NZZ zur Corona-Politik: „Karl Lauterbach darf man nichts verzeihen“
Eine fehlende Fähigkeit, sich schwere Fehler in der Corona-Politik einzugestehen, hat Susanne Gaschke in der „Neuen Zürcher Zeitung“ (NZZ) Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach attestiert. Dies gelte ungeachtet seines jüngsten Eingeständnisses, die Politik habe mit der Schließung von Kindertagesstätten im Rahmen der Lockdowns einen Fehler begangen. Aufgrund seiner Rolle in den vergangenen Jahren sei Lauterbach einer jener Akteure, dem man „nichts verzeihen“ dürfe.
Spahn veröffentlicht Buch über das Verzeihen
Der Kommentar Gaschkes steht im Kontext der Debatte um das „Verzeihen“, die Lauterbach-Vorgänger Jens Spahn mit einer Wortmeldung auf RTL angestoßen hatte. Spahn war es, der zu Beginn der Corona-Pandemie im April 2020 erklärt hatte:
Wir werden einander wahrscheinlich viel verzeihen müssen in ein paar Monaten.“
Damit bezog er sich auf die Möglichkeit, dass die Politik angesichts der neuartigen Bedrohung weitreichende Schritte unternehmen würde. Ob diese angemessen oder zielführend sein würden, werde demgegenüber erst die Zukunft weisen.
In einem jüngst veröffentlichten Buch und im Gespräch mit RTL nahm Spahn nun auf seine damalige Aussage wieder Bezug. Mit Blick auf die „Verzeihenden“ – womit die Betroffenen der Corona-Maßnahmen gemeint waren – warb er um deren Empathie. Sie sollten die Bereitschaft zeigen, „erbittlich zu sein, zuzuhören, nicht zu verhärten“.
Er appellierte an das Verständnis, „warum jemand vielleicht auch einen Fehler gemacht hat“. Spahn erklärte, dass die Politik in der Corona-Pandemie „nach bestem Wissen entschieden“ habe. Trotzdem habe es passieren können, dass „man trotzdem falsch lag“.
Gaschke (NZZ): „Lauterbach hat seine Möglichkeiten nicht genutzt“
Nicht nur mit Blick auf Spahn, sondern auch auf dessen Amtsnachfolger Lauterbach, herrscht in sozialen Medien weitgehend Skepsis. Nutzer verweisen unter anderem auf die Härte der Maßnahmen und die Begleitrhetorik zu der Ausgrenzung, die viele Bürger erleiden hätten müssen. Ein schlichter Appell an die Fähigkeit zum „Verzeihen“ sei hier zu wenig.
NZZ-Autorin Gaschke sieht das ähnlich. Vor allem Lauterbach wäre „ohne Corona nicht Mitglied der deutschen Bundesregierung geworden“. Er habe sich „als Dauer-Mahner und -Warner in den Talkshows des Landes festgesetzt“. Die dadurch erlangte Popularität habe er genutzt, um ins Regierungskabinett zu gelangen.
Lauterbach habe jedoch die Möglichkeit nicht genutzt, um Kritiker durch seine Amtsführung zu überraschen. Er habe die Gesundheits-Infrastruktur nicht fit genug gemacht, um dessen angeblich drohende Überlastung als Argument für Einschränkungen des Alltagslebens zu beseitigen.
Spätfolgen für Kinder „überflüssiger Preis für dogmatische Politik“
Außerdem hätte er „eine unaufgeregte, aber schonungslose Aufarbeitung der deutschen Corona-Politik anstoßen können“. Dies hätte jedoch vorausgesetzt, Fehler und Übertreibungen klar zu benennen – eigene, als auch jene des Vorgängers. Diese Bereitschaft sei aber nicht zu erkennen gewesen:
Lauterbach überrascht niemanden, er bleibt sich treu: als düsteres Orakel und als jemand, der immer recht hat(te).“
Angesichts der Ergebnisse der jüngst veröffentlichten Studie des Deutschen Jugendinstituts und des Robert-Koch-Instituts hätte Lauterbach eine Chance zur Selbstkritik gehabt. Die Erkenntnis, dass Kinder „keine Treiber der Pandemie“ gewesen seien, hätte man ahnen können.
Aus den Kitaschließungen entstandene Traumata oder Bildungsrückstände – nur weil die „Vorsicht“ allein dem Virus gegolten habe – seien ein „überflüssiger Preis für eine dogmatische Politik“, so Gaschke.
„Verzeihen setzt auch Bereitschaft zur Korrektur voraus“
Lauterbach habe selbst erklärt, Kinder seien große „Virenschleudern“, erinnerte die NZZ-Kommentatorin. Auch andere Behauptungen des Talkshow erfahrenen Ministers hätten sich nicht als belastbar erwiesen.
In der Pressekonferenz zur Vorstellung der Kita-Studie erklärte auch Lauterbach, lediglich „den guten Künsten und der Wissenschaft“ gefolgt zu sein. Er habe weder Bedauern noch Mitgefühl noch eine Bereitschaft dazu signalisiert, künftig mehr Augenmaß an den Tag zu legen.
Der Minister, so Gaschke, habe auch die Chance nicht genutzt, über die Frage zu diskutieren, wie tiefgreifend Corona die deutsche Gesellschaft verändert habe:
Es ging ihm, auch angesichts eines haarsträubenden Befundes, nur um sich selbst: nichts zu korrigieren. Diesem Minister darf man gar nichts verzeihen.“
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