Thüringen: Demokratie nur, solange das Ergebnis passt? Publizisten warnen vor „totalitärem Denken“
Während neben den Parteien der politischen Linken auch die Bundesspitzen von CDU und CSU auf Distanz gehen zur gestrigen (5.2.) Wahl des FDP-Kandidaten Thomas Kemmerich zum Ministerpräsidenten des Freistaats Thüringen, wird aus bürgerlich-konservativen Kreisen vermehrt Verständnis für das Vorgehen von CDU und FDP im Landtag von Erfurt geäußert.
Wie die „Süddeutsche“ berichtet, hat der Fraktionschef der CDU im Berliner Abgeordnetenhaus, Burkard Dregger, die Kritik an der Wahl Kemmerichs zurückgewiesen. Gegenüber der Deutschen Presse-Agentur nannte er den Vorgang eine „demokratische Entscheidung, die nicht zu kritisieren ist“. Die Union habe den aus ihrer Sicht besseren Kandidaten gewählt und sei nicht verantwortlich für das Abstimmungsverhalten anderer Parteien.
Patzelt: „CDU hat ihre eigene Chance verpasst“
Auch der Politikwissenschaftler und frühere CDU-Berater Werner Patzelt sieht in der Wahl Kemmerichs eine Chance. Auf Facebook bescheinigt er der CDU jedoch schwere Versäumnisse, die dazu geführt hätten, selbst keinen Ministerpräsidenten stellen zu können. So schreibt Patzelt:
„An der Wahl des FDP-Landtagsabgeordneten Thomas Kemmerich zum Thüringer Ministerpräsidenten erkennt man, wie töricht es vom CDU-Vorsitzenden Mohring war, nicht gleich am Wahlabend dreierlei erklärt zu haben: die bisherige Thüringer Regierung ist abgewählt; die beste Lösung wäre es, nun in Thüringen eine Minderheitsregierung mit klarem Politikangebot ins Amt zu bringen; und deshalb werde er oder ein anderer CDU als Gegenkandidat antreten, wann immer sich Ramelow zur Wiederwahl als Ministerpräsident stelle.“
Kemmerich sollte nun an die Spitze der Ministerien FDP- und CDU-Politiker stellen und mit ihnen „im Rahmen des ja beschlossenen Haushaltes eine möglichst unkontroverse Politik weiterführen“. Zur Frage der Unterstützung durch die AfD soll er darauf bestehen, im Interesse des Gemeinwohls mit jeder Partei in den Ausschüssen auf sachlicher Ebene zusammenzuarbeiten. Zudem solle er die Rückkehr zu einer Debattenkultur anmahnen, die „unserer freiheitlichen Demokratie und einem pluralistischen Parlamentarismus wirklich angemessen ist“.
„Weder Skandal noch Tabubruch“
In der „Neuen Zürcher Zeitung“ (NZZ) hat Berlin-Korrespondent Benedict Neff in Abrede gestellt, dass die Wahl des FDP-Kandidaten moralisch zu verurteilen wäre oder der deutschen Demokratie schade. Es sei weder ein Skandal noch ein Tabubruch, dass Kemmerich die Wahl zum Ministerpräsidenten, die er den Stimmen der AfD verdanke, angenommen habe. Es sei vielmehr eine praktische Anwendung der Mechanismen von Demokratie:
„Was im Erfurter Landtag stattgefunden hat, ist eine freie Wahl, und darüber hinaus hat ein liberaler und bürgerlicher Kandidat diese Wahl gewonnen. Es gibt keinen plausiblen Grund, das Ergebnis moralisch zu verurteilen. Im Gegenteil, es ist geradezu irritierend, wenn man sieht, wie sich bürgerliche Politiker von der Union und der FDP genieren und sich öffentlich von ihren Thüringer Kollegen distanzieren.“
Kemmerich selbst habe seine inhaltliche Distanz von der AfD hinreichend deutlich gemacht, schreibt Neff weiter. Abgesehen davon liege es auch nicht an ihm, zu sagen, wen die AfD zu wählen habe. „Beunruhigend wäre es eher“, so Neff, „wenn bürgerliche Politiker in Deutschland nicht mehr kandidieren würden, aus Angst, von der AfD gewählt zu werden“.
NZZ: Neuwahlen sehr wahrscheinlich
Ob man Kemmerich mit seiner Wahl einen Gefallen getan habe, sei eine andere Frage. Immerhin sei sein Vorgänger Ramelow in der Thüringer Bevölkerung mehrheitlich beliebt gewesen, während die FDP es nur um Haaresbreite überhaupt in den Landtag geschafft habe.
„Dass er den Landesvater Bodo abserviert hat, dürfte seine Beliebtheit nicht steigern“, mutmaßt der NZZ-Autor. „Das werden er und die neue Regierung zu spüren bekommen. Die Linken in Thüringen werden die schwarz-gelbe Regierung bekämpfen, die AfD wird sie vor sich hertreiben, während sich die bürgerlichen Kollegen in Berlin von ihr distanzieren. Die Möglichkeit, dass diese Regierung schon bald scheitert und es Neuwahlen gibt, ist deshalb ziemlich groß.“
Scharfe Kritik an den Reaktionen der Bundesparteien und der deutschen Medien auf die Vorgänge in Erfurt übt auch der bekannte Publizist und Russlandexperte Boris Reitschuster.
Reitschuster: Hasserfüllte „Kämpfer gegen den Hass“
Er schreibt auf seinem Blog:
„Die Hysterie um Thüringen ist entlarvend. Sie zeigt, wie dünn der demokratische Lack bei vielen der selbsternannten Gralshüter der Demokratie ist. Eine demokratische Wahl geht nicht so aus, wie sie wollen – und schon verfallen sie in Hysterie, akzeptieren die Wahl nicht. Dahinter steckt totalitäres Denken. Als Haltung getarnt.“
Die einheitliche Reaktion der Medien zeige zudem, wie sehr es dem Land an Medienvielfalt fehle. Die „Bild“-Zeitung schlagzeilte von einem „Handschlag der Schande“ zwischen Kemmerich und AfD-Fraktionschef Björn Höcke. Reitschuster sieht diese woanders:
„Eine Schande ist, wie viel Hass aus den Reaktionen derjenigen spricht, die bei jeder Gelegenheit betonen, der Kampf gegen den Hass sei ihr wichtigstes Anliegen.“
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