Schwedische Corona-Politik erfolgreicher als die deutsche?
Ein Blick auf die jüngsten Zahlen der an oder mit Corona Verstorbenen in Deutschland und Schweden zeigt, dass Schweden seit dem letzten Dezember-Viertel im Jahr 2020 pro eine Million Einwohner eine niedrigere COVID-Sterbequote pro Million Einwohner hat als Deutschland, obwohl es dort weder Maskenzwang noch Lockdown noch gravierende Grundrechtseinschränkungen gibt:
Für die Zahlen in der Tabelle wurde der jeweilige 7-Tages-Durchschnitt zum aufgeführten Zeitpunkt verwendet und die Bevölkerungszahlen von 2019 zugrunde gelegt (Deutschland 83,2 Millionen Einwohner, Schweden 10,33 Millionen). Deutschland hat etwa achtmal so viele Einwohner wie Schweden.
Anders ausgedrückt: In dem Moment, in dem die Sterbezahlen in Deutschland mehr als etwa das Achtfache betragen, ist die Sterblichkeit pro 10 Millionen Einwohner in Deutschland höher als in Schweden. Die Tabelle zeigt, dass seit dem 23. Dezember die bevölkerungsbereinigte COVID-Sterblichkeit in Deutschland höher liegt als die Schwedens, und zwar um 7 bis 23 Prozent. Der Rückgang zu den Feiertagen (23.12. bis 27.12.) zeigte sich in beiden Ländern gleich stark, D: -20,3 Prozent, S: -21,6 Prozent.
Da die schwedischen Statistiken immer einen Rückstand von gut 10 Tagen haben, wurde als letzter Wert derjenige vom 28. Dezember ermittelt, für den laut offiziellen schwedischen Medien verlässliche Zahlen vorliegen. [Quelle: https://www.svt.se/datajournalistik/the-spread-of-the-coronavirus/, Stand 5.1.2021, abends]
Aber auch die schwedischen Werte bis zum 28. Dezember können (wie in Deutschland) noch nachträglich nach oben korrigiert werden, sodass die in der Tabelle ermittelten Werte möglicherweise noch zu Ungunsten von Schweden angepasst werden müssen. Trotzdem ist der Trend klar: Die deutsche COVID-Sterblichkeit ist in den letzten Wochen deutlich stärker gestiegen als die schwedische und dürfte letztere bevölkerungsbereinigt kurz vor Jahresende 2020 überholt haben.
So stellt sich die Frage: Was haben die gravierenden Zwangsmaßnahmen in Deutschland eigentlich gebracht? Waren sie möglicherweise vollkommen unverhältnismäßig?
Denn genau jetzt, Mitte/ Ende Dezember, müssten doch die Erfolge der Lockdowns in Form von niedrigen COVID-Sterbezahlen auftreten, da der Zeitraum von der Infektion bis zum Tod bei Corona 20 bis 25 Tage beträgt. Sinn und Zweck der harten deutschen Lockdown-Maßnahmen ist ja vor allem, die Corona-Sterblichkeit zu senken.
Aber genau dieses Ziel wird offenbar, verglichen mit Schweden, nicht erreicht. Warum machen wir es also nicht wie Schweden? Warum versuchen wir es nicht auch mit Toleranz und Liberalität? Ohne Angst- und Panikstimmung, ohne Aggression im täglichen Miteinander?
Was die bevölkerungsbereinigte COVID-Sterblichkeit im internationalen Vergleich anbelangt, so liegt Schweden deutlich unter derjenigen der USA und Großbritannien und kaum mehr über derjenigen von Europa, wie das folgende Schaubild zeigt (die zweite Linie von unten bildet die Zahlen der EU ab, die dritte Linie von unten die Zahlen von Schweden).
Während Schweden in der ersten Corona-Welle im Frühling eine sehr hohe Corona-Sterblichkeit hatte und kumuliert deutlich über dem europäischen Durchschnitt lag, hat Europa mittlerweile mit Schweden weitgehend gleichgezogen, trotz harter Lockdowns in den allermeisten europäischen Ländern.
Auch der deutsche Corona-Vorsprung wird immer geringer, wie das Schaubild gut zeigt. Hatte Schweden bis zur zweiten Corona-Welle bevölkerungsbereinigt noch etwa fünfmal so viele Corona-Tote wie Deutschland, so sind es derzeit nur mehr knapp doppelt so viele. Deutschland schließt also immer mehr zu Schweden auf [Anm. d. Autors: Deutschland 479 COVID-Tote pro eine Million Einwohner, Schweden 931, Schweden hat derzeit also 1,94 Mal mehr Corona-Tote, https://www.worldometers.info/coronavirus/, Stand 8. 1. abends].
Mit anderen Worten: Maskenzwang, harte Lockdowns und gravierende Grundrechtseinschränkungen konnten während der zweiten Corona-Welle nicht verhindern, dass die COVID-Mortalität im europäischen Durchschnitt mittlerweile ähnlich hoch ist wie in Schweden, der „Vorsprung“ Deutschlands immer mehr zusammenschmilzt und sich in den letzten Tagen sogar in höhere bevölkerungsbereinigte COVID-Todeszahlen als in Schweden verwandelt hat.
Wozu also die ganzen Ökonomie abwürgenden, staatlichen Zwangsmaßnahmen, die zu erheblichen Kollateralschäden in der Gegenwart und vor allem in der Zukunft führen, wenn sie nicht einmal zu einer signifikant niedrigeren COVID-Mortalität führen?
Am Rande sei bemerkt, dass das Durchschnittsalter der an oder mit Corona Verstorbenen in Schweden bei 84 bis 86 Jahren liegt, die durchschnittliche Lebenserwartung für Männer 81 Jahre und die für Frauen 85 Jahre beträgt. Entgegen den Panik heischenden Berichten in der deutschen Presse ist auch die Situation in den schwedischen Krankenhäusern offenbar nicht ungewöhnlich dramatisch, obwohl Schweden über eine der niedrigsten Intensivbettenausstattungen Europas verfügt. Die Zahl der auf schwedischen Intensivstationen behandelten Menschen war im Frühjahr, während der ersten Corona-Welle um 30 bis 50 Prozent höher als im Dezember.
Die Gesamtsterblichkeit in Schweden
Aber nicht nur bei der COVID-Mortalität schneidet Schweden im Vergleich zu Deutschland und anderen Industrieländern gut ab. Betrachtet man die Gesamtsterblichkeit pro eine Million Einwohner, so gibt es im Jahr 2020 bis einschließlich November keinen Hinweis auf eine gravierende Pandemie, wie das folgende Schaubild zeigt:
Betrachtet man den Verlauf der Gesamtsterblichkeit in Schweden im Jahr 2020, so erkennt man, dass sie im November kumuliert etwa genauso hoch war wie im Durchschnitt der vergangenen fünf Jahre (hellgrau). Angesichts dieser Zahlen von einer Pandemie zu sprechen, ist absurd.
Trotzdem hieß es beispielsweise auf „tagesschau.de“ am 18. Dezember: „In Schweden sind im vergangenen Monat sogar so viele Menschen gestorben wie in keinem November der letzten 100 Jahre.“ Es findet sich bei „tagesschau.de“ kein Hinweis darauf, dass die Bevölkerung Schwedens vor 100 Jahren mit 5,8 Millionen nur gut halb so groß war wie heute.
Bevölkerungsbereinigt muss man nicht 100 Jahre, sondern nur 10 Jahre zurückgehen (2010), damit man ein Jahr findet, in dem es eine höhere Sterblichkeit als im November 2020 gab. Kann man da noch von seriöser Berichterstattung im führenden deutschen Staatssender sprechen? Ist das nicht eine Interessen-geleitete, irreführende Fehldarstellung im deutschen Staatsfernsehen?
Die Gesamtmortalität pro 1.000 Einwohner bis Kalenderwoche 44, also bis etwa Mitte November, lag 2020 in Schweden ziemlich exakt auf der Höhe der Jahre 2016, 2017 und 2018. Von einer Pandemie im Sinne einer gravierenden landesweiten Gesamt-Übersterblichkeit für 2020 zu sprechen, ist daher wissenschaftlich betrachtet haltlos.
Corona-Politik in Schweden
In vielen deutschen Medien wird häufig vom Scheitern des schwedischen Weges berichtet, von unverantwortlich hohen Todeszahlen, und dass Schweden nun den gleichen Pfad wie Deutschland einschlägt. Die Fakten sind jedoch folgende: Es gibt nach wie vor keinen Maskenzwang.
Seit 7.1.2021 gibt es eine Empfehlung – keinen Zwang – zum Tragen von Masken im öffentlichen Nahverkehr während der Stoßzeiten von 7 bis 9 Uhr und von 16 bis 18 Uhr sowie für Menschen, die im Gesundheitswesen arbeiten. Anders als bei uns besteht also nur ein äußerst eingeschränkter Bereich, in dem Masken verwendet werden sollen, und es handelt sich lediglich um eine Empfehlung. Läden, Restaurants, Friseure usw. sind geöffnet.
Das Insolvenzrecht wurde nie außer Kraft gesetzt, das heißt, es wurden, anders als in Deutschland, keine Zombie-Unternehmen erzeugt. Die Schulen bis zur 9. Klasse sind geöffnet. Kurzum: Es gibt derzeit keinen Lockdown in Schweden. Das alles kann man beim besten Willen nicht als ein Einschwenken auf den deutschen Weg bezeichnen.
Am 8. Januar wurde durch das schwedische Parlament die rechtliche Grundlage zur Ermöglichung von Lockdowns geschaffen. Daraufhin wurden von der schwedischen Regierung zwei neue Corona-Maßnahmen beschlossen: Es wurde eine Obergrenze für Besucher von Geschäften, Sporteinrichtungen und anderen öffentlichen Einrichtungen eingeführt und das 8-Personen-Limit für Treffen auch auf manche private Veranstaltungen ausgedehnt.
In welchem Umfang von dem Ermächtigungsgesetz künftig Gebrauch gemacht werden wird, ist völlig offen. Außerdem wären allgemeine Ausgangsbeschränkungen, wie sie derzeit in Bayern gelten, auch mit dem neuen Gesetz nicht möglich. Im Frühjahr existierte bereits ein solches Ermächtigungsgesetz in Schweden, das aber nie angewandt wurde und daher nach einigen Monaten einfach wieder ausgelaufen ist.
Kurzum, die Unterschiede zu Deutschland (per 8. 1. 2021) sind nach wie vor gravierend. Dazu kommt: Es gibt keine Aufrufe zur Denunziation, keine so aggressive und intolerante Stimmung und keine solche Angst wie bei uns. Das Leben in Schweden wirkt seelisch längst nicht so Corona-verängstigt und die Menschen dort leben deutlich weniger (Corona-) belastet als bei uns.
Ein kürzlich erschienener Artikel trug die Überschrift „Psychosoziale Katastrophe – Mediziner und Parlamentarier fordern Erfassung der Kollateralschäden von Corona-Maßnahmen“ (in Deutschland).
Durch die drastischen staatlichen Zwangsmaßnahmen gibt es bekanntlich in Deutschland bereits heute eine Flut von ökonomischen, sozialen und psychischen Schäden, beispielsweise steigende Selbstmorde, zigtausende verschobene Operationen, häusliche Gewalt, steigenden Medienkonsum, Zunahme von Übergewicht, sinkende Masseneinkommen, Bildungsdefizite bei Kindern usw. Alle diese Schäden treffen Schweden nicht annähernd so stark wie Deutschland und werden das skandinavische Land vor allem in der Zukunft bei weitem nicht so stark belasten.
Deutsche Corona-Politik unverhältnismäßig?
Der zweite Lockdown wird die deutsche Wirtschaft heftig schwächen, die schwedische jedoch nicht annähernd so stark. Im Dezember hatten wir in Deutschland offiziell eine halbe Million mehr Arbeitslose als im Vorjahr. Im Oktober kamen laut Bundesagentur für Arbeit noch zwei Millionen Kurzarbeiter dazu.
Während bei uns ein dramatisches Mittelstandssterben erwartet wird, dürfte Schweden mit einem blauen Auge davonkommen. Bereits in den ersten neun Monaten 2020 war die deutsche Wirtschaft etwa doppelt so stark abgestürzt wie die schwedische. Arbeitslosigkeit, Insolvenzen, Einkommensverluste, verzweifelte Selbstständige und Mittelständler werden in Deutschland durch den derzeitigen Lockdown weiter vermehrt, nicht so in Schweden. Und das alles wofür? Dass selbst die bevölkerungsbereinigte COVID-Sterblichkeit in Deutschland mittlerweile höher ist als in Schweden? Schweden wirft tiefgehende Fragen zur deutschen Corona-Politik auf, insbesondere zu ihrer Verhältnismäßigkeit.
Zum Autor: Prof. Dr. Christian Kreiß, Jahrgang 1962, promovierte in Volkswirtschaftslehre und Wirtschaftsgeschichte an der LMU München. Dann folgten neun Jahre Berufstätigkeit als Bankier, davon sieben Jahre als Investment Banker. Seit 2002 Professor an der Hochschule Aalen für Finanzierung und Volkswirtschaftslehre. Prof. Kreiß ist durch Vorträge und Autor von sieben Büchern [Amazon] bekannt, seine neuesten Werke sind: „Gekaufte Wissenschaft“ (2020); „Das Mephisto-Prinzip in unserer Wirtschaft“ (2019) sowie „BWL Blenden Wuchern Lamentieren“ (2019, zusammen mit Heinz Siebenbrock). Er wurde mehrfach als unabhängiger Experte in den Bundestag eingeladen. www.menschengerechtewirtschaft.de
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