Abschlussbericht zum Fall Relotius: „Blinder Fleck“ – die „politische Korrektheit“ bleibt unentdeckt
Etwas mehr als fünf Monate nachdem der „Spiegel“ eingestand, dass ihr ehemaliger Redakteur Claas Relotius Texte fälschte, wurde jetzt der Abschlussbericht der eigenen Aufklärungskommission veröffentlicht. Die Kommission bestand aus zwei Mitarbeitern des „Spiegels“ und einer externen Journalistin.
Im Geleitwort zum Abschlussbericht heißt es:
Die gute Nachricht: Es wurden keine Hinweise darauf gefunden, dass jemand im Haus von den Fälschungen wusste, sie deckte oder gar an ihnen beteiligt war. Die schlechte Nachricht: Wir haben uns von Relotius einwickeln lassen und in einem Ausmaß Fehler gemacht, das gemessen an den Maßstäben dieses Haus unwürdig ist.“
„Sind viel zu langsam in die Gänge gekommen“
Und es heißt weiter: „Wir sind, als erste Zweifel aufkamen, viel zu langsam in die Gänge gekommen und haben Relotius’ immer neuen Lügen zu lange geglaubt. (…) In seiner Verdichtung zeichnet der Bericht da ein verheerendes Bild“.
Claas Relotius hat seine Fälschungen „mit aller Akribie vertuscht und abgesichert“, wird deutlich gemacht. Eigene Fehler werden nur zurückhaltend ausgesprochen.
Allerdings wird darauf hingewiesen, dass einige Kollegen dafür Verantwortung übernommenen hätten, dass das Treiben von Relotius so lange unentdeckt geblieben wäre, heißt es in dem Geleitwort zum Abschlussbericht weiter.
So hätte der zuständige Dokumentar den „Spiegel“ auf eigenen Wunsch verlassen und zwei von Relotius’ ehemaligen Vorgesetzten wären von ihren Führungsposten abgetreten, der eine als Ressortleiter, der andere als Chefredakteur.
Was möchte der „Spiegel“ ändern?
Zukünftig möchte man seine Sicherungsmechanismen so organisieren, dass sie auch nahtlos funktionieren würden, so das Magazin.
Zudem wird eine unabhängige Ombudsstelle eingerichtet, die etwaigen Hinweisen auf Ungereimtheiten nachgehen soll, sowohl externen Hinweisen von Lesern als auch internen von Kollegen. Außerdem wolle man seine Recherche-, Dokumentations- und Erzählstandards überarbeiten.
Schließlich soll es auch ein neues journalistisches Regelwerk für alle Spiegelmitarbeiter für die Marke „Spiegel“ geben, erklärten der Spiegel-Geschäftsführer Thomas Hass und der Spiegel-Chefredakteur Steffen Klusmann.
Spiegel: „Wie konnte es so weit kommen?“
Im Abschlussbericht unter dem Kapitel: „Wie konnte es so weit kommen?“ heißt es:
Claas Relotius war ein Einzeltäter, der mit erheblicher Energie gefälscht und seine Fälschungen vertuscht hat. (…) Gleichwohl stellt sich die Frage, unter welchen Voraussetzungen und in welchem Umfeld ein solches Ausmaß an Fälschung über derart lange Zeit möglich war.“
Hier werden durch die Untersuchungskommission fünf Punkte genannt.
Neben weniger selbstkritischen Faktoren wie, dass „die Stilform der Reportage, möglicherweise für Fälschungen besonders anfällig ist“ nennt man hier den Druck Journalistenpreise zu gewinnen.
Auch eine besondere Konstruktion des Gesellschaftsressorts innerhalb des „Spiegel“ führt die Kommission als Punkt an. Dann wird die Dokumentationsabteilung genannt, die beim Aufspüren von Fehlern versagt hätte. Und schließlich als letzten Punkt wird der Umgang mit Fehlern aufgeführt.
Der „blinde Fleck“ beleibt unentdeckt – „politische Korrektheit“ bleibt unerwähnt
Der „blinde Fleck“ die „politische Korrektheit“, die sich in Relotius Texten widerspiegelt und die Relotius möglicherweise auch als Rahmen bzw. als Kompass nutzte, um seine Geschichten auszuschmücken und dramaturgisch zu beleben, bleibt unerwähnt.
Die Reportage als oft „filmisch erzählte Geschichte“ muss dafür umso mehr als Fehlerquelle für den Betrugsfall herhalten.
Dabei wird offen dargestellt das Plots (vorkonstruierte Handlungsgerüste) für die Reportagen akribisch geplant und Figuren gelegentlich, wie bei einem Filmcasting gesucht werden, berichtet „Spiegel“.
Spiegel: „Die Geschichten leben von hoher Detailgenauigkeit“
Denn „die Geschichten leben von hoher Detailgenauigkeit“ heißt es. Beispielhaft wird dafür ein E-Mail-Verkehr zwischen Matthias Geyer, Moreno und Relotius zur Entstehungsgeschichte des Artikels „Jaegers Grenze“ wiedergegeben:
„Wir suchen nach einer Frau mit Kind. Sie kommt idealerweise aus einem absolut verschissenen Land (…) Sie setzt ihre Hoffnung auf ein neues, freies gutes Leben in USA (…) Es muss eine sein, die mithilfe eines Kojoten über die Grenze will (…) Die Figur für den zweiten Konflikt beschreibt Claas (…) Dieser Typ wird selbstverständlich Trump gewählt haben, ist schon heiß gelaufen, als Trump den Mauerbau an der Grenze ankündigt hat, und freut sich jetzt auf die Leute dieses Trecks, wie Obelix sich auf die Ankunft einer neuen Legion von Römern freut (…) Wenn ihr die richtigen Leute findet, wird das die Geschichte des Jahres.“
Was nicht passt, wird passend gemacht
In dieses Handlungsgerüst einer Erzählung werden anscheinend schon politische Haltungen gezielt eingewoben. Und was nicht passt, wurde passend gemacht. Spätestens hier fängt es an aus dem Ruder zu laufen. Ein vorher festgelegter politischer Rahmen schränkt den Wahrheitsgehalt einer Reportage schon ein. Wenn dann noch „politisch korrekt“ hinzugefügt oder weggelassen wird – wie authentisch ist dann noch das Erzählte?
Hier nun ein paar Beispiele dafür:
Claas Relotius verfasste zentrale Teile einer Titelgeschichte zum Weltklimagipfel in Katowice (Polen). Die Reportage drehte sich demnach um den sogenannten „Klimawandel“ und einen damit verbundenen Anstieg des Meeresspiegels. Die Geschichte trug den Titel „Nass“. Claas Relotius behauptete hier in South Tarawa einer Insel zugehörig zur Republik Kiribati, Ioane Teitiota, einen Einwohner „eines der flachsten und entlegensten Länder der Erde, Bewohner einer Punktwolke aus Atollen weit weg von allen Forschern und Tomatenzüchtern“ besucht zu haben. Der soll geäußert haben, dass die Welt wissen sollte, „was eines Tages auf sie zukommen wird.“
Es wird nicht „nur das Wasser selbst, sondern auch Menschen, Völker, ganze Nationen, die vor Klimakatastrophen fliehen“ geben.
Von seiner Hütte aus hat Teitiota [angeblich] die Vereinten Nationen verklagt. Er will, als einer der ersten Menschen überhaupt, zum Klimaflüchtling erklärt werden“, schreibt Relotius.
„Spiegel“ bezweifelt das Relotius am Handlungsort der Reportage war
Nachdem „Spiegel“ den Artikel nach Bekanntwerden des Fall Relotius prüfte, hält man es für sehr wahrscheinlich, dass Relotius nie auf dem Atoll war. Die drei Orte „London“, „Polen“ und „Paris“ auf dem Atoll Kiritimati, hieß es in dem Text, seien überschwemmt und „so gut wie menschenleer“. Die Überprüfung ergab jedoch, dass nur der Ort „Paris“ als Siedlung aufgegeben wurde. „Polen“ und „London“ sind nach wie vor bewohnt. „London“ sei mit fast 2.000 Einwohnern sogar die zweitgrößte Stadt des Atolls, heißt es im Kommentar nach der Überprüfung von Relotius Aussagen.
In der Reportage „Ein Kinderspiel“ geht es darum, dass Mouawiya Syasneh als 13-Jähriger, den syrischen Machthaber Baschar al-Assad mit einem Graffito beleidigt und den Syrien-Krieg ausgelöst haben soll.
Ich nahm die Spraydose, ich habe wirklich an nichts gedacht. Ich schrieb in roter Farbe: ‚Du bist als Nächster dran, Doktor!'“
Der Doktor, dem Mouawiya damals drohte, soll Baschar al-Assad gewesen sein, schreibt Relotius in der Reportage.
Relotius: „Ich [Mouawiya] sah Familien, die erhängten sich vor ihren Häusern, nur aus Angst“
Er führt später in der Reportage auf, dass sich die Geschichte von Mouawiya Syasneh „deckt mit geheimen Dokumenten des syrischen Militärs, mit Berichten der Vereinten Nationen und mit dem, was Forscher über die Entstehung des Krieges wissen.“ Der Spiegel schreibt: „Neben einzelnen Faktenfehlern enthält dieser Text offenkundig massive Fälschungen.“
Vielleicht ist auch diese Textpassage gefälscht:
„In nur zwei Wochen im Juni, in Deutschland wird so gut wie nicht darüber berichtet, aber Weißhelme des Syrischen Zivilschutzes werden noch lange davon erzählen, fallen [durch Assads Truppen] 645 Fassbomben, 91 Napalmraketen und 645 Mörsergranaten auf Daraa. ‚Überall war Feuer, überall brannten Menschen. Ich sah Kinder, die im offenen Feuer Spatzen grillten, um nicht zu verhungern. Ich sah Familien, die erhängten sich vor ihren Häusern, nur aus Angst. Das Schlimmste war das Warten auf die nächste Bombe, das Geräusch, wenn sie vom Himmel fiel.‘ Seine Mutter und er, so erzählt Mouawiya, überleben; glauben fest, die ganze Welt blicke auf Daraa, sehe einfach zu, wie Assad alles vernichte.“
Syrien-Krieg „politisch korrekt“ dargestellt
Wie bei der vorherigen Titelgeschichte „Nass“, wo der angeblich menschengemachte Klimawandel Thema ist, so wurde auch hier „politisch korrekt“ Assad und der Syrien-Konflikt dargestellt, wie ihn der Leser sehen soll.
Und es geht weiter, ob in einer Reportage „Die letzte Zeugin“ zur Todesstrafe in Texas oder in der Reportage „Touchdown“, wo es um den schwarzen Ex-NFL Spieler Colin Kaepernick geht, der sich bei der US-Nationalhymne aus Protest hinkniet und sich alles um Rassismus, Diskriminierung und US-Präsident Donald-Trump und seine konservative Haltung dreht.
Auch in der Reportage „Deutsche Erde, Vaterland“, wird „politisch korrekt“ geschrieben. Hier geht es um die Bundestagswahl 2017 und die AfD. Die Nachprüfung des „Spiegels“ ergab Hinweise auf von Relotius frei erfundene Zitate.
Relotius: „Blaue Hüpfburg mit Aufschrift – ‚Hol dir dein Land zurück!'“
Relotius schrieb über eine Wahlparty der AfD in einem bayrischen Landgasthof, an der der Bundestagswahlkandidat Stephan Protschka teilnahm. Protschka widersprach Relotius Darstellung in der Reportage über die Wahlparty, dass es eine blaue Hüpfburg gegeben hätte auf der stand: „Hol Dir DEIN LAND zurück“.
Protschka distanzierte sich zudem von einem angeblichen Versprechen, das er laut Relotius seinen Kindern gegenüber gegeben haben soll – nämlich, dass er die „angebliche Islamisierung Deutschlands stoppen werde“. Protschka widersprach auch der Darstellung von Relotius, dass er in Bezug auf Migranten „von fremden Männern“ gesprochen habe.
Bei Relotius heißt es weiter, dass ein Parteifreund Protschkas von „Negern“ und „muslimischen Schleiereulen“ rede. Ein anderer hätte vom „größten Erfolg seit 1945“ gesprochen. Ein anderer schlage vor, man müsse zur Feier des Tages nach Braunau (Geburtsort Adolf Hitlers) fahren, „oan Kranz niederlegn“, schreibt Relotius.
Protschka meinte dazu: „Hätte das, was hier umschrieben wird, wirklich jemand von sich gegeben oder nur gedacht, hätte ich ihn persönlich aus der Feier entfernt.“
Entscheidender Veränderungsprozess steht dem „Spiegel“ noch bevor
Rund 60 Texte sollen in den letzten Jahren beim „Spiegel“ erschienen sein, die Claas Relotius allein geschrieben hat oder an denen er beteiligt war. „Viele haben sich als in wesentlichen Teilen gefälscht herausgestellt“, heißt es nüchtern in einem Fazit seitens des „Spiegels“.
Der „Spiegel“ nennt Relotius einen „Einzeltäter“ und führt Punkte auf, durch die man zukünftig einen solchen Betrugsfall verhindern möchte. Doch der entscheidende Veränderungsprozess, das wird an dem Abschlussbericht und der Nachrecherche deutlich, steht dem „Spiegel“ noch bevor.
Und das ist die „politische Korrektheit“ aufzugeben. Dieser Rahmen den man offenbar Reportagen als Gerüst vorgibt verführt möglicherweise Autoren den Inhalt, der nicht stimmig ist, passend zu machen. Dies bietet einen Nährboden zum Hinzudichten, zum massiven Verdichten, zum Weglassen oder Tatsachen verändern.
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