Professor für Energiesysteme: Deutsche Strategie für Wasserstoff macht „fassungslos“

Deutschland braucht Wasserstoff für die Energiewende. Wie viel ist unklar, ebenso woher dieser kommen soll. Antworten auf diese und andere Fragen konnte das zuständige Ministerium nicht liefern. Epoch Times fragte nach bei einem, der sich seit über drei Jahrzehnten beruflich mit Energiesystemen beschäftigt: Prof. Dr.-Ing. Markus J. Löffler.
Deutschland setzt auf Wasserstoff.
Deutschland setzt auf Wasserstoff. Die Einzelheiten sind weiterhin unklar.Foto: Scharfsinn86/iStock
Von 4. Oktober 2024

Die Wasserstoffstrategie der deutschen Bundesregierung lässt viele Fragen offen. Unter den dringendsten Fragen ist nicht nur, woher der Wasserstoff kommen soll – im Gespräch ist unter anderem Australien –, sondern auch, wie viel die Bundesrepublik überhaupt benötigt. Ebenso ungeklärt ist, wie der Wasserstoff nach Deutschland kommt, wie er gespeichert wird und wofür er letztlich eingesetzt werden soll.

Letzteres lässt sich ganz grob mit „für die Energiewende“ beantworten. Unser Fragenkatalog an das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) blieb jedoch unbeantwortet, sodass weiterhin viele Fragen offen bleiben. Auch die abseits der Regierung verfügbaren Informationen aus Industrie und Forschung gehen weit auseinander.

Auf der Suche nach Antworten wandte sich Epoch Times an Herrn Prof. Dr.-Ing. Markus J. Löffler. Er war bis zu seiner Pensionierung im März 2023 Vorstandsmitglied des Westfälischen Energieinstituts in Gelsenkirchen und hat die Redaktion bereits bei der Erstellung der Fragen an das BMWK unterstützt.

Herr Prof. Löffler, wie empfinden Sie die vom BMWK vorgeschlagene Wasserstoffimportstrategie?

Mir fällt es durchaus schwer, zur aktuellen Wasserstoffimportstrategie des BMWK angemessene Worte zu finden, ohne eine zumindest leichte Fassungslosigkeit aufflammen zu lassen.

Warum? Das müssen Sie uns erklären.

Bereits im Ansatz weist die ministerielle Wasserstoffimportstrategie nur großzügig dimensionierte Wertebereiche aus. Dies selbst erkennend verrät das Ministerium den ausländischen Investoren für Deutschlands künftige Wasserstoffwirtschaft lediglich, dass Deutschland in Zukunft einen stark dynamisch zunehmenden Bedarf an Wasserstoff habe, vielleicht sogar noch mehr oder vielleicht dann doch eher weniger. Und dass man dabei mit Deutschlands Zuverlässigkeit rechnen könne.

Dass einige Zahlen inkonsistent sind, weckt bei mir erste Zweifel an dieser sogenannten Strategie, die ich bestenfalls als freundlich aufmunternde Absichtserklärung verstehe.

Sie sprechen Zahlen an. Wie sehen die aus? Worin liegt das Problem?

Das Bundesministerium spricht beispielsweise für 2030 von einem nationalen Wasserstoffbedarf von 95 bis 130 TWh pro Jahr. Bis 2045 sei mit einer Erhöhung auf jährlich 560 bis 700 TWh inklusive Wasserstoffderivaten zu rechnen. Die Bundesnetzagentur prognostizierte vor zwei Jahren einen Bedarf von 250 bis 650 TWh/Jahr. Meine Kollegen und ich gehen derzeit von 860 TWh pro Jahr aus, ebenfalls für 2045.

Die Deutsche Industrie- und Handelskammer Berlin geht für das Jahr 2050 sogar von einem Wasserstoffbedarf von jährlich 45 Millionen Tonnen aus. Das entspricht 1.458 TWh/Jahr. Insgesamt beträgt die Spannbreite des deutschen Wasserstoffbedarfs 2045 somit 250 bis knapp 1.500 TWh/Jahr. Die Werte unterscheiden sich um den Faktor sechs. Das ist alles andere als konkret.

Wie viel Wasserstoff darf's denn sein? Die Prognosen gehen teils weit auseinander.

Regierung, Industrie und Forschung kommen zu teils stark abweichenden Prognosen für den künftigen Wasserstoffbedarf Deutschlands. Foto: Markus Löffler

Das gleiche Spiel bekommen Sie, wenn Sie nach der Herkunft des Wasserstoffs fragen. Weil die Bundesregierung nicht geantwortet hat, habe ich das Internet befragt. Da werden Länder wie Australien, Chile und Kanada als Lieferanten genannt. Aus diesen Ländern können Sie Wasserstoff nicht per Pipeline beziehen, Sie müssen ihn verschiffen. Australien ist dabei nicht nur das Land, das am weitesten von Deutschland entfernt ist – der Seeweg ist über 23.000 Kilometer lang –, sondern zugleich jenes Land, das Deutschland die größte Portion Wasserstoff verspricht.

Woher kommt der Wasserstoff für Deutschland?

Mögliche Wasserstofflieferanten für Deutschland sind weltweit verteilt. Die durchschnittliche Länge des Seeweges zu den außereuropäischen Lieferanten beträgt zwischen 1.100 und 23.200 Kilometer. Foto: Markus Löffler

Die Strategie der Bundesregierung steht also auf tönernen Füßen …

So könnte man es sagen.

Wie sehen Sie generell die Wasserstoffpläne Deutschlands?

Korrekterweise müssen wir von Wasserstoff und Wasserstoffderivaten sprechen. Dazu gehören unter anderem Methanol und Ammoniak, die als Wasserstoffträger gelten. Auch synthetische Kraftstoffe fallen chemisch betrachtet in diese Gruppe. Das Problem ist aber, dass Deutschland weder das eine noch das andere wirtschaftlich in industriellem Maßstab herstellen kann.

Die Unwirtschaftlichkeit eines Elektrolysebetriebs in Deutschland ist spätestens seit einer Studie für die Europäische Kommission aus dem Jahr 2023 bekannt. Sie sollte damit auch dem BMWK bekannt sein. Geht man nun hilfsweise davon aus, dass der schwammig definierte künftige Wasserstoffbedarf Deutschlands fast nur vom Ausland bewältigt werden soll, kommen Zweifel auf, ob die Energiewende in Deutschland – die Wind-und-Sonne-Stromerzeugung soll 2045 ja nur etwa die Hälfte davon betragen – auf dem richtigen Weg ist.

Ist es zum Beispiel seriös zu glauben, dass das Ausland ausschließlich zum Nutzen Deutschlands mindestens die gleichen Kapazitäten der sogenannten Erneuerbaren installieren wird, wie Deutschland binnen der nächsten 15 bis 20 Jahre bei sich selbst in der Lage zu sein glaubt? Natürlich nach dem Zeitplan Deutschlands. 2040, spätestens 2045, muss ja alles stehen.

Geht man dann noch davon aus, dass die Produktionskapazität der künftigen ausländischen Wettbewerber um den derart beworbenen deutschen Wasserstoffmarkt – einen anderen scheint es aus Sicht der deutschen Bauchnabelpolitik weltweit nicht zu geben – sogar noch weiter erhöht werden müsste, damit Deutschland nicht in politische Abhängigkeiten einzelner Anbieter oder Länder gerät, werden die Ansprüche Deutschlands an das Ausland, insbesondere an weit entfernte und kaum beeinflussbare Länder, sogar noch höher.

Für mich hinterlässt die BMWK-Strategie den Anschein, dass Deutschland in Sachen Wasserstoff der H2-Embryo am virtuellen Nabel einer H2-Mutterwelt sei. Diese Wasserstoffmutterwelt muss jedoch ebenfalls erst noch unter Beteiligung aller beteiligten investitionsstarken Länder gezeugt werden. Auch dass diese Mutter vielleicht erst einmal ihren Eigenbedarf an Wasserstoff haben könnte, bevor sie Deutschland säugt, spielt in den Betrachtungen des BMWK keine erkennbare Rolle. „Die schaffen das schon für uns“, möchte man fast sagen.

Denken wir einmal positiv und gehen davon aus, dass die Wasserstofflieferungen Deutschland wie vorgesehen erreichen: Wäre Deutschland in der Lage, die erforderlichen Wasserstoffmengen zu bewältigen?

Mit den mir bisher verfügbaren Informationen bleibt mir das unklar. Denn: Dass unabhängig vom Land der Wasserstoffproduktion ausreichend Speichervolumen benötigt wird, ist dem BMWK derzeit nur eine qualitative Randnotiz wert. Entsprechende Vorschläge liegen derzeit nur von externen Instituten vor, nicht aber vom BMWK selbst.

Mit dem massiven Zubau solcher Wasserstoffspeicher, 75 TWh oder meines Erachtens eher über 150 TWh, müsste gestern begonnen werden. Verfügbar sind derzeit nämlich nur etwa 35 TWh in vorhandenen Kavernenspeichern. Der Umbau dauert etwa 5 Jahre, ihr Neubau 10 bis 12 Jahre.

Aufgrund des ausgesprochen hohen Speichervolumenbedarfs stellt sich zudem die Frage, ob es für das „Aussolen“ entsprechender Speicherkavernen überhaupt ausreichend qualifizierte Ressourcen und Zeitpuffer gibt. Ohne die zwingend erforderlichen Speicher kann Deutschland keinen Wasserstoff in den akklamierten Mengen importieren und voraussichtlich auch nicht selbst herstellen.

Sie haben vorhin die Studie für die EU-Kommission angesprochen, wonach die Herstellung hierzulande unproduktiv sei. Wörtlich schreiben die Autoren: „Germany, Belgium, the Netherlands and others have minimal or no hydrogen production.“ Sprich, Deutschland, Belgien, die Niederlande und andere haben minimale oder keine Wasserstoffproduktion.
Welche Folgen hätte es, wenn Deutschlands Privatinvestoren keine Investitionen in die deutsche Wasserstoffproduktion tätigen würden?

Sollte die Wasserstoffelektrolyse in Deutschland mangels Wirtschaftlichkeit ausfallen oder nicht vom Steuerzahler auf die eine oder andere Weise direkt oder indirekt subventioniert werden, könnte Deutschland die bereits heute auftretende und bemängelte Stromüberproduktion aus Erneuerbaren, insbesondere aus den sommerlich massiv überaktiven Photovoltaikanlagen, nirgendwohin mehr ableiten beziehungsweise entsorgen. Natürlich, Ausnahmen bestätigen die Regel, aber diese Überproduktion war ursprünglich zum Zwecke der Elektrolyse gedacht.

Dramatisch wäre dies insbesondere, wenn die für die Photovoltaik bis 2045 vorgesehenen insgesamt 400 GW Nennleistung ins Netz einspeisen. Derzeit ist hiervon ja lediglich ein Viertel installiert und selbst das verursacht bereits erste Probleme. Subventionierte Abschaltungen oder zumeist gebührenpflichtige Entsorgungsexporte im großen Stile – wohin auch immer – wären zwangsweise die Folge.

Dies wiederum hätte Rückwirkungen auf die gesamte Energiewende mit ihren zwingend auf Wasserstoffspeicher angewiesenen Wasserstoffkraftwerken sowie in Folge auch auf Sie und mich. Also auf die Stromverbraucher, die auf eine zuverlässige Stromversorgung angewiesen sind und eine verbriefte Garantie auf Versorgungssicherheit haben.

Ohne sofortige Auflösung dieses Dilemmas rückt die Umsetzung der Energiewende in weite Ferne. Auf diese Weise wird sie keinesfalls bis 2045 umsetzbar sein. Das derzeit in der Diskussion befindliche neue Strommarktdesign dürfte diesen Mangel meines Erachtens kaum heilen.

Haben Sie eine Empfehlung oder einen Rat?

Politik beugt keine Fakten, sondern Fakten beugen die Politik. Und je später die Politik das erkennt, umso teurer wird es. Und zwar in jeder Beziehung, nicht nur in wirtschaftlicher.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Tim Sumpf.

Zur Person:

Prof. Dr.-Ing. Markus J. Löffler promovierte an der TU Braunschweig als Energietechniker. Als Professor für elektrische Energiesysteme leitete er von 1996 bis zu seiner Pensionierung im März 2023 das Labor für Hochspannungs- und Hochleistungspulstechnik an der Westfälischen Hochschule in Gelsenkirchen. Er lehrte zeitweise zusätzlich an der Helmut-Schmidt-Universität (Hamburg) sowie an der Vilniaus Gedimino technikos universitetas (Vilnius, Litauen). Seit 2018 befasst er sich für das Westfälische Energieinstitut in Gelsenkirchen schwerpunktmäßig mit der rechnerischen Auswertung und Interpretation von Daten zur Energiewende.

Dieser Beitrag stellt ausschließlich die Meinung des Verfassers dar. Er muss nicht zwangsläufig die Sichtweise der Epoch Times Deutschland wiedergeben.


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