Schallenbergs Perspektiven: # 2 Sozialstaat jenseits von Rechts und Links

Die Serie „Glaube und Gewinn – Schallenbergs Perspektiven“ untersucht einmal im Monat ökonomische und sozialpolitische Probleme aus christlicher Sicht. Wir freuen uns, die zweite Kolumne von Prof. Dr. Peter Schallenberg (Theologische Fakultät Paderborn) bei Epoch Times veröffentlichen zu können.
Titelbild
Prof. Dr. Peter Schallenberg.Foto: privat/Epoch Times
Von 7. November 2024

Seit Monaten wird in der politischen Debatte in unserem Land zum Teil sehr polemisch diskutiert, ob eine Partei oder ein politisches Denken rechts oder gar rechtsextrem sei, und das ist natürlich in den Augen vieler abstoßend und hässlich. Viel lieber ist man links als rechts, und von linksextremem Denken ist in der Öffentlichkeit kaum die Rede.

Dies gilt auch für den Sozialstaat und für Sozialpolitik: Links wird gleichgesetzt mit Fortschritt und sozialer Gerechtigkeit, rechts hingegen mit rückwärtsgewandter Konservativität und kalter Wirtschaftsgläubigkeit. Demonstrationen gegen rechte Politik scheinen immer gut und geboten; linke Politik scheint immer demokratisch und korrekt.

Das ist, um es kurz zu sagen, in meinen Augen Blödsinn, und zwar sowohl historisch als auch systematisch betrachtet. Historisch zuerst: Unsere heutige Unterscheidung von links und rechts geht ursprünglich auf die Sitzordnung in der französischen Nationalversammlung und im Jakobinerkonvent nach der Französischen Revolution zurück; rechts vom Präsidium aus saßen die gemäßigten, links die radikalen Jakobiner.

Das kam natürlich nicht von ungefähr. Im Hintergrund standen Rousseau und seine Frage: Woher kommt die Ungleichheit unter den Menschen und wie kann sie entweder gemäßigt ausgeglichen oder radikal ausradiert werden? Das war im extrem feudalisierten Frankreich des 18. Jahrhunderts eine drängende Frage, sie fand ihre gewaltsame Antwort in der Französischen Revolution.

Dort taucht auch schon der Frühkommunismus auf und so entstand die Debatte um eine eher reformerische oder revolutionäre Politik.

Daraus erwuchsen bis heute zwei grundlegend einander gegenüberstehende Konzepte der Politik: ein gemäßigter Liberalismus, auch seit dem späten 19. Jahrhundert im Gewand der katholischen Soziallehre als christlich-soziale Politik mit starker Betonung der Freiheit und der Verantwortung der Individuen, und ein radikaler Sozialismus, auch als klassenkämpferischer Kommunismus auftretend.

Erst die menschenverachtende Ideologie Hitlers und das brutale Regime des Nationalsozialismus brachten die endgültige Verunglimpfung der rechten liberalen Politik, da der Nationalsozialismus sich rechts vom linken Kommunismus positionierte. Seitdem gilt rechts als böse und links als gutmütig.

Und jetzt aber noch systematisch – in Wirklichkeit geht es immer nur um die Frage: Wem gebührt Vorrang und Freiheit der Entscheidung, der Person oder dem Staat? Wer hier mit Staat antwortet, neigt zu totalitärer Politik.

Wer sich für die Person entscheidet, will einen starken, aber schlanken Staat, der zu gleichen Teilen fordert (zu Arbeit und Steuern) und fördert (durch Bildung und Gesundheit); der zugleich aber wenig in private Entscheidungen (außer bei Grundwerten) eingreift, der nicht Forderung zur Leistung und Förderung von Leistungsbereitschaft durch öffentliche Alimentierung (wie das Bürgergeld) aushebelt und systematisch Individuen bevormundet.

Dies alles geschieht jedoch inzwischen im Namen einer radikalen Gleichheit und einer massiven Umverteilung von Gewinnen. Das entmündigt freies Unternehmertum und hat mit sozialer Marktwirtschaft wenig zu tun.

Unternehmerische Initiative wird erwürgt. Die richtige Balance von Fordern und Fördern aber ist weder rechts noch links, sondern schlicht und einfach dem eigentlichen Kapital des Staates angemessen: der Person! Und diese wird nach dem berühmten Bild der christlichen Soziallehre gefördert durch den barmherzigen Samariter im Lukasevangelium, damit sie nach der Genesung im Wirtshaus wieder gefordert werden kann.

Die Kolumne „Glaube und Gewinn“ von Prof. Dr. Peter Schallenberg (Theologische Fakultät Paderborn) erscheint einmal im Monat mit dem Fokus auf ökonomische und sozialpolitische Probleme aus christlicher Sicht.

Über den Autor:

Msgr. Prof. Dr. theol. Peter Schallenberg ist katholischer Priester, Inhaber des Lehrstuhls für Moraltheologie und Ethik an der Theologischen Fakultät Paderborn sowie Gastprofessor der Päpstlichen Lateranuniversität in Rom und der theologischen Hochschule Alba Julia in Siebenbürgen. Von 2010 bis 2024 war er Direktor der Katholischen Sozialwissenschaftlichen Zentralstelle (KSZ) in Mönchengladbach. Auf Berufung von Papst Franziskus ist er Konsultor im Dikasterium für die ganzheitliche Entwicklung des Menschen im Vatikan.

Dieser Beitrag stellt ausschließlich die Meinung des Verfassers dar. Er muss nicht zwangsläufig die Sichtweise der Epoch Times Deutschland wiedergeben.


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