„Man muss die Nestbeschmutzer fördern“

Der Sinologe Professor Dr. Jörg Rudolph, Jahrgang 1951, ist Dozent und Geschäftsführer des Ostasieninstituts der Fachhochschule für Wirtschaft in Ludwigshafen. Er ist Herausgeber des China-Dienstes Sju Tsai - Die Welt der Chinesen (www.xiucai.oai.de) und war von 1997 bis 2002 Delegierter der Deutschen Wirtschaft in Peking und Gründungspräsident der Deutschen Handelskammer in China. Wir sprachen mit ihm über die chinesische Zensurbehörde im Allgemeinen sowie ihre Rolle im Vorfeld der Frankfurter Buchmesse im Besonderen und darüber, dass er chinesische „Nestbeschmutzer“ für durchaus förderungswürdig hält.
Titelbild
Kinder aus einem chinesischen Dorf treffen sich am Morgen zum traditionellen gemeinsamen Lesen. Traditionell lesen chinesische Schüler jeden Morgen zu Beginn zusammen im Chor. (Xu Jian)
Epoch Times11. Oktober 2009

Epoch Times: China, das Land mit der strengsten Zensur weltweit, ist in diesem Jahr Ehrengast der Frankfurter Buchmesse. Was ist Ihre Meinung dazu?

Professor Jörg Rudolph: Ich nehme mal an, dass die Buchmesse das Gefühl hatte, dass sie an dem Land mit den vielen Menschen und dem vermeintlich großen Buchmarkt nicht vorbei kommt. Deswegen haben sie China eingeladen. Das Problem der Frankfurter Buchmesse ist meiner Ansicht nach, dass sie ihre Buchmesse, das ganze Verlagswesen, das Drucken und das Veröffentlichen von Büchern überhöhen und immer mit dem freien Wort verbinden, das sie pflegen und das sie schützen. Nun, ich bin der Meinung, dass die Buchmesse ein Geschäftsunternehmen ist, da kommt es darauf an, dass Geld in der Kasse ist, und bei den Verlagen kommt es auch darauf an, dass Geld in der Kasse ist – deshalb machen sie ihre Buchprogramme.

Wenn man so an die Sache herangegangen wäre, hätte es wahrscheinlich viele Leute gar nicht interessiert, ob China Gastland ist oder nicht. Wenn man aber jetzt über das freie Wort redet und sich dann ein Land einlädt, in dem ganz frech Zensur praktiziert wird, dann darf man sich natürlich nicht wundern, wenn es Widerstand gibt, wenn Leute auftreten, um die Gelegenheit zu nutzen, gegen diese Funktionäre, gegen dieses Regime, gegen die Machthaber vorzugehen – sie zu stellen.

Epoch Times: Hat es Sie gewundert, dass im Vorfeld des Symposiums der Frankfurter Buchmesse von chinesischer Seite Druck ausgeübt wurde, regimekritische Autoren wieder auszuladen?

Rudolph: Nein, eigentlich nicht. Die Buchmesse oder die Mitorganisatoren des Symposiums – es waren ja auch der P.E.N. Club und noch ein paar andere – haben Leute eingeladen, mit denen offizielle Chinesen, also Vertreter des Regimes nicht in einem Raum sitzen möchten. Ich fand das eine gute Idee, solche Leute ebenfalls einzuladen, das müssen die offiziellen China-Vertreter nämlich mal lernen.

Epoch Times: Wie beurteilen Sie denn die Internetzensur in China?

Rudolph: Die meisten von denen machen ja nur Unsinn, irgendwelche Spiele … und dann gibt es eine Riesengruppe von – ich nenne sie gerne Chauvinisten oder der chinesischen Hybris noch verfallen – Nationalisten werden sie auch häufig genannt, die da mit unsäglicher Hetze arbeiten – gibt es auch, und dann gibt es  eine ganze Reihe von Leuten, die ich eigentlich für ganz vernünftig halte, wie den Li Datong dann gibt es andere die sind leider verhaftet wie Liu Xiaobo (Anm.: der ehemalige chinesische P.E.N.-Präsident), die können jetzt leider nicht mehr schreiben – die doch ihre Sachen dann immer irgendwie ins Netz kriegen. Wenn nicht in China, da wohl am wenigsten, dann im Ausland. Und ich weiß aus eigener Erfahrung, ich habe das dieses Jahr dreimal gemacht, in Shanghai und Peking, es ist überhaupt kein Problem beispielsweise auf Falun Gong-Seiten zu kommen über besondere Proxy-Server. Wer möchte, dass die Zensur wegkommt – da müssen die Chinesen selbst etwas machen, damit die Zensur weg kommt. Da kann ich den Chinesen leider nicht helfen, ich kann nur sagen, wenn ich welche treffe, dass ich das unmöglich finde. Ja, ich möchte in so einem Land nicht leben, in dem solche Verhältnisse herrschen, und wenn das woanders – wenn das hier passieren würde, dann würde ich etwas dagegen machen, oder ich würde dieses Land verlassen.

Es gibt Leute, die verklagen die Zensurbehörde, wussten Sie das?

Epoch Times: Nein, das wusste ich nicht.

Rudolph: Die haben ein Buch und wollen es veröffentlichen und die Behörde sagt: Nein, das dürft ihr nicht.  Die Autoren gehen dann zu Anwälten und klagen und sagen, in der Verfassung steht aber etwas Anderes, ich habe ja Publikationsfreiheit. Dann zögern die Gerichte das Ganze hinaus und lassen Fristen verstreichen, und natürlich gewinnen sie keinen Prozess gegen die Zensurbehörde, aber das ist auch ein Aspekt von dem, was in diesem Land los ist – völlig absurd eigentlich. Es gibt die Zensurbehörde, und sie können Klage gegen sie einreichen, und es gibt auch Anwälte, die da mitmachen. Nicht so viele, aber ein paar, und sie haben eigentlich keine Chance, aber der Kläger und der Anwalt laufen zumindest noch frei rum. Das Schlimme ist jedoch, dass das morgen schon wieder anders sein kann, und sie werden verhaftet.

Man muss ein bisschen die Nestbeschmutzer fördern, aber besser die chinesischen. Wang Lixiong ist so jemand, der hat ein Buch über die Uiguren geschrieben. Er hat mit Uiguren gesprochen und sie gefragt, wie sie behandelt werden und hat das alles in einem Buch aufgeschrieben mit dem schönen Titel „Mein Westen und Dein Ostturkestan“ – ein Buch, das natürlich in China nicht erscheint.

Epoch Times: Naja, ein Buch mit dem Namen „Ostturkestan“ im Titel zu veröffentlichen geht in China wohl gar nicht.

Rudolph: Nein! Absolut nicht. Dieser Wang Lixiong hat im ersten Abschnitt im Vorwort erstmal geschrieben: Xinjiang (Anm.: Die chinesische Autonome Region Xinjiang wird von den dort lebenden muslimischen Uiguren als Ostturkestan bezeichnet), was heißt denn überhaupt Xinjiang? Das heißt „Neue Grenze“, das ist also eine Eroberung. China ist ein Kolonialreich, ja. Das ist eine Eroberung der Mandschus gewesen. Sie haben das dann „Neue Grenze“ genannt.

Wang Lixiong macht da Ausführungen wie „Wieso neue Grenze, die Uiguren haben da immer gewohnt, für die ist das doch keine neue Grenze. Der Name alleine ist schon eine Beleidigung für die Uiguren“, so etwas hat er geschrieben.

Epoch Times: Über solche Themen gibt es kaum eine öffentliche Diskussion.

Rudolph: Die chinesische Gesellschaft ist eine geschlossene Gesellschaft, eine, die keine offene Diskussionen und keine Freiheit kennt. Die hat sie noch nie gehabt, außer in den 1930er Jahren vielleicht ein wenig.

Epoch Times: Wird das Internet diese Freiheit bringen?

Rudolph: Das Internet ist für mich keine öffentliche Veranstaltung. Schön zu haben, aber das ist keine Öffentlichkeit für mich. Öffentlichkeit ist, wie schon der Name sagt, wenn es offen auf der Straße ist, es muss auf der Straße passieren.

Epoch Times: Aber es gibt doch Leute wie den Künstler Ai Weiwei, deren Blogs eine große Breitenwirkung haben.

Rudolph: Er ist ein sehr mutiger Mann. In seinen Blogs im Internet ist von „Polizeistaat“ zu lesen, er nimmt kein Blatt vor den Mund und läuft noch frei herum. Warum? Weil er im Ausland verankert ist. Das spielt eine große Rolle.

Epoch Times: Obwohl das ja, wie bei Hu Jia, keine Gewährleistung für Sicherheit ist.

Rudolph: Ja.  Der war perfekt vernetzt und ist jetzt genauso weg wie alle anderen, oder viele andere auch.

Die Fragen stellte Florian Godovits

Dieser Beitrag stellt ausschließlich die Meinung des Verfassers dar. Er muss nicht zwangsläufig die Sichtweise der Epoch Times Deutschland wiedergeben.


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