Warum moderne Bildung am Wesentlichen vorbeiläuft

Für ein gutes Leben sollte man energisch bis zur Erschöpfung arbeiten. Darauf werden Kinder heutzutage in der Schule getrimmt. Doch das läuft weit am wirklichen Ziel der Bildung vorbei.
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Bildung sollte mehr sein, als nur eine Vorbereitung auf das Berufsleben.Foto: artisteer/iStock
Von 23. Mai 2021

Die Schule soll stets danach trachten, dass der junge Mensch sie als harmonische Persönlichkeit verlasse, nicht als Spezialist. Dies gilt meiner Meinung nach in gewissem Sinne auch für technische Fachschulen … Die Entwicklung der allgemeinen Fähigkeit zu selbstständigem Denken und Urteilen sollte immer im Vordergrund stehen, nicht der Erwerb von Spezialwissen. – Albert Einstein

Das Wort „Ende“ hat mindestens zwei Bedeutungen: das Erreichen eines Ziels oder der Tod oder das Scheitern von etwas. 

Ein großer Teil der heutigen Bildungskrise besteht darin, dass das Erreichen des Ziels oder der Zweck der Bildung in den Schulen und auf der Welt insgesamt so falsch verstanden wird, dass es tatsächlich die andere Bedeutung annimmt: ein Ende oder ein Scheitern der Bildung.

Eine wesentliche Ursache, warum der Zweck von Bildung missverstanden wird, ist, dass Bildung als utilitaristisch – also zweckorientiert – angesehen wird. Jedoch besteht der Zweck der Bildung nicht darin, unterwürfig zu werden, sondern frei. Das heißt, Bildung braucht man nicht um der Karriere, sondern um des Charakters willen. 

Das Ziel der Bildung ist es, den Menschen zu einer vollkommeneren Selbsterkenntnis im Zusammenhang mit den höchsten Wirklichkeiten zu bringen – und wenn Bildung von diesem Ziel abweicht, endet sie.

Heutige Bildung „zieht nicht heraus, sondern gräbt ein“

Moderne Bildungsstrategien tendieren dazu, breit angelegte Standards anzuwenden, um die Schüler mit Fähigkeiten des 21. Jahrhunderts auszustatten. Danach marschieren sie wie geldgierige Kämpfer los, um in einer globalen Wirtschaft des 21. Jahrhunderts zusammenzuarbeiten, innovativ zu sein und zu konkurrieren. 

Besonders rückschrittlich und entwürdigend ist die [in den USA] vorherrschende „Common Core“-Initiative. Dabei wurden umfassende Statistiken und Beurteilungssysteme entwickelt und umgesetzt, um die Leistungen der Schüler zu messen. Das soll sicherstellen, dass alle Schüler das gleiche Programm durchlaufen, um den Anforderungen von Hochschulen und Wirtschaft zu genügen.

Das Ziel von Bildung – von wahrer Bildung – ist jedoch nicht, einen Abschluss, einen Arbeitsplatz oder ein Finanzportfolio zu erhalten. 

Laut einem marxistischen Prinzip wird der Mensch durch seine Technik und Produktionsmittel bemessen. Und eine „Bildung“, die der Geschäftskultur nachempfunden ist, führt nicht heraus (e-ducere), sondern gräbt ein. Die Welt muss dringend zurück in die Schule, zurück zur Schulbildung.

Das Ziel und der Zweck von Bildung besteht darin, eine Person als Ganzes nach zeitlosen, inneren Werten zu formen, anstatt alle Menschen so zu erziehen, dass sie einer Reihe von zeitgenössischen einheitlichen, wirtschaftlichen Normen entsprechen. 

So entspricht Erziehung universellen menschlichen Wahrheiten und nicht den konkreten Angaben der Menge. Wenn die wichtigsten Dinge an erster Stelle stehen, findet alles andere auch seinen Platz.

Die Anforderungen von „Common Core“ sind viel zu allgemein, um sich mit dem menschlichen Kern zu befassen. Sie beschränken den Lernprozess auf eine Reihe von allgemeinen, zentralisierten Informationsveranstaltungen, die darauf ausgerichtet sind, Erfolg zu erzielen. Dabei liegt der Schwerpunkt nur auf grundlegenden Fakten für einen messbaren Abruf. 

Dafür muss der Mensch in einem Paradigma des kleinsten gemeinsamen Nenners auf eine empirische Ziffer reduziert werden. Das läuft so weit am Ziel der Bildung vorbei, dass es nur dazu dient, der Bildung ein Ende zu setzen.

„Eine Berufung zu etwas Höherem als uns selbst“

Echte Bildung hebt den Verstand aller Schüler zu den höchsten Bestrebungen des Menschen empor. Das umfasst auch die Fähigkeit des Schülers zur fantasievollen und emotionalen Wertschätzung der Realität sowie zu analytischen und wissenschaftlichen Denkgewohnheiten. 

Es ist jene Kultivierung des Geistes, die, wie John Henry Newman sagt, „sich auf unsere mentale Wesensart und die Bildung eines Charakters auswirkt.“

Für die Menschen des Altertums bestand das Ziel des Handelns und der Bildung darin, die Gefühle an die Wirklichkeit anzupassen, um Weisheit zu erlangen. Für die Menschen der Moderne besteht das Ziel des Handelns und der Bildung darin, die Wirklichkeit mithilfe der Technik an die Gefühle anzupassen.

Durch ein Übermaß an Technik und Überspezialisierung entfernt man sich von der Wirklichkeit und vom Leben. Das stumpft jedoch die Lust am Erleben und damit die Lernfähigkeit ab.

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Bildung bedeutet seit der Antike und bis in die jüngste Zeit hinein die Bildung des Charakters. Das Fresko „Die Schule von Athen“ des Renaissance-Künstlers Raffael gibt uns ein Panorama der um 1500 n. Chr. als maßgeblich angesehenen Wissenschaftler und Philosophen der Antike und der durch das ganze Mittelalter bis zur Renaissance hin wirkenden Tradition. Foto: Public Domain

„Bildung ist nicht der Erwerb von marktfähigen Fähigkeiten oder Selbstentwicklung, Kultur, persönliche Erfüllung oder sogar Wissen – obwohl diese Vorteile normalerweise auftreten; doch im Wesentlichen ist sie ein Ruf zu etwas Höherem als uns selbst“, schrieb einmal Dr. John Senior.

Er leitete in den 1970er-Jahren ein geschichtsträchtiges Programm an der Universität von Kansas namens „Integrated Humanities Program“. Sein Vermächtnis erfährt nun in verschiedenen akademischen Sphären immer mehr Aufmerksamkeit.

Ich erinnere mich, dass ich in dem Internat, das ich besuchte, zu etwas Höherem als mir selbst berufen wurde. Das erste Mal war um sechs Uhr morgens. Ich wurde vom Schulleiter geweckt, der in Gummistiefeln neben meinem Hochbett stand. Keiner meiner fünf Zimmergenossen war wach, aber die Vögel draußen schon. 

Er sagte mir, dass eines seiner Schafe unten in der Scheune so starke Klauenfäule gehabt habe, dass er es mit seinem Revolver erschießen musste, und der Kadaver müsse entsorgt werden.

„Du siehst so aus, als hättest du die Erfahrung nötig“, sagte er mir nüchtern, und er hatte recht. Nach einer kurzen Einweisung überließ er mir, einem Stadtkind, die dreckige, unvorstellbare Aufgabe, ein etwa 100 Kilo schweres totes Schaf in aller Herrgottsfrühe über Stock und Stein zur Müllkippe zu schleppen.

Das zweite Mal war nachts. „Ein Mutterschaf bringt gerade in der Scheune ein Lamm zur Welt“, sagte der Schulleiter zu mir. „Ich möchte, dass du bei der Mutter bleibst, bis das Lamm stehen kann.“ 

Mit einer Taschenlampe bewaffnet marschierte ich [zur Scheune]. Die Woche davor hatte ich es mit Tod zu tun gehabt und diese Woche mit Geburt. Ein Kreis schloss sich, der lehrreich war – und nicht, weil ich Schafzüchter lernte.

Bei der Bildung geht es darum, solche echten Lektionen aus der Wirklichkeit zu liefern – reine Lehrmomente, die die Lektüre und die Vorlesungen über das Wahre, das Gute und das Schöne untermauern und die Schüler auf die conditio humana vorbereiten, auf das Leben und den Tod. 

Das wahre Ziel der Bildung sollte die Bildung des Charakters einer Person sein. Das kann bedeuten, dass man mit dem gesamten Kreislauf des Lebens in Berührung kommt – von der Geburt bis zum Tod. Foto: iStock

Um dies zu erreichen, muss Bildung jedoch mit außergewöhnlicher Sorgfalt betrieben werden. Sie muss Erfahrungen kultivieren, die sowohl einen Lehrplan ergänzen und bestätigen als auch einen aufrichtigen Charakter in einer Atmosphäre der Freundschaft fördern: Erfahrungen im Klassenzimmer, auf dem Sportplatz, im Wald oder an jedem Ort, an dem man es am wenigsten erwartet – wie einem Schafstall.

Bildung kann überall stattfinden. Am besten ist sie, wenn sie Schüler mit dem wirklichen Leben in Berührung bringt – was lehrreich und prägend ist. Bei diesem Ansatz geht es darum, die Schüler mit der Wirklichkeit bekannt zu machen, indem man sie in eine Beziehung führt, die Mühsale und Freundschaft ausbalanciert. 

Englischlehrer sollten Schüler anspornen, sich mit Shakespeare zu beschäftigen, und sie dann beglückwünschen, wenn sie vor Gleichaltrigen einen Gedanken zu einem Sonett äußern. 

Trainer sollten ihre Schützlinge anspornen, sich körperlichen Ängsten zu stellen, und dann einen jungen Athleten anerkennen, wenn er sich auf einem Rugbyfeld eine blutende Nase zuzieht. Chorleiter sollten Perfektion einfordern und dann einen Schüler dafür ehren, dass er in der Messe schön gesungen hat. Leiter im Zeltlager sollten Spitzenleistungen fordern und dann einen Jugendlichen loben, wenn er am Feuer eine Geschichte erzählt.

Bildung lässt einen über die Wahrheit nachdenken

Bildung verfolgt ihr Ziel, wenn sie sich mit dem auseinandersetzt, über was alle Menschen als bewusste Wesen nachdenken sollten – die Wahrheit. Das Ergebnis ist nicht unbedingt „nützlich“, aber es ist gut und schön und macht uns zu Menschen.

Im günstigsten Fall folgt Bildung einer traditionellen Anthropologie. Diese sieht den Menschen als ein geistiges Wesen mit Verlangen, Verstand, Einfallsreichtum und Willen. Auf diese Weise fördert sie das Staunen – das die Wurzel des Nachfragens und der Beginn der Weisheit ist. 

Im schlimmsten Fall schneidet sie den Menschen vom göttlichen und moralischen Handeln ab und wird auf eine Reihe von Aufgaben und Tätigkeiten reduziert, die für die Erwerbsarbeit notwendig sind. Auf diese Weise werden die übergeordneten Neigungen des Menschen dem Erwerb von praktischem und alltäglichem Wissen untergeordnet.

Eine solche „Bildung“ bereitet die Schüler auf ein begrenztes Leben vor – und nicht auf ein Leben, in dem man über die Wahrheit um ihrer selbst willen nachdenkt – was das Ziel der Bildung ist. 

Diese philosophische Denkweise geht über bloßes Wissen hinaus. Sie geht über das System hinaus, das aus einer Ansammlung von Fakten besteht. Dabei können alle Dinge in ihrer richtigen Beziehung zueinander verstanden werden – eine Sicht, die nicht nur das Ziel der Bildung, sondern auch das des menschlichen Lebens darstellt.

„Der ganze Sinn der Bildung“, schrieb der englische Autor G. K. Chesterton, „besteht darin, dass sie dem Menschen abstrakte und ewige Maßstäbe gibt, nach denen er die materiellen und flüchtigen Zustände beurteilen kann.“

Bildung wird vortrefflich, wenn sie Tugenden kultiviert und zu jenem inneren und äußeren Wissen führt, das die Ordnung der sichtbaren und unsichtbaren Wirklichkeit begreift.  Die ganze Wahrheit der Dinge zu kennen und gut zu denken, um gut zu leben, ist die Vortrefflichkeit, nach der Bildung strebt: Das Erlangen von Selbstbestimmung und der Gewohnheit zur Tugend.

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G. K. Chesteron bei der Arbeit am „Crisis Magazine“. Foto: Public Domain

Bildung ist darauf herabgesunken, die Vortrefflichkeit des Menschen als bloßes Mittel und nicht als Zweck zu betrachten.

Das moderne Mantra lautet: Für ein gutes Leben sollte man energisch bis zur Erschöpfung arbeiten. 

Das heißt, man soll wirtschaftlich unabhängig sein und die Zeichen und Ausstattungen des weltlichen Erfolgs erlangen. 

Zum Leben gehört jedoch weit mehr als nur „gutes Leben“. Die heutige Idee des weltlichen Erfolgs strebt nur nach wirtschaftlicher Leistung, während das Ziel der Bildung die menschliche Tugend ist. 

Alles, was nach weniger als dem Letztgenannten strebt, trägt zum Ende der Bildung bei.

Sean Fitzpatrick unterrichtet Geisteswissenschaften an der „Gregory the Great Academy“, einem Internat in Elmhurst, USA. Seine Schriften über Bildung, Literatur und Kultur erschienen in verschiedenen Zeitschriften, darunter „Crisis Magazine“, „Catholic Exchange“ und „Imaginative Conservative“.

Dieser Artikel erschien im Original auf The Epoch Times USA unter dem Titel: The End of Education (deutsche Bearbeitung von as)

Dieser Beitrag stellt ausschließlich die Meinung des Verfassers dar. Er muss nicht zwangsläufig die Sichtweise der Epoch Times Deutschland wiedergeben.


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