Big Pharma: Gesundheit oder Gewinn

Die Werbeausgaben der Pharmaindustrie sind verblüffend hoch, meist höher als die Investitionen in Forschung und Entwicklung neuer Medikamente. Was geschieht, wenn Pharmakonzerne zwischen Gewinn und Gesundheit wählen müssen?
Was passiert, wenn Pharmakonzerne zwischen Gewinn & Gesundheit wählen müssen?
Die Pharmaindustrie kann mit gesunden Menschen keinen Gewinn machen.Foto: iStock
Von 7. August 2022

Börsennotierte Konzerne können nur dann überleben, wenn sie ständig hohe und langfristig steigende Gewinne erwirtschaften. Wenn die Gewinne sinken, sinkt der Aktienkurs. Dann droht eine Unternehmensübernahme oder eine Sanierung über Personalabbau, Kostenreduzierung, Betriebsschließungen und so weiter. Sinkende oder gar ausbleibende Gewinne bedrohen die Existenz börsennotierter Unternehmen. Die Existenzberechtigung börsennotierter Konzerne besteht im Erwirtschaften ständiger hoher und langfristig steigender Gewinne. Das gilt auch für börsennotierte Pharmakonzerne.

Sie müssen alles tun, um ständig ihre Gewinne zu maximieren. Was wäre also das Schlimmste, was gewinnmaximierenden Pharmakonzernen passieren könnte? Von Natur aus gesunde Menschen mit natürlicher Immunität, ohne Angst vor Krankheit. Daher soll im Folgenden untersucht werden, inwiefern Interessenkonflikte zwischen Gewinnmaximierung und Gesundheit bei Pharmakonzernen existieren.

Die Halbjahreszahlen von Pfizer

Am 28.7.2022 veröffentlichte Pfizer die Zahlen für das zweite Quartal 2022. Die Zahlen von Pfizer sind besonders interessant, weil der US-Pharmakonzern den COVID-Impfstoff Comirnaty zusammen mit BioNTech entwickelte und vertreibt.

Comirnaty ist der am häufigsten verwendetet Corona-Impfstoff in Deutschland: Bis Ende Mai 2022 wurden in Deutschland offiziell insgesamt etwa 180 Millionen Impfungen gegen das Coronavirus (COVID-19) durchgeführt. Davon waren 132,6 Millionen von BioNTech/Pfizer, also etwa 74 Prozent. Die Bruttogewinnmarge wird zwischen den beiden Unternehmen 50/50 geteilt.

Pfizer erwirtschaftete im ersten Halbjahr 2022 bei einem Umsatz von 53,4 Milliarden US-Dollar (plus 60 Prozent gegenüber dem ersten Halbjahr 2021) einen Vorsteuergewinn von 20,5 Milliarden Dollar (+62 Prozent ggü.Vj.). Nach Steuern betrug der Gewinn 17,8 Milliarden (+70 Prozent ggü.Vj.).

Impfstoffe, im Wesentlichen Comirnaty, machten 25,3 Milliarden beziehungsweise 47 Prozent des Umsatzes aus. Also knapp die Hälfte des Umsatzes von Pfizer kommt momentan aus den COVID-Impfungen.

Im Gesamtjahr sollen mehr als 50 Prozent des Konzernumsatzes aus COVID-Bekämpfungsmitteln stammen (32 Prozent von Comirnaty und 22 Prozent durch das Medikament Paxlovid).

Für Marketing, Information und Verwaltung (Selling, Information and Administration, kurz: SI&A) gab Pfizer im ersten Halbjahr 5,6 Milliarden aus, für Forschung und Entwicklung (F&E) 5,1 Milliarden.

Patienten- versus Aktionärsinteressen

Die Unternehmensmission von Pfizer ist nach eigener Aussage „to bring value to our patients and shareholders“. So sollte man meinen, dass Forschungs- und Entwicklungsausgaben für neue Präparate eine stark dominierende Rolle spielen. Denn nur aus Forschungs- und Entwicklungsausgaben heute können sinnvolle Präparate für morgen entstehen.

Das trifft aber interessanterweise nicht zu. In den ersten sechs Monaten 2022 machten die Forschungs- und Entwicklung (F&E) weniger als 10 Prozent vom Umsatz aus. Für das Gesamtjahr sind knapp 12 Milliarden für F&E vorgesehen beziehungsweise knapp 12 Prozent vom Umsatz. Der Jahresüberschuss (Gewinn nach Steuern) war im ersten Halbjahr dreieinhalb Mal so hoch wie die Ausgaben für F&E.

Für das gesamte Jahr schätzt Pfizer den Jahresüberschuss etwa dreimal so hoch ein wie die Investitionen in neue Medikamente: Er soll 35 Milliarden Dollar oder 35 Prozent vom Umsatz betragen. Das ist der bei Weitem höchste Gewinn, den Pfizer jemals hatte. 

Bei der Unternehmens-Mission „Wert zu schaffen für Patienten und Aktionäre“ haben die Aktionäre im ersten Halbjahr offenbar die deutlich besseren Karten gezogen als die Patienten beziehungsweise die öffentliche Hand. Das war auch in den letzten fünf Jahren so. Die Gewinne waren immer erheblich höher als die F&E-Investitionen. Die Aktionäre scheinen dem Unternehmen deutlich mehr am Herzen zu liegen als die Patienten.

Das sieht man auch an anderen Zahlen. Im ersten Halbjahr hat Pfizer 4,5 Milliarden Dollar Dividenden ausbezahlt sowie 2 Milliarden Dollar für Aktienrückkäufe aufgewendet. Die Aktionäre bekamen netto also 6,5 Milliarden Dollar ausgeschüttet. Das ist deutlich mehr als die gesamten Forschungs- und Entwicklungsausgaben (5,1 Milliarden Dollar) in diesem Zeitraum.

Mehr Werbung oder mehr Forschung?

Auch für Marketing, Information und Verwaltung (SI&A) gibt Pfizer mehr Geld aus als für die Erforschung neuer Medikamente. Das war in der Regel auch in den letzten fünf Jahren so.

Leider wird in den Zahlen nicht ausgewiesen, wie viel tatsächlich für Werbung und Vertrieb ausgegeben wird und wie viel für Verwaltung. Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass der größte Teil auf Marketing entfallen dürfte.

Produkte schützen statt das Leben der Menschen

Diese Zahlen führen zu der grundlegenderen Frage nach dem Interessenkonflikt von Pharmaunternehmen zwischen Gewinnstreben und Gesundheit. Was geschieht, wenn Pharmakonzerne zwischen Gewinn und Gesundheit wählen müssen? Werfen wir dazu einen Blick in die jüngere Wirtschaftsgeschichte. 

Ein gewisses Aufsehen erregte der Fall „Paroxetin“, ein Antidepressivum für Kinder von GlaxoSmithKline (GSK) ab 2004. GSK wusste durch interne Studien, dass das Medikament Paroxetin keinen Nutzen bei der Behandlung von Depressionen bei Kindern erbringt. In einem internen Dokument von GSK heißt es: „Es wäre wirtschaftlich inakzeptabel, einen Vermerk über die Unwirksamkeit aufzunehmen, denn das würde das Profil von Paroxetin unterminieren.“ Umgangssprachlich ausgedrückt: Ein Hinweis auf die Wirkungslosigkeit des Medikaments würde die Umsätze – zu Recht – einbrechen lassen. Denn wer gibt seinem Kind schon ein Medikament, von dem der Hersteller selbst sagt, dass es wirkungslos ist?

Dennoch wurde Paroxetin allein in Großbritannien ein Jahr nach diesem internen Memo 32.000 Mal an Kinder verschrieben. Auch in insgesamt neun weiteren Studien in den Folgejahren konnte durch GSK keine Wirksamkeit des Medikaments bei Kindern festgestellt werden.

Doch nicht nur, dass Paroxetin keine Wirkung bei der Behandlung von Depressionen hatte, es hatte besorgniserregende Nebenwirkungen, insbesondere eine Erhöhung der Suizidgefahr, was GSK durch interne Studien wusste, jedoch nicht nach außen mitteilte: „Bei GSK wusste man, dass das Medikament Kindern verschrieben wurde, und man kannte das Risiko, hatte sich jedoch entschieden, diese Information nicht weiterzugeben.“

Peter Gøtzsche berichtete Ähnliches zu dem Medikament Celecoxib von Pfizer, das seiner Ansicht nach erheblich mehr Schaden als Nutzen stiftete und seiner Einschätzung nach viele Leben kostete. So schrieb er in seinem 2013 erschienenen umfangreichen Buch: „Pfizer fuhr damit fort, sein Produkt zu schützen anstatt das Leben der Patienten.“

Paroxetin und Celecoxib waren sicherlich besonders schlimme Fälle. Allerdings kommen viele unabhängige Forscher, die sich mit der Gesundheitsbranche beschäftigen, zu dem Ergebnis, dass Gewinne in der Regel für die Pharmakonzerne oberste Priorität haben und dass man (fast) alles tut, um die Gewinne zu maximieren.

Gewinne und Pharmaforschung

So schrieb Marcia Angell bereits in ihrem 2004 erschienenen Buch „The Truth About the Drug Companies. How They Deceive Us and What to Do About It“ („Die Wahrheit über die Pharmakonzerne. Wie sie uns täuschen und was man dagegen tun kann“): „Ich wurde Zeuge, wie die Unternehmen im Laufe der Zeit über die Durchführung der Forschung eine Kontrolle gewannen, die am Anfang, als ich neu bei der Zeitschrift war, unerhört gewesen wäre. Immer bestand das Ziel eindeutig darin, die Karten so zu zinken, dass die Produkte des Unternehmens gut aussahen. […] Dies führte unter anderem zu einer immer industriefreundlicheren Ausrichtung in der medizinischen Forschung – also gerade da, wo eine solche Ausrichtung nichts zu suchen hat.“ 

Sie fährt fort: „Deshalb werden klinische Prüfungen heute von der Pharmaindustrie geplant und von Wissenschaftlern eigentlich nur noch als reine Auftragsarbeit ausgeführt. Dabei ist es gleichgültig, ob die Prüfungen an Lehrkrankenhäusern oder in Arztpraxen stattfinden. Das finanzierende Unternehmen behält die Daten für sich, und bei Studien, an denen mehrere Einrichtungen beteiligt sind, bekommen unter Umständen nicht einmal die Wissenschaftler selbst alle Daten zu sehen.“ Ein Fachausdruck dafür ist Publikations-Bias, einseitige Veröffentlichung von gewinnfördernden Studien.

Marcia Angell ist nicht irgendwer. Sie war bis zum Jahr 2000 Chefredakteurin des New England Journal of Medicine, einer der bedeutendsten medizinischen Fachzeitschriften der Welt, wo sie 20 Jahre arbeitete.

Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt der britische Arzt Ben Goldacre: „Das bedeutet, die Belege, auf denen unsere Entscheidungen in der Medizin basieren, werden systematisch verfälscht, um den Nutzen der verwendeten Medikamente aufzubauschen. […] Das ist wissenschaftliches Fehlverhalten in großem Stil, auf internationaler Ebene.“

Gewinne und Marketing

Die Werbeausgaben der Pharmaindustrie sind verblüffend hoch. In der jüngeren Geschichte waren sie normalerweise immer deutlich höher als die Investitionen in Forschung und Entwicklung neuer Medikamente.

So kommt Ben Goldacre in seinem 2012 erschienenen umfangreichen, gut recherchierten Buch zu dem Ergebnis: „Ein Viertel der Pharmaausgaben fließt ins Marketing, zweimal so viel wie in Forschung und Entwicklung, und das Geld dafür liefern wir über unsere Medikamente. Wir bezahlen für Arzneimittel den enormen Aufschlag von 25 Prozent, damit viele Milliarden Euro jährlich für die Herstellung von Materialien ausgegeben werden können, die Ärzte gezielt verwirren und die evidenzbasierte Medizin untergraben.“

Der Wert eines Menschen

Zurück zur Eingangsfrage: Was geschieht, wenn bei börsennotierten Pharmakonzernen Interessenkonflikte zwischen Gewinnmaximierung und Gesundheit vorliegen?

Der dänische Medizinforscher Peter Gøtzsche, langjähriger Direktor des Nordic Cochrane Centers sowie Professor für klinisches Forschungsdesign und Analyse an der Universität Kopenhagen, gab darauf 2013 folgende Antwort:

Wenn Journalisten mich fragen, was ich von den ethischen Standards der Pharmaindustrie halte, antworte ich oft mit einem Scherz, oder ich sage, ich hätte keine Antwort, weil ich nicht beurteilen könne, was nicht existiert. Der einzige Standard der Branche ist das Geld, und der Wert eines Menschen hängt davon ab, wie viel Geld er einbringt.“

Über den Autor:

Prof. Dr. Christian Kreiß (Jahrgang 1962) studierte und promovierte in Volkswirtschaftslehre und Wirtschaftsgeschichte an der LMU München. Er war neun Jahre als Bankier tätig, davon sieben Jahre als Investmentbanker. Er ist Autor mehrerer Bücher wie „Gekaufte Wissenschaft“ (2020) und „Das Mephisto-Prinzip in unserer Wirtschaft“ (2019).  www.menschengerechtewirtschaft.de

 

Dieser Beitrag stellt ausschließlich die Meinung des Verfassers dar. Er muss nicht zwangsläufig die Sichtweise der Epoch Times Deutschland wiedergeben.


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