Spott und Kritik über „Grüne“ Doppelmoral gab es zuletzt im FAZ-Artikel „Problematische Doppelmoral : Grüne, Klimaschützer und Vielflieger“, der in den sozialen Medien Furore macht und reichlich gehässige Kommentare hervorbringt. Diejenigen, die so begeistert draufhauen, täten ebenso gut daran, vorher ein wenig in sich zu gehen, wie jene Grünen-Politikerin, die aus dem Kurzurlaub in Kalifornien twitterte.
Fliegen ist die mit Abstand effektivste Möglichkeit für Normalbürger, Umwelt und Klima zu schädigen. Wer eine so wichtige Aufgabe hat, wie der Autor des FAZ-Artikels, der fliegt von Berufs wegen ständig durch die Weltgeschichte, und produziert damit ein Vielfaches an klimaschädlichen Gasen wie eine Normalbürgerin, egal ob er grün wählt, die AfD oder die FDP.
Viel Einkommen – viel CO2
Wer viel Geld hat, reist in der Regel öfter und weiter weg in Urlaub als Normalbürger, egal ob er grün wählt, oder die SPD oder die Union, einfach weil er es sich eher leisten kann. Die statistisch mit Abstand wichtigste Einflussgröße auf die Umweltbelastung durch die gesammelten Aktivitäten eines Menschen ist das Einkommen (abgesehen vielleicht vom US-Amerikaner sein).
Ich habe noch keine entsprechende Untersuchung gesehen, aber ich bin ziemlich sicher, dass die Anhänger der Grünen vor allem deshalb so viel fliegen, weil sie überdurchschnittlich gut verdienen, nicht weil sie grünem Gedankengut anhängen. Anders ausgedrückt: Würde man die Fliegerei der Grünen mit der von Nichtgrünen mit vergleichbarem Einkommen, Familienstand etc. vergleichen, würde man sehr wahrscheinlich wenig Auffälliges finden.
Das ist an sich schon nicht allzu schmeichelhaft. Denn wenn man moralisierend an die Sache herangeht, dann könnte man schon meinen, die Grünen wären aufgrund ihrer Programmatik aufgerufen, mit gutem Beispiel voranzugehen.
Andererseits wird kaum jemand – auch nicht der FAZ-Autor– der Ansicht sein, Umweltpolitik sollte vor allem aus Appellen an die Moral der Einzelnen und aus Verzichtsaufforderungen bestehen. Es würde wohl mehr helfen, die verrückte Steuerbefreiung von Flugbenzin aufzuheben, als an die Menschen zu appellieren, nicht mehr so viel zu fliegen.
Bin ich ein Heuchler?
Auch ich habe schon viele Tonnen CO2 in der Atmosphäre verteilt um von A nach B und wieder zurück zu fliegen. Ich habe auch Kolumnen geschrieben, in denen ich – sehr zum Ärger der deutschen Luftfahrtlobby – die deutsche Luftverkehrsabgabe gegen Forderungen nach Abschaffung verteidigt habe. Ich gebe zu, ich habe geschrieben, dass es aufhören muss, dass Fliegen so absurd billig ist, oft sogar billiger als Bahnfahren. Man kann das so interpretieren, dass ich wolle, dass Leute, die weniger verdienen als ich, sich das Fliegen nicht mehr leisten können. Man kann auch eine Steuer auf Luxusautos als unsozial brandmarken, weil sie es Leuten mit knappem Einkommen noch schwerer macht, Porsche zu fahren.
Bin ich wegen meiner Fliegerei und dem gleichzeitigen Eintreten für Verteuerung des Fliegens ein Heuchler? Ist ein Anderer, der genauso viel fliegt, der bessere Mensch, weil er die Grünen für ihre „Heuchelei“ verhöhnt und – implizit – sagt, „ich scheiße aufs Klima und bin stolz darauf“. Oder ist er nicht vielleicht doch ein noch größerer Heuchler als jene Grünen-Politikerin, die sich an Sylvester in den sozialen Medien dafür beglückwünschte, dass sie keine Böller schießt, sondern zum Kurzurlaub in Kalifornien weilt? Andererseits trifft es der Begriff Heuchelei gar nicht so gut: Unterkomplexität im Denken und Übermaß an Selbstgerechtigkeit passt besser auf beide. [16.2.2019]
Änderungshinweis (18.2.): In der Ursprungsfassung wurde als Beispiel für die Anhängerschaft einer nichtgrünen Partei nur die AfD genannt. LeserInnen wiesen mich darauf hin, dass das den Eindruck erweckte, als richte sich meine Kritik vor allem gegen Anhänger dieser Partei. Gewählt hatte ich die AfD aber nur aus Kontrastgründen, weil sie als so etwas wie der Gegenpol zu den Grünen gelten kann. Da es mir gerade nicht um Parteipolitik ging, habe ich das geändert, um das Missverständnis zu vermeiden.
Zuerst erschienen bei www.norberthaering.de
Norbert Häring ist seit 1997 Wirtschaftsjournalist. Der promovierte Volkswirt arbeitete vorher einige Jahre für eine große deutsche Bank. 2002 wechselte er zum Handelsblatt, für das er seither schreibt. Er engagiert sich in der World Economics Association für eine weniger einseitige und dogmatische Ökonomik. Er ist Träger des Publizistik-Preises der Keynes-Gesellschaft und des Deutschen Wirtschaftsbuchpreises von getAbstract (Ökonomie 2.0).
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