Spannungen in Österreichs Regierungsbündnis: Stolpert die schwarz-blaue Koalition über sich selbst?
Die seit 2017 regierende österreichische Bundesregierung unter Bundeskanzler Sebastian Kurz ist nicht nur mit einer deutlichen Mehrheit bei den Nationalratswahlen in die Legislaturperiode gegangen. Sie hat es zudem bis heute geschafft, ihren Rückhalt in der Bevölkerung aufrechtzuerhalten. Die jüngsten Steuerreformen, die bis 2022 eine Entlastung der Bürger in Höhe von insgesamt 6,5 Milliarden Euro bewirken sollen, dürften ihrer Popularität ebenso keinen Abbruch tun.
Unter den gegebenen Umständen wirkt es, als könne die schwarz-blaue Koalition aus bürgerlicher ÖVP und rechtskonservativer FPÖ nur an sich selbst scheitern. Entsprechend stark ist die Opposition bemüht, Schwachstellen innerhalb des Bündnisses zu identifizieren und gezielt anzugreifen – im Bestreben, den Zusammenhalt innerhalb der Koalition selbst zu unterminieren.
Diese Angriffspunkte gibt es trotz der Harmonie, die Kurz und sein Vizekanzler Heinz-Christian Strache seit ihrer Übernahme der Regierungsgeschäfte stets nach außen signalisieren. Innerhalb der ÖVP hat es zu jeder Zeit Kräfte gegeben, die einer Zusammenarbeit mit der FPÖ kritisch gegenüberstanden.
Kurz-Kritiker in der ÖVP wittern Morgenluft
Bis zur Übernahme der Partei durch den damals als Außenminister populären Sebastian Kurz dominierten diese sogar die Vorstände. Ihre politische Erfolglosigkeit hatte sie jedoch nach dem Führungswechsel lange Zeit „schmähstad“ [österreichischer Dialektausdruck für kleinlaut; d. Red.] werden lassen – zu wirkungsarm wäre ihre Kritik gewesen angesichts des Umstandes, dass die zuvor in den 20-Prozent-Keller abgestürzte ÖVP unter ihrem neuen, jungen Anführer wieder zur populärsten Kraft des Landes aufsteigen konnte.
Dass die „alte Garde“ nun jedoch wieder Morgenluft wittert, zeigen die jüngst veröffentlichten Memoiren des glücklosen Kurz-Vorgängers Reinhold Mitterlehner, der 2017 als mittlerweile fünfter Parteichef seit 2006 das Handtuch werfen musste. Mitterlehner, der Kurz und seinen Anhängern vorwarf, die Partei gleichsam handstreichartig an sich gerissen zu haben, übt jetzt auch zunehmend inhaltliche Kritik an dem schwarz-blauen Bündnis seines Nachfolgers.
Die FPÖ macht es ihm, vor allem aber der linken Opposition im Land, zurzeit aber auch nicht schwer, Zweifel an ihrer Vorzeigbarkeit auf internationaler Ebene zu schüren. Bereits Alt-Parteichef Norbert Steger hatte in den 1980er Jahren über „Kellernazis“ innerhalb der Partei geklagt, die ihre Wurzeln im „Dritten Lager“ der nationalfreiheitlichen und großdeutschen Bewegungen des 19. Jahrhunderts hat und aus dem Sammelbecken zuvor vom Stimmrecht ausgeschlossener Ex-NSDAP-Mitglieder, dem VdU entstanden war.
Gemeint waren einzelne Funktionäre, denen es an historischer Sensibilität oder innerer Distanz gegenüber dem NS-Regime fehlt und die in einer gewissen Regelmäßigkeit durch extreme Aussagen oder unüberlegte Rants das Ansehen der Partei belasten.
Strache-Posting sorgt für Unmut beim Koalitionspartner
Ausgerechnet am 20. April, dem Geburtstag Adolf Hitlers, veröffentlichte Christian Schilcher, der von der FPÖ gestellte Vizebürgermeister der Geburtsstadt des NS-Führers, in der örtlichen Parteizeitung ein Gedicht mit dem Titel „Die Stadtratte“, in dem andeutungsweise ein Zusammenhang zwischen Ratten und Einwanderern aus nichteuropäischen Kulturen hergestellt wird.
Die FPÖ-Führung ging zwar auf Distanz und Schilcher trat wenige Tage nach Bekanntwerden des Skandals aus der Partei aus – für Österreichs Linke allerdings ein willkommener Aufhänger, um mit der „Nazi“-Keule gegen die FPÖ die wirksamste Waffe auszupacken, die ihr in Anbetracht ihres Bedeutungsverlustes in den letzten Jahren verblieben ist.
Nicht nur Provinzfunktionäre, sondern auch Parteichef HC Strache hat sich selbst in eine unangenehme Lage gebracht, als er auf seinem Facebook-Account einen Artikel eines alternativen Nachrichtenportals teilte, der sich mit der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich befasste. Das Problem: Auf dem gleichen Portal finden sich auch NS-apologetische und die deutsche Kriegsschuld leugnende Inhalte.
Obwohl davon ausgegangen werden kann, dass Strache diese Ausrichtung des Portals nicht bekannt war, erregte die Angelegenheit Aufsehen und sorgte auch in den Reihen des Koalitionspartners, der ÖVP, für Nervosität.
Kritische Gesprächsführung oder Grenzüberschreitung?
Die jüngste Affäre, die auch über die Grenzen des Landes hinaus für Aufsehen sorgt, ist jene um den bekannten Nachrichtenmoderator des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ORF, Armin Wolf, der für seine offensive Fragetechnik gegenüber Interviewpartnern bekannt ist.
Sein jüngstes Fernsehinterview mit dem Spitzenkandidaten der FPÖ zur Europawahl, Harald Vilimsky, wirft einmal mehr die Frage auf, ob Wolf nicht die Grenze zwischen kritischer Gesprächsführung und diffamierender Agitation überschritten hat. In einer Einblendung zeigte Wolf eine Karikatur von einem Plakat der FPÖ-Jugendorganisation, die offenbar die Bedrohung der heimischen Lebensart durch islamische Einwanderung versinnbildlichen sollte.
Als Vilimsky sich auf Nachfrage nicht eindeutig von dem Motiv distanziert, zieht Wolf einen Vergleich zwischen dem Plakat und einer antisemitischen Karikatur im NS-Hetzblatt „Der Stürmer“. Das Interview eskaliert, Vilimsky droht Wolf Konsequenzen an.
In den Tagen darauf wird Wolfs Interviewführung aus den Reihen der FPÖ mit der Verhörtechnik des NS-Richters Roland Freisler verglichen. ORF-Stiftungsratschef und Alt-FPÖ-Obmann Norbert Steger legt Wolf nahe, ein „Sabbatical“ zu nehmen, „auf Gebührenzahler-Kosten durch die Welt [zu] fahren“ und sich „neu [zu] erfinden“. Die Opposition sowie linke und deutsche Medien werfen der FPÖ nun vor, die Pressefreiheit infrage zu stellen.
„GIS-Gebühren abschaffen wäre weitere kleine Steuerreform“
Schützenhilfe erhalten Wolfs Kritiker nun von Ex-RTL-Chef Helmut Thoma. Dieser sprach anlässlich seines 80. Geburtstages mit der „Kronen Zeitung“ unter anderem auch über die jüngste ORF-Affäre. Der gebürtige Österreicher war selbst noch beim ORF beschäftigt, als dieser noch unter der Führung des langjährigen Generaldirektors Gerd Bacher stand, der bis heute als eine Art Legende innerhalb der österreichischen Medienlandschaft gilt.
„Dass diese Interviewführung von Armin Wolf im ORF ohne Folgen bleibt, ist nicht zu verstehen“, erklärte Thoma. „Gerd Bacher hätte Armin Wolf nach seinem Interview mit diesem ,Stürmer’-Vergleich an den Ohren aus dem Studio der ,ZiB 2‘ gezogen und gesagt: ,Jetzt reicht’s!’“
Darüber hinaus riet Thoma der Koalition, ihre auch im Koalitionsvertrag angesprochene Ankündigung umzusetzen und das jeden Haushalt verpflichtende GIS-Gebührensystem zur Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu beenden. Dies wäre „eine zusätzliche kleine Steuerreform“.
Warnungen vor einer Gefahr für die Unabhängigkeit des ORF seien fehl am Platze. Thoma dazu: „Auch alle Richter werden in Österreich aus dem Budget bezahlt – und niemand zweifelt an deren Unabhängigkeit.“
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