Von Rushdie bis Bolton: Wenn der Iran die Lunte zündet
Das Attentat auf Salman Rushdie bei einem Vortrag in New York schockiert auch die Kulturwelt, die den islamkritischen Autor zu einem der ihren zählt. Die politischen Implikationen sind aber noch viel dramatischer. Zeigen sie doch einerseits eine gewachsene Vielfalt der terroristischen Bedrohungen. Auf der anderen Seite deutet aber auch manches auf einen gefährlichen Bezug zur iranischen Atomfrage hin, die wiederum die größte Gefahr für einen Kriegsausbruch in Nahost darstellt.
Der nach dem Messeranschlag verhaftete Hadi Matar ist ein Schiite libanesischer Abstammung mit angeblich indischen Wurzeln, der schon länger in den USA lebt. Damit treten nun auch die Schiiten als terroristische Bedrohung ins Bewusstsein.
Der bisherige Terrorismus war ja primär einer der Sunniten:
- Dazu zählt der „Islamische Staat“, dessen sadistische Massenmorde an Christen und Jesiden einen Höhepunkt erreicht haben, als der IS einen größeren Teil Syriens unter seine Kontrolle gebracht hatte; er ist aber auch quer durch Nordafrika aktiv.
- Dazu zählt die Konkurrenz durch al-Kaida, die vor allem durch die Zerstörung der New Yorker Zwillingstürme globale Berühmtheit errungen hat – eine Berühmtheit, die im Westen eine sehr traurige ist, die hingegen in der islamischen Welt große Begeisterung auslöst.
- Dazu zählen die Taliban, die nach dem US-Abzug ganz Afghanistan unter Kontrolle haben. Sie sind zwar weniger in anderen Ländern aktiv, sind aber umso mehr zur Katastrophe für Millionen Afghanen geworden, die jetzt unter einer gewaltigen Hungerkatastrophe, der völligen Entrechtung der Frauen und zahllosen Fällen von Folter und Willkür leiden.
Das Messerattentat auf Rushdie beweist nun, dass es auch eine schiitische Form des Terrorismus gibt, die ernst zu nehmen ist. Zwar gibt es die Tötungsaufforderung des iranischen Regimes gegen Rushdie schon lange, weil dieser in seinen Werken angeblich den islamischen Propheten Mohammed beleidigt hat, aber im Grunde war im Westen diese „Fatwa“ nicht sonderlich ernst genommen worden, sondern eher als Teil der islamischen Folklore des Mullah-Regimes in Iran abgelegt – oder gar vergessen worden.
Das war aber bei den Schiiten weltweit keineswegs der Fall. Es gibt jedenfalls keine direkten Beweise, dass der New Yorker Messerstecher aktuelle Befehle bekommen hat, Rushdie zu attackieren. Es ist durchaus möglich, dass dieser alte Tötungsaufruf aus einer Zeit vor seiner Geburt (!) ausreichend in Matars Bewusstsein verankert war, um ihn zu der Tat zu motivieren. Er könnte also ein bloßer Einzelgänger und kein Empfänger direkter Befehle aus einer Terrorzentrale gewesen sein („Islamischer Staat“ und al-Kaida behaupten hingegen nach jedem Anschlag eines ihrer Sympathisanten, dass dieser auf ihre Befehle gehandelt habe).
Die Einzelgängervariante ist alles andere als ein Entwarnungssignal. Denn sie heißt ja: Unter den Schiiten gibt es gefährliche Fanatiker, die von sich aus gegen vermeintliche Feinde losschlagen. Das ist beklemmend: Denn gegen sie gibt es keinen effektiven Schutz. Nicht einmal im Herzen des mächtigsten Staates der Welt. Nicht einmal für einen der weltweit bestgeschützten Menschen.
Noch wahrscheinlicher als die Einzelthese ist aber, dass es doch in irgendeiner geheimen Form eine aktuelle Initialzündung aus Teheran gegeben hat. Denn fast gleichzeitig gab es in den USA einen weiteren Attentatsversuch des Iran. Dabei war John Bolton das Ziel, der ehemalige Sicherheitsberater von Donald Trump. Bolton hat zwar keine Mohammed-kritischen Texte verfasst, aber er gilt im Iran als verantwortlich für einstige Aktionen gegen Führer der Revolutionsgarden.
Wie weit besteht zwischen den beiden Mordaktionen ein enger Zusammenhang? Seriöse Quellen im Bereich zwischen Geheimdiensten und Universitäten haben jedenfalls schon vor dem Rushdie-Anschlag die Biden-Administration zu genauer Beobachtung möglicher iranischer Mordnetzwerke aufgefordert.
Die Informationen über den vereitelten Anschlag gegen John Bolton stammen vom Iran-Spezialisten eines Geheimdienstblogs: „Es ist natürlich denkbar, dass der Iran größere Kapazitäten hat, in den USA zuzuschlagen. Diese hält er noch für andere Situationen bereit, wie etwa um auf eine amerikanische Militäraktion gegen die Nuklearkapazitäten des Iran zu antworten.“ Die Fähigkeiten des Iran und seiner libanesischen Verbündeten, der Hisbollah, zu Mord und Terror seien in vielen Ländern außerhalb der USA noch viel größer. Dieses Netzwerk könnte etwa für Schläge gegen amerikanisches Botschaftspersonal genutzt werden.
So zumindest der immer gut informierte „Lawfareblog“.
Welche Motive kann der Iran für Anschläge haben? Diese bestehen nicht in einer beabsichtigten Zwangsislamisierung wie beim IS, sondern haben sehr nationale iranische Wurzeln. Die eine ist die – immer wieder beschworene – Rache für amerikanische Schläge gegen die iranischen Revolutionsgarden, eine Art SS der Mullah-Regierung, die vor allem im Irak und auch Syrien Krieg führt.
Die zweite Wurzel sind die in Wien laufenden Gespräche über eine Verhinderung einer iranischen Nuklearbewaffnung. Diese scheinen in einer entscheidenden Phase zu stehen, die zu einem Stopp der iranischen Atomrüstung führen könnte. Ein solcher Stopp stört mit Sicherheit den radikalen Flügel im iranischen Machtspiel. Diesen Stopp erreicht man mit Sicherheit, wenn die USA einen starken Schlag gegen iranische Ziele auch außerhalb des Irans starten würden. Dann wären die gemäßigteren und kompromisswilligen Kreise in Teheran mundtot gemacht.
Ein solcher Angriff ließe sich ganz eindeutig am leichtesten durch einen erfolgreichen Anschlag – oder gar eine Anschlagserie auf US-Boden provozieren. Denn mit Sicherheit hätten die USA – gerade weil sie in einer tiefen inneren Spaltung stecken – massiv reagieren müssen, wenn Rushdie und Bolton fast gleichzeitig ums Leben gekommen wären. Sicherheitsexperten sind deshalb extrem besorgt, dass noch irgendwo anders vielleicht schon weitere Lunten mit dem gleichen Ziel gezündet sind, um eine Reaktion der USA zu provozieren.
Über den Autor
Andreas Unterberger war 14 Jahre Chefredakteur von „Presse“ bzw. „Wiener Zeitung“. Er schreibt unter www.andreas-unterberger.at sein „nicht ganz unpolitisches Tagebuch“, das heute Österreichs meistgelesener Internet-Blog ist.
Dieser Artikel erschien zuerst in der Epoch Times Wochenzeitung, Ausgabe Nr. 58, vom 20. August 2022.
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