Unterdrückung von freiem Journalismus: Der Global Disinformation Index
„Unherd“ – das ist ein nettes englisches Portal, ziemlich intellektuell, mit einem kleinen feinen aristokratischen Anstrich. Sie betreiben neben dem Internetportal auch ein Café und einen Club in London (so einen mit Ledersesseln, Holzvertäfelung und interessanten Vorträgen – nicht das, was die deutsche Jugend unter einem „Club“ versteht).
Der Name ist ein Wortspiel und kann als „abseits der Herde“ oder als „ungehört“ verstanden werden. Und das ist auch ihr Motto. Sie veröffentlichen Autoren, die ein bisschen abseits des Mainstreams schwimmen. Kathleen Stock, die genderkritische Philosophieprofessorin, die von ihrem Lehrstuhl gejagt wurde und seitdem preisgekrönte Kolumnen schreibt oder etwa Julie Bindel – eine linke Vorkämpferin für Frauenrechte, veröffentlichen dort regelmäßig.
GDI entscheidet
Im Gegensatz zu „Unherd“, das in England doch ziemlich bekannt ist, hat kaum je ein Mensch vom „Global Disinformation Index“ (GDI) gehört. Und schon gar nicht von seiner Rolle, Debattenräume einzuengen und unliebsame Beiträge als Desinformation zu labeln. Aber genau das tun sie in großem Stil.
Möchte ein Unternehmen gerne für seine Produkte werben, bucht es eine Marketing-Agentur. Diese ist nicht nur für flotte Sprüche und attraktive Bilder zuständig, sondern auch für die bestmögliche Platzierung in passenden Journalen.
Möchte ein Medienunternehmen gerne Anzeigenkunden gewinnen, klappert es nicht einzelne Unternehmen ab, es beauftragt eine Werbeagentur. Diese erstellt ein Profil, das zeigt, wie gut sich deren Magazin als Werbeträger eignet: Wie viele Leser hat das Medium, wie alt, wie wohlhabend, wie einflussreich sind diese?
Die eine Agentur vermakelt die Werbeflächen, die andere sucht passende Medien, um möglichst viel Nachfrage für ihre Kunden zu erzeugen. Angebot und Nachfrage treffen auf einer Plattform aufeinander. Im Falle von „Unherd“ war es die Plattform „Grapeshot“, die zum Oracle-Konzern gehört.
Bei Plattformen bilden sich natürliche Monopole. Für jede Agentur ist es der beste Weg, die größte Plattform anzusteuern – so können sie die meisten Kunden finden. Wenn es auch viele, viele Werbeagenturen gibt – Plattformen wie Grapeshot gibt es nur sehr wenige – und die wenigen „Konkurrenten“ gehören oft auch zu Oracle. Und hier kommt der Global Disinformation Index ins Spiel.
Medienunternehmen, die sich bei Grapeshot als Werbeträger anbieten, bekommen dort automatisch ein Rating durch den GDI. Fällt dieses ungünstig aus, werden sich die Werbekunden von ihm fernhalten – es könne der Marke schaden, denn das Unternehmen verbreitet angeblich Falschinformationen.
Wer steckt hinter GDI
Aber wie findet der GDI heraus, welche Nachrichtenportale geringe und welche eine hohe Vertrauenswürdigkeit besitzen? Und wer ist dieser GDI überhaupt? Der GDI wurde 2018 in England gegründet, mit dem erklärten Ziel, das Geschäftsmodell von Onlineportalen zu ruinieren, wenn diese Desinformationen verbreiten.
Laut Recherchen von „Unherd“ wird es neben der EU, dem deutschen Außenministerium, der UK-Regierung und dem US State Department auch von der Open Society Foundation finanziert. Auf der Website des GDI selbst sind die Angaben zur Finanzierung sehr nebulös. Es ist allgemein von Regierungen, Stiftungen und finanzieller Unabhängigkeit die Rede.
GDI gibt also eine automatische Beurteilung ab, ob das Medienunternehmen „sicher“ ist, um den Markennamen zu schützen und sitzt an der Schnittstelle der unterschiedlichen Agenturen.
Die Gründer des GDI sind Daniel Rogers und Clare Melford. Ersterer kommt aus der amerikanischen Defence and Intelligence Community, letztere aus der Open Society Foundation von George Soros.
War anfangs noch die Rede davon „absichtlich falsche Inhalte, die Täuschung zum Ziel haben“, zu unterbinden, haben die Gründer die Definition von „Desinformation“ später ausgeweitet. Nun heißt es, Geschichten könnten zwar faktisch richtig sein, trotzdem aber großen Schaden anrichten.
Ein Algorithmus untersucht nun die Inhalte von Webseiten darauf, ob sie „adverserial narratives“ (etwa: gegnerische oder kontroverse Narrative) enthalten. Also Narrative, die nicht dem Mainstream entsprechen. Faktisch richtig ist nicht mehr wichtig.
Auf der Ausschussliste
Und hier fielen die Macher von „Unherd“ auf die Nase. Sie konnten nicht ganz verstehen, wie das zuging: Jede Werbeagentur, die sie anheuerten, war begeistert von ihrem Profil, aber keine konnte nennenswerte Werbekunden finden.
Bei der dritten sahen sie zufällig auf dem internen Dashbord der Agentur, dass sie auf der „Dynamic Exclusion List“ des GDI standen, also unter den allergefährlichsten Medienunternehmen geführt wurden, die aufgrund hoher Desinformationsdichte keine Werbekunden bekommen sollten.
Nach einiger Recherche, wer denn der GDI ist, legten sie Beschwerde ein. Sie sehen sich als Vertreter des Qualitätsjournalismus mit hochrangigen Autoren. Wie, bitte, sollten sie auf so eine Ausschlussliste gekommen sein? Aber ihre Beschwerde wurde abgewiesen. Sie würden weiterhin auf der Liste bleiben, beschied der GDI, denn: Sie bedienten Anti-LGBTQI- Narrative.
Kathleen Stock dürfe bei ihnen schreiben, daher sei die Seite Anti-Trans, so ließ sie der GDI in einem auf der „Unherd“-Seite veröffentlichten Brief wissen. Kathleen Stock kann man höchstens vorwerfen, lieber sieben zusätzliche Nebensätze einzufügen, anstatt einmal ein wenig ungenau zu argumentieren. Aber das ist unerheblich.
Der GDI behauptet gar nicht, dass Stock falsche Dinge schreibe, sondern nur, dass diese genderkritisch seien. Desinformation – das sind nach Definition des GDI unliebsame Themen oder unliebsame Autoren.
Zugespitzt ausgedrückt: Wenn Kathleen Stock berichtet, das Internationale Olympische Komitee habe Menschen mit XY-Chromosom in der Frauenkategorie zugelassen, dann ist das zwar richtig, wird aber als Desinformation gewertet.
Neben genderkritischer Berichterstattung nennt Clare Melford in einem Vortrag an der London School of Economics auch noch Klimawandel, Einwanderungsdebatte, Antisemitismus, Rassismus und einiges mehr als Gründe, auf diese Ausschlussliste gesetzt zu werden.
Sieht man heute auf die GDI-Website, so ist an prominenter Stelle der Ukraine-Krieg dazugekommen. Wer die NATO-Strategie einer kritischen Analyse unterziehen möchte, der hat Werbekunden gehabt.
Kann man sich nicht ausdenken
Beispiele des GDI, warum ihre Arbeit so wichtig sei:
– Seiten, die offensichtlich lügen und behaupten, dass im Juni ’21 ein Drittel der COVID-Toten in England geimpft war, sind hochgradig gefährliche Desinformanten, so Clare Melford. Die Zahlen stammten aus dem Nationalen Statistikamt.
Bei großen Seiten schaut nochmal ein Mensch darüber, doch kleinere Nachrichtenportale werden über Algorithmen bewertet. In einer Medienlandschaft, die sich zu einem großen Teil über Werbung finanziert, kann so ein Rating über das Leben oder den Konkurs eines Kanals entscheiden. Ob das, was eine News-Seite berichtet, richtig oder falsch ist, wird von einer kleinen Gruppe bestimmt, die den Algorithmus füttert und falsch als „gegen den Mainstream“ definiert. Ohne Expertise. Ohne demokratische Legitimation. Aber mit öffentlichen Geldern.
Eine Anfrage im britischen Parlament legte offen, dass der GDI vom Außenministerium über drei Jahre mit 2,6 Millionen Pfund unterstützt wurde. Und dass die Kontakte weiter anhielten.
Und „Unherd“? Das kann man weiterhin ohne Werbung lesen – dafür aber mit Abobeiträgen. Sie bieten noch immer interessante, aber kontroverse Vortragsabende an in ihrem Club und überteuerten Tee in ihrem Café. Aber ein Happy End sieht trotzdem anders aus.
Das System GDI erschwert jede relevante Diskussion über Krieg, Frieden, Gender, Klimawandel oder Zuwanderung. Wer ernsthaft Fragen stellt und nach einer neuartigen Lösung sucht, wird als Desinformant bestraft. Wer brav das Regierungsnarrativ nachplappert, belohnt. Freie Presse geht anders.
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