Machtkämpfe nach Assad-Sturz: Droht ein regionaler Flächenbrand in Syrien?
Drei Tage nach dem Sturz des Assad-Regimes trüben sich die Hoffnungen auf einen friedlichen Neuanfang in Syrien ein. Zwar bleibt die Lage in den Gebieten, die von der Rebellenallianz unter der Führung von Hajat Tahrir al-Scham (HTS) eingenommen wurden, ruhig. Selbst eine erste Annäherung an russische Militäreinrichtungen verlief friedlich.
Allerdings machen Israel und die Türkei einander schwere Vorwürfe, die jeweils andere Seite würde die Situation für sich ausnutzen wollen. Aus Homs kommen Berichte, Anhänger der Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) hätten 54 auf der Flucht befindliche Soldaten der syrischen Streitkräfte gefangen genommen und exekutiert. Unterdessen sollen Geflüchtete bei Al-Arida mithilfe von Rebellen die Absperrungen an der libanesisch-syrische Grenze überwunden haben – um nach Syrien zurückzugelangen. Auch von der Türkei aus haben zahlreiche Geflüchtete den Weg zurück angetreten.
IDF will verwaiste Militär-Infrastruktur in Syrien für Terroristen unbrauchbar machen
Israel und die protürkische syrische Nationalarmee (SNA) haben derweil Militäroperationen innerhalb des syrischen Territoriums gestartet. Die israelischen Streitkräfte (IDF), die in den vergangenen Tagen bereits eine Pufferzone rund um die militärisch wichtigen Golanhöhen erweitert hatten, greifen nun Bestände der de facto außer Funktion befindlichen syrischen Armee an.
Der Zeitung „The National“ (Abu Dhabi) zufolge hat Israel seine Präsenz bis vor eine militarisierte Zone vor der Gemeinde Khan Arnabeh 25 Kilometer vor Damaskus ausgeweitet. Zuvor hatte die IDF Schiffe der syrischen Marine und das Center for Scientific Research in Damaskus zerstört. In diesem habe das Assad-Regime an chemischen Kampfstoffen geforscht und diese entwickelt.
Während die Türkei und arabische Golfstaaten der Regierung in Jerusalem vorwerfen, „Assads Sturz auszubeuten“, spricht Israel von notwendigen Vorsichtsmaßnahmen. Durch die Zerstörung der Bestände der syrischen Streitkräfte wolle man verhindern, dass terroristische Gruppen deren Waffen in Besitz nehmen könnten.
Erdoğan: „Werde keine Teilung mehr akzeptieren“
Wie der „Telegraph“ berichtet, rückt unterdessen die SNA in Richtung der mehrheitlich kurdischen Stadt Kobane vor. Diese hatten kurdische Einheiten 2014 und 2015 mithilfe einer US-geführten Koalition gegen einen Ansturm durch den IS verteidigt. Kurdische Stellen bestätigen Zusammenstöße in den vergangenen 24 Stunden – auch rund um den für die Versorgung wichtigen Tischrin-Damm. Am Montag hatte die SNA Manbidsch eingenommen.
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan hatte am Dienstag, 10.12., erklärt, er werde „eine Teilung Syriens nie wieder zulassen“. Dies lässt sich als Kampfansage an die autonome Region „Rojava“ interpretieren, die von kurdischen Einheiten beherrscht wird, die der terroristischen PKK nahestehen. Bis dato standen diese unter dem Schutz der USA. Allerdings ist offen, inwieweit Donald Trump bereit ist, auf deren Kosten eine Einigung mit der Türkei anzustreben.
Der israelische Außenminister Gideon Sa’ar forderte ein Ende der Angriffe auf die Kurdengebiete. Zugleich richtete auch Premierminister Benjamin Netanjahu eine Warnung an die neuen Machthaber in Syrien. In einer Videobotschaft äußerte er:
„Sollte das Regime dem Iran erlauben, sich in Syrien wieder zu etablieren, oder einen Transfer iranischer oder anderer Waffen an die Hisbollah erlauben, oder uns selbst angreifen, werden wir kraftvoll reagieren. Das alles würde mit einem hohen Preis verbunden sein.“
Netanjahu rief die internationale Gemeinschaft dazu auf, die Kurden zu schützen, die „tapfer gegen den IS gekämpft haben“.
Verständigung zwischen HTS und Kreml möglich?
Unterdessen haben Rebellen der HTS die Stadt Dschabla eingenommen, die sich in unmittelbarer Nähe des russischen Luftwaffenstützpunktes Hmeimim befindet. Wie die Nachrichtenagentur „TASS“ unter Berufung auf Augenzeugen meldet, hatten einige Kämpfer im Zentrum zwar Schüsse in die Luft abgegeben. Mittlerweile sei jedoch wieder Ruhe eingekehrt.
Zudem bestätigten „RIA Novosti“ und „Al Dschasira“ die Anwesenheit von „Formationen der syrischen Opposition“ in Tartus. In der zweitgrößten Hafenstadt des Landes befindet sich ein russischer Marinestützpunkt. Einem Vertrag zufolge, den der Kreml 2017 mit dem Regime von Baschar al-Assad abgeschlossen hatte, ist Russland die Stationierung bis 2066 gestattet.
Zuletzt hatte das russische Außenministerium mitgeteilt, dass die Militärbasen in Syrien zwar in erhöhter Alarmbereitschaft seien. Eine ernsthafte Bedrohung sei jedoch nicht vorhanden. Auch berichtet „TASS“ unter Berufung auf Quellen im Kreml, dass die Führer von HTS die Sicherheit der russischen Militärbasen und diplomatischen Einrichtungen garantiert hätten. Es gebe Gespräche mit deren Vertretern.
Türkei als künftig bestimmende Macht in Syrien
Russland war in den Jahren des syrischen Bürgerkrieges massiv gegen HTS und verbündete Rebellengruppen vorgegangen. Dennoch gilt es als wenig wahrscheinlich, dass die neuen Machthaber zeitnah ein Ende der russischen Präsenz in Syrien anstreben. Auch in Afghanistan hat der Kreml zu den Taliban ein konstruktives Verhältnis gefunden.
HTS dürfte kein Interesse daran haben, dass westliche Mächte in Syrien nach Assad Morgenluft wittern. Um das zu gewährleisten, erscheint eine – wenn auch eher symbolische – russische Präsenz als hilfreich. De facto ist jedoch die Türkei an die Stelle Russlands und des Iran getreten, wenn es um die Frage nach der einflussreichsten fremden Macht im zersplitterten Syrien geht.
Sowohl Russland als auch die verbliebenen US-Kräfte und Koalitionspartner werden künftig die Verständigung mit Ankara suchen müssen. Selbst HTS verdankt seine Stärke dem ruhigen Hinterland, das die Türkei den Milizen geboten hat.
Russland: „Haben unsere Ziele in Syrien erreicht“
Der Kreml hat unterdessen sein Narrativ zu Syrien verändert. In russischen Medien heißt es, in der Außenpolitik Moskaus würden „Entscheidungen auf der Grundlage ideologischer oder sentimentaler Erwägungen“ unwiederbringlich vorbei sein. Man helfe seinen Partnern und Verbündeten „auf einer für beide Seiten vorteilhaften Basis“ und unter Wahrung seiner Eigeninteressen. Zugleich hieß es aber auch:
„Unser Land übernimmt nicht mehr die Verantwortung für das Schicksal anderer.“
Mit der Zerschlagung des IS sei das zentrale Ziel der Syrien-Operation für Russland erreicht worden. Damit habe Russland verhindert, dass die Terroristen in die Lage gekommen wären, das Land von Zentralasien aus anzugreifen, während „der Westen die Ukraine für einen Krieg mit Russland vorbereitete“. Neben einem möglichen Zweifrontenkrieg, so heißt es nun weiter, sei es gelungen, die geo- und energiepolitischen Vorhaben des Westens in Syrien zu vereiteln.
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