Jahrhundert. Adlige trugen Schuhe aus weichem Leder, Samt und Seide. Der Unterschied bei der Anfertigung zwischen rechts und links wurde laut Schuhmacherinnung erst seit Ende des 19. Jahrhunderts berücksichtigt. Auch die Sattlerei hat eine uralte Tradition: Seit der Mensch auf Tieren ritt, gab es Handwerker, die Sättel und Zaumzeug für die Last- und Reittiere fertigten.
Erschienen in The EPoch TImes Nr. 30/09
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