Woche der Demokratie: Kritik auf der Straße – Fröhlich und friedlich

Sind Großdemonstrationen in Berlin noch möglich? Sind diese möglich, wenn sich Versammlungen gegen die Corona-Maßnahmen richten? Der 1. August 2022 hat gezeigt, dass die Menschen nach wie vor zu solchen Versammlungen kommen und sie bringen ihre Kritik friedlich auf die Straße.
Titelbild
Bunt und fröhlich – am 1. August 2022 in Berlin.Foto: Alexander Christ
Von 3. August 2022

In Berlin versammelten sich im Rahmen der am 30. Juli gestarteten „Woche der Demokratie“ zunächst einige Tausend Menschen vor dem Reichstag. Die Versammlung begann um 14 Uhr, zu einer Zeit, in der viele Berufstätige noch arbeiten müssen. „Für einen Montagnachmittag sind rund 4.000 Menschen schon beeindruckend“, sagte ein Demonstrant.

Nach einigen Reden macht sich ein langer Demonstrationszug auf den Weg durch Berlin-Mitte, unter anderen vorbei an den Häusern von ARD, ZDF und der „taz“. Im Laufe des Zuges schließen sich immer mehr Menschen an. Die Polizei schätzt die Teilnehmerzahl des als „Medienmarsch“ betitelten Demonstrationszuges zwischendurch auf Anfrage auf 4.500. Später korrigiert sie sich und beziffert die Zahl auf „mehr als 7.000“. Beobachter zählen allerdings rund 14.000 Zugteilnehmer. Der Tag endet symbolträchtig, wo er begonnen hatte, mit Abschlussreden vor dem Reichstag, dem Sitz des Deutschen Bundestages.

Erinnerungen an den 1. August 2020

„Diese Versammlung ist in ihrem dritten Jahr. Wir haben eindrucksvoll den 1. August 2020 in Erinnerung. Es war unklar, wie viele Menschen dem Aufruf jetzt folgen würden. Wir sehen aber, es ist vielen Tausenden weiterhin wichtig, und darum sind die Leute heute hier“, sagt ein über 80-jähriger Teilnehmer, der selbst zum wiederholten Mal nach Berlin gekommen war. Und er fügt schmunzelnd hinzu: „Das ist ein historischer Tag, an dem man für die Demokratie hier sein muss, da bleibt einem nichts anderes übrig.“

In der friedlich verlaufenden Versammlung auf dem Gelände vor dem Reichstag erinnern Redner wie Künstler Björn Banane und „Captain Future“ an die Versammlungen vor einem Jahr und 2020, bei der die offiziellen Teilnehmerschätzungen von Polizei und Veranstaltern besonders weit auseinanderlagen und bei der laut Veranstalter mehr als eine Million Menschen die Straße des 17. Juni regelrecht fluteten.

Rechtsanwalt Ralf Ludwig verliest zwei Briefe des derzeit in Stuttgart-Stammheim wegen des Vorwurfs von Spendenbetrug in Untersuchungshaft sitzenden Querdenken-Gründers Michael Ballweg. Etliche Demonstranten halten Schilder mit dem Aufdruck „Free Michael Ballweg“ in die Luft.

Die Causa „Michael Ballweg“ begleitet den gesamten Demonstrationstag, ging die historische Versammlung vor zwei Jahren doch auf die Initiative Ballwegs zurück. „Mir ist es besonders wichtig, heute an Michael zu erinnern“, gibt mir eine Teilnehmerin aus Leipzig eindringlich mit auf den Weg, „denn ohne ihn wären wir heute nicht hier.“

Ballweg sitzt seit ziemlich genau vier Wochen in Untersuchungshaft. Viel Kritik und Dank, intern wie extern, umgibt den Querdenken-Gründer, seit er Menschen zu überwältigenden Großdemonstrationen zusammengebracht hat.

„Die Bewegung ist groß und damit gefährlich aus Sicht mancher Politiker“, sagt Anwalt Ludwig in seiner Ansprache. Er erinnert daran, jetzt den Menschen Michael Ballweg nicht zu vergessen, der sich persönlich für die Demokratie eingesetzt und seine Existenz damit uneigennützig gefährdet habe, wie man jetzt sehe. Nun könne er gegenwärtig nur abwarten und Rudi Dutschke lesen; das Anwaltsteam arbeite derweil akribisch. „Die Menschen hier geben Michael aber den Dank zurück, indem sie heute so zahlreich hier sind“, so Ludwig weiter.

Friedliche und heitere Stimmung

Einen Zwischenfall gibt es am Rand der Standkundgebung. Der „rbb“-Reporter Olaf Sundermeyer, der laut einem eigenen Tweet auf Twitter einen „Blick auf die Protestmaschine, die sich in Berlin für einen ‚heißen Herbst‘ warm läuft“, werfen wollte, sieht sich irgendwann von Demonstranten umringt. Er berichtete, dass einige Demonstranten die „Überwindung der verfassungsgemäßen Ordnung in Deutschland“ gefordert hätten. In seinem Bericht „Querdenker und Montagsspaziergänger proben den Aufstand“ auf „rbb24.de“ heißt es später, über die Demo am Montag „konnte der rbb nur unter Polizeischutz berichten“. Beobachter, die in unmittelbarer Nähe von Sundermeyer standen, nahmen die Situation anders wahr. Sie berichteten von einem sehr aggressiv auftretenden, provozierenden Reporter, umringt von Kameras, der nervös auf seinem Mobiltelefon herumgetippt und sich wenig für Details der Reden interessiert habe. „Der Mann ist nur hier, um selbst zu provozieren“, so ein Demonstrant. Sundermeyer verlässt noch während der Reden den Platz.

Bemerkenswert an diesem Detail ist, dass der „rbb“ später berichtete, die Stimmung sei feindselig gewesen – das Gegenteil konnte man beobachten. Den gesamten Tag über bleibt die Versammlung friedlich und fröhlich. Es wird musiziert, getanzt und angeregt miteinander und mit Passanten diskutiert.

„Lügenpresse“-Rufe

Medienkritik ist die Kernaussage des Demonstrationszuges, der sich ab etwa 15:30 Uhr durch Berlin-Mitte zieht und dem sich immer wieder kleinere und größere Gruppen anschließen. Die Demonstranten ziehen zunächst am Bundestag vorbei zur Wilhelmstraße, werden vor dem „ARD“-Studio laut und biegen dann auf Unter den Linden ein, wo das „ZDF“ seinen Sitz hat. Vor dem „ZDF“-Gebäude Zollernhof stehen sechs Polizisten.

Über die Friedrichstraße, die Leipziger Straße und den Potsdamer Platz erreichen inzwischen gut 10.000 Menschen die Redaktionen des „Tagesspiegels“ und der Wochenzeitung „Die ZEIT“. Besonders laut werden die „Lügenpresse“-Rufe der inzwischen mit den Montagsspaziergängern vereinten Demonstranten vor dem Gebäude der „taz“, die ihren Sitz am Ende der Friedrichstraße hat. Dort blicken betroffene „taz“-Mitarbeiter von oben auf die Menschen im Zug herab. Ein Dialog entsteht höchstens symbolisch aus dem Gegensatz, der größer nicht sein könnte: wir da unten, ihr da oben. Eine Redaktion im Dienste der Regierungssache“, kommentierte ein mitlaufender Musikant unter den Demonstranten.

Studenten fordern Freiheit für die Wissenschaft

Auf dem Gendarmenmarkt nach 18 Uhr stockt der Zug. Hunderte Studenten der Bewegung „Studenten stehen auf“ haben sich auf den Stufen des Deutschen Doms niedergelassen und halten ein Transparent mit der Aufschrift „Freiheit für die Wissenschaft, Meinung & Lehre“.

Ein sehr bewegender Moment, der die Teilnehmer des Demozuges „erschauern“ lässt, wie eine sichtlich bewegte ältere Frau sagt. Sie fügt hinzu, es sei „wichtig, dass die Studenten hier so zahlreich vertreten sind, sie haben mit am meisten unter den Corona-Maßnahmen gelitten und können die verlorenen Jahre kaum nachholen.“

Studenten machen auf die Lage der Wissenschaft aufmerksam. Foto: Alexander Christ

Überhaupt die Transparente: Man liest Forderungen wie „Willkür unter dem Deckmantel der Solidarität – Wacht auf!“, Parolen wie „Journalisten: Hetzer, Schwätzer? Keine Wissenschaftler!“ oder „Nein zum weltweiten Pandemie-Diktat der Welt-Herrschafts-Organisation WHO“. Auf Plakaten wird aufgerufen, „Eure Lügen sind erkannt! Widerstand im ganzen Land!“

Es ist fast zwanzig Uhr, als noch immer weit über zehntausend Teilnehmer wieder auf der Wiese vor dem Reichstag ankommen, wo noch die Künstlerin Morgaine singen und unter anderen der Wirtschaftsjournalist Ernst Wolff sprechen werden. Wolff redet eindringlich – mit lauter Stimme – und bildet mit seiner Rede sozusagen den Höhepunkt des Tages. Er verweist auf den Zusammenhang zwischen den Corona-Ereignissen der vergangenen zweieinhalb Jahre und den Bestrebungen des „finanziell-digitalen Komplexes“, eine neue Weltherrschaft zu errichten. Aus Wolffs Sicht stehen im Herbst neue Herausforderungen bevor. Wie andere Redner vor ihm betont auch er: „Der Spuk ist keineswegs vorüber.“ Nach seiner Rede unterhalte ich mich mit ihm und höre heraus, dass er dennoch zuversichtlich ist. „Das war ein toller Tag heute in Berlin, wenn so viele Menschen kommen, ist das ein gutes Zeichen für den lebendigen Bürgersinn.“

Hinter dem Kanzleramt geht die Sonne unter, als die letzten Redner enden. Die Zahl der Demonstranten ist inzwischen nicht mehr wichtig. Der 1. August 2022 in Berlin ist – und bleibt – ein historisches Datum.

Der Artikel erscheint in der Wochenzeitung der Epoch Times am 5. August 2022, Ausgabe 56.

Dieser Beitrag stellt ausschließlich die Meinung des Verfassers dar. Er muss nicht zwangsläufig die Sichtweise der Epoch Times Deutschland wiedergeben.


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