Nur Beseeltes kann intelligent sein
Liebe Leser,
wenn ich morgens zur Arbeit laufe, begleitet mich munteres Vogelgezwitscher. Vor circa fünf Wochen war es das erste Mal, dass mich beim Verlassen des Hauses ein Vogeltrillern empfing. Mit dem Rhythmus der Jahreszeiten zu leben ist ein wahres Geschenk. Es enthebt einer ermüdenden Routine, die uns einflüstern will, es sei ohnehin immer alles gleich – und nur die Urlaubsreise könne Abwechslung bringen.
Dabei ist immer alles in Bewegung und Veränderung. Die auf- und ausbrechenden Knospen und Blattspitzen aus dürren Ästen führen es uns vor. Langsam, doch in einer Beständigkeit und Kraft, die Ihresgleichen sucht.
Stagnation ist Rückschritt, hörte ich heute. Jedoch bezogen auf einen Spross der virtuellen Welt: ChatGPT. Dabei stehen diese Buchstaben für Chatbot Generative Pre-trained Transformer, wie ich googelte. Ich erinnere mich dabei an meine ersten Begegnungen mit dem Internet vor gut zwei Jahrzehnten, als ich in Nicaragua staunte, wie einfach ich per E-Mail mit meinen Lieben zu Hause in Kontakt treten konnte – und das Wort googeln noch nicht existierte.
Nun stehen wir als Gesellschaft wohl wieder an so einem Jahreszeitenwechsel und wissen wieder nicht, wie diese neue Jahreszeit sich anfühlen wird, erlebbar sein wird.
Dieses ChatGPT, vor drei Monaten auf den Markt gekommen, soll mir angeblich zukünftig das Leben erleichtern, bei allem, wo es sich um Texte und Daten dreht: Briefe schreiben, Überschriften finden, Buchzusammenfassungen erstellen. Vielleicht meine Doktorarbeit? Wohl eher kaum, denn ChatGPT ist auch ein großer Märchenerzähler, erfahre ich von denjenigen, die sich schon daran ausprobiert haben. Da würden auch einfach mal Daten erfunden und beispielsweise von einem Kongress berichtet, den es so nie gab.
Die Linie zwischen realer und virtueller Welt wird immer unschärfer.
Amüsiert lächelnd lehne ich mich zurück, schaue in die Wolkenungetüme, die vor einem auffällig blauen Himmel vorbeiziehen und denke: So ein Blödsinn, wozu brauche ich das? – Und weiß gleichzeitig, dass ich dieses Werkzeug wahrscheinlich in irgendeiner Form nutzen werde, genauso wie ich Auto fahre, die Waschmaschine anmache oder im Internet „surfe“.
Doch bleibt es in meiner Verantwortung, wie ich das tue. Denn wessen Geistes Kind meine Handlungen sind, entscheidet noch immer mein eigener erster Gedanke.
Vielleicht lässt es uns auch endlich aus dem durch Industrialisierung und Materialisierung immer enger gesteckten Rahmen der sogenannt realen Welt ausbrechen – um wieder zu fragen, was des Pudels Kern ist und wie viel Einfluss das nicht Sichtbare auf mein Leben hat.
Morgen frage ich ChatGPT, welche Kraft das Grün aus den Bäumen wachsen und die Schwalben aus dem Süden kommen lässt.
Frohe Ostern wünscht
Ihre Silke Ohlert
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