Tibet: „Um den Konflikt gründlich zu lösen, müssen wir mit der Kommunistischen Partei anfangen.“

Interview mit dem Mönch Dr. Ngawang Nyendag, dem chinesischen Übersetzer im Büro des Dalai Lama.
Titelbild
Kerzenlichtmahnwache in Siliguri am 31. März. (Getty Images)
Epoch Times1. April 2008

Tibet – Nach Lhasa anrufen ist fast nicht möglich und auch nach Gansu und Abei ist es schwer. In manchen Tempeln gibt es fast nichts mehr zu essen und zu trinken und die Anzahl der Soldaten übertrifft in vielen Fällen die Anzahl der tibetischen Mönche. Anlässlich der aktuellen Situation in Tibet sprach die Epoch Times Deutschland mit dem Mönch Dr. Ngawang Nyendag, dem chinesischen Übersetzer des Büros des Dalai Lama im indischen Dharamsala.

ETD: Seit dem 23. März findet ein Dauerhungerstreik in Dharamsala statt. Sie haben auch daran teilgenommen. Können Sie uns kurz die Situation darstellen? Wie lang wird der Hungerstreik andauern?

Ngawang Nyendag: Ich habe zwei Mal daran teilgenommen. Die Hauptforderungen dabei sind, dass die gewaltsame Niederschlagung der Demonstranten, die Festnahme der unschuldigen Tibeter durch die Kommunistische Partei sofort eingestellt werden soll; dass das chinesische Regime überzeugende Beweise dafür vorlegen soll, wenn sie immer wieder behauptet, dass diese Unruhen von der „Dalai Lama-Clique“ langfristig geplant, organisiert und mit akribischer Sorgfalt inszeniert worden seien. Sie fordern Peking auf, einen friedlichen Dialog mit dem Dalai Lama zu führen, um eine friedliche Lösung der Tibet-Frage zu ermöglichen.

ETD: Wer hat den Hungerstreik der Tibeter organisiert?

Ngawang Nyendag: Einige Nichtregierungsorganisationen hatten das initiiert. Die Teilnehmer haben sich freiwillig daran beteiligt.

ETD:
Waren die Teilnehmer daran hauptsächlich Tibeter, die in Indien leben?

Ngawang Nyendag: Viele sind Tibeter, aber auch viele indische Freunde haben sich angeschlossen.

ETD:
Wie ist Ihren Informationen zufolge die aktuelle Lage in Tibet? Woher bekommen Sie die Informationen?

Ngawang Nyendag: Die Situation in Tibet ist momentan immer noch sehr gefährlich. Nach unseren Informationen sind die Regionen von Tibet über Qinghai, Sichuan, Gansu bis zum Yunnan von Soldaten der Kommunistischen Partei (KPCh) belagert, zum Beispiel ist in meiner Heimatstadt Batan in der Provinz Sichuan die Armeetruppe 371 stationiert. Wenn man auf die Straße geht, um beispielsweise einzukaufen, wird man sofort von den Soldaten gefragt, was man da macht und wie lange man draußen bleiben möchte. Allein darf man noch auf die Straßen gehen, aber zu zweit oder zu Dritt ist es unmöglich. Die Tibeter in den meisten tibetischen Regionen haben momentan keine Freiheit, um sich zu bewegen.

ETD: Gestern kam die Meldung, dass die Mönche im Tempel von der Wasser- und Lebensmittelversorgung abgeschnitten sind. Sind die meisten Lama-Tempel in den tibetischen Regionen von Soldaten abgeriegelt? Können Sie diese Information bestätigen?

Ngawang Nyendag: Wir haben auch ähnliche Informationen bekommen. Im Sela-Tempel, einer der drei größten Tempel in Lhasa, haben die Mönche unseren Informationen nach fast kein Wasser und kein Essen mehr. Zudem wurde ein großer Tempel in meiner Heimatstadt komplett von paramilitärischen Polizisten besetzt. Die Anzahl der Polizisten im Tempel ist größer als die der Mönche. Die Mönche sind absolut von der Außenwelt isoliert.

ETD: Woher haben Sie die Information über Ihre Heimatstadt bekommen?

Ngawang Nyendag: Durch Telefonate. Viele Freunde von mir in den USA, haben täglich Kontakt mit ihren Landsleuten in China, auch ich telefoniere viel. Heute morgen haben mir Freunde vor Ort erzählt, dass sie täglich sehen können, wie die Soldaten üben und patrouillieren. Es ist fast unmöglich außer Haus zu gehen, um etwas zu erledigen. Es ist auch schwer, Lebensmittel zu kaufen.

ETD: In chinesischen, staatlichen Medien ist zu lesen, dass die Unruhen vom Dalai Lama langfristig geplant, organisiert und mit akribischer Sorgfalt inszeniert worden sein sollen. Die tibetischen Gewalttäter sollen Straftaten wie „Schlagen, Zerstören, Rauben und Brandstiftung“ begangen haben. Die „Clique um den Dalai Lama müsse mit Entschlossenheit bekämpft und ausgelöscht werden.“ Wie beurteilen Sie diese Berichte?

Ngawang Nyendag: Wenn das chinesische Regime behauptet, dass die Unruhen schon langfristig geplant wurden, bedeutet das, dass sie schon längst davon wussten. Warum haben sie die Sache nicht verhindert, bevor sie passierte? Sofort nach dem Vorfall am 14. März meinten sie beweisen zu können, dass dieser Vorfall vom Dalai Lama gesteuert wurde, wie können sie das so schnell feststellen? Sie sagen, sie hätten überzeugende Beweise dafür, warum legen sie diese Beweise nicht vor? Bis heute sind schon über 10 Tage vergangen, aber sie haben noch keine konkreten Beweise gezeigt.

Betrug und Lügen sind die Methoden des chinesischen Regimes. Bis heute haben sie die Tibeter und unsere chinesischen Freunde betrogen. Diese Propagandasprache haben wir schon in der Kindheit gehört und sind damit aufgewachsen. Wenn sie weitermachen, wer glaubt daran? Jetzt passiert es in Tibet, später werden es die ethnischen Gruppen in Xinjiang, in der Mongolei und in anderen Regionen sein. Die langjährige Propaganda konnte den Respekt der Tibeter gegenüber dem Dalai Lama nicht ändern. Sie konnten auch den Glauben der Tibeter zum tibetischen Buddhismus und zur tibetischen Kultur nicht ändern. Seit über 50 Jahren behauptet die Kommunistische Partei, dass sie Tibet entwickelt hat. Aber die gegenwärtige Situation beweist, dass das, was sie in Tibet getan haben, völlig gescheitert ist.

ETD:
Chinesische Medien berichteten, die Tibeter hätten „Schlagen, Zerstören, Raub und Brandanstiftung“ begangen – warum?

Ngawang Nyendag: Welcher Tibeter hat das begangen? Die Gewalttaten, von denen die KPCh spricht, wurden schon längst geplant und initiiert. Sie organisieren und provozieren die Menschen, um Unruhe anzustiften. Sie lassen die Menschen da- und dorthin gehen um etwas zu machen. Sie dürfen dabei keinesfalls etwas anderes machen, sonst werden sie bestraft. Besonders, wenn die Menschen die Machenschaften der KPCh offen legen, werden sie hingerichtet. Solche Sachen sind schon immer passiert, die Tibeter sind nicht gewalttätig, sie sind friedliche Gläubige. Warum stellen sie sich jetzt mutig vor die Waffen der KPCh? Weil sie ihre Unzufriedenheit mit dem Regime ausdrücken möchten. Die KPCh hat stets auf betrügerische und gewaltsame Weise in Tibet regiert, das hat zum heutigen Ergebnis geführt.

ETD: Haben Sie in China auch die Unterdrückung der Religionsfreiheit erlebt?

Ngawang Nyendag: Die Kulturrevolution hat die Religion in Tibet völlig zerstört. Im Jahr 1983 haben die älteren Bewohner eine Gebetszeremonie veranstaltet, um Glaubensfreiheit zu bekommen, sie wollten die tibetische Kultur wieder beleben und Tempel bauen. Später wurden alle festgenommen. Die meisten von ihnen starben im Gefängnis, nur zwei sind wieder frei gekommen. Das habe ich persönlich erlebt und gesehen. Auch zwischen 1987 und 1988 ist viel in Tibet passiert: Zum Beispiel wurden viele Mönche aus ihren Tempeln vertrieben, weil sie wirklich an die Religion glaubten und nicht an die KPCh. In einem Tempel gab es ursprünglich mehre Tausend Mönche, es durften aber nur rund 300 bleiben. Die KPCh führt auch patriotische Erziehung in unseren Tempeln durch.

ETD: Laut chinesischen staatlichen Medien sollen sich manche Äbte gegen die Gewalt der Tibeter ausgesprochen haben. Wenn es diese Gewalt aber gar nicht gab, inwiefern sind diese Äbte wirklich Lamas, die an den tibetischen Buddhismus glauben?

Ngawang Nyendag: Egal um welchen Tibeter es geht, keiner wird tatsächlich auf den in ihrem Wesen innewohnenden religiösen Glauben und auf die buddhistische Überzeugung verzichten. Wir dürfen nicht nur ihre Wörter beurteilen, ob sie die Partei lieben oder Tibet. Es muss berücksichtigt werden, wo, wie und unter welchem Umstand sie solche Wörter gesprochen haben. Es gibt tibetische Mitglieder der KPCh, die beten und buddhistische Sutren rezitieren. Oft waren die Reden vorgeschrieben, die Mönche mussten aber vorlesen.

ETD: Seit mehr als 20 Jahren strebt der Dalai Lama nach einem friedlichen Dialog mit dem chinesischen Regime. Aber das chinesische Regime verhält sich immer noch gleich. Gibt es wirklich einen Willen vonseiten der KPCh die Tibet-Politik zu ändern?

Ngawang Nyendag: Bisher habe ich einen glaubwürdigen Willen noch nicht gesehen. Wenn sie wirklich den Willen haben, ist jetzt der richtige Zeitpunkt, um ihn zu zeigen. Sie haben bisher immer von der Realität weggeschaut, das kann das Problem nicht lösen. Die KPCh muss der internationalen Gemeinschaft und den tausenden und abertausenden chinesischen Intellektuellen antworten. Wenn sie immer noch nichts tun, ist es für sie höchst gefährlich. Der Tag des Untergangs kann schnell kommen. Die Herrschaft der KPCh kann sowieso nicht ewig existieren.

ETD: Warum hat die KPCh Ihrer Meinung nach Angst vor der Kultur und dem buddhistischen Glauben der Tibeter?

Ngawang Nyendag: Die KPCh hat sofort nach der Machtergreifung Tibet besetzt und regiert. Sie wollte die Tibeter mit der gleichen Methode kontrollieren, wie sie es bei der chinesischen Bevölkerung gemacht hat. Sie versuchte die Tibeter umzuerziehen. Aber ihre 50 Jahre lange Anstrengung ist gescheitert, der Glaube der Tibeter an den Dalai Lama und an den Buddhismus ist nicht zu ändern. Die Einstellung der Tibeter zu ihrer Nation und die bündelnde Kraft entsteht genau aus ihrer tiefen Überzeugung vom Buddhismus. Obwohl die meisten Tibeter den Dalai Lama nie gesehen haben, glauben sie trotzdem an ihn und sie respektieren ihn. Die KPCh hat Angst vor dieser Kraft des Glaubens, daher wollen sie unbedingt die Religion auslöschen.

ETD: In den staatlichen chinesischen Medien wird das Bild von Tibet verzerrt – viele Chinesen hassen die Tibeter. Der chinesische Nationalismus wird missbraucht und die Situation in Tibet als Konflikt zwischen den Chinesen und den Tibetern dargestellt.

Ngawang Nyendag: Wir sollen klar unterscheiden zwischen China und der KPCh, dem chinesischen Volk und der KPCh. Die Leiden der Tibeter werden von der KPCh verursacht. Das ist nicht von den einzelnen Mitgliedern der KPCh verschuldet, das ist die Herrschaft und das Wesen der KPCh. Die meisten Tibeter unterscheiden klar, dass der Tibet-Konflikt nicht ein Konflikt zwischen der tibetischen und der chinesischen Nation ist sondern ein Konflikt zwischen der KPCh und der tibetischen Nation. Um den Konflikt gründlich zu lösen, müssen wir mit der KPCh anfangen.

ETD: Wir danken Ihnen für das Interview.

Die Fragen stellte Maria Zheng.

Dieser Beitrag stellt ausschließlich die Meinung des Verfassers dar. Er muss nicht zwangsläufig die Sichtweise der Epoch Times Deutschland wiedergeben.


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