Kleider machen Volksvertreter – Jedenfalls behauptet das die Knigge-Gesellschaft

Während die Opposition im Bundestag in der Kritik steht, keine angemessene Oppositionspolitik mehr zu betreiben, sorgt sich ein Graf um die Kleiderordnung der Abgeordneten. Clemens von Hoyos ist Chef der Knigge-Gesellschaft und gibt als Unternehmer Online-Stil-Seminare für 99 Euro für 90 Minuten. Ein Kommentar.
Nach dem Mittagessen bindet sich Bundeskanzler Olaf Scholz beim G20-Gipfel auf der indonesischen Insel Bali vor der zweiten Arbeitssitzung seine Krawatte.
Nach dem Mittagessen bindet sich Bundeskanzler Olaf Scholz beim G20-Gipfel auf der indonesischen Insel Bali vor der zweiten Arbeitssitzung seine Krawatte.Foto: Kay Nietfeld/dpa
Von 16. Februar 2023

In Zeiten eines sich über die Corona-Lockdowns vielfach dauerhaft etablierten Home-Office sicher eine interessante Frage: Macht es einen Unterschied, sich so anzuziehen, als ginge es ins Büro, um sich dann an den heimischen Schreibtisch zu setzen und zu arbeiten oder tut’s hier auch der viel bequemere Jogginganzug?

Clemens Graf von Hoyos, der Vorstandsvorsitzende der Knigge-Gesellschaft, geht noch einen Schritt weiter, er kritisiert aktuell und medial viel beachtet die schlechte Garderobe vieler Bundestagsabgeordneter. Aber sind gut gekleidete Abgeordnete schon die besseren Parlamentarier?

Vorab ein paar Worte zum Verein. Der hat es sich laut Selbstdarstellung zur Aufgabe gemacht, „die in Aufklärung und Humanismus verwurzelten Ideen des Adolph Freiherrn Knigge (1752 – 1796) zu pflegen und zu verbreiten.“

Tatsächlich wird Knigges bekannteste Schrift „Über den Umgang mit Menschen“ gemeinhin als Benimmratgeber verstanden, was man ein Missverständnis der Arbeit des soziologisch ausgerichteten Aufklärers nennen könnte.

Jedenfalls ist es auch deshalb zunächst verwunderlich, dass der Vorsitzende des Vereins sich dieses vermeintlichen Knigge-Klischees bedient. Graf von Hoyos forderte im Namen der Gesellschaft e.V. gerade gegenüber der Rheinischen Post: „Die Bürger wollen von gut angezogenen Abgeordneten repräsentiert werden. […] Im Bundestag ist aber an unterschiedlichsten Stellen das Gespür für Qualität und Wertigkeit verloren gegangen.“

Die Bundestagsabgeordneten griffen viel zu oft unüberlegt in den Kleiderschrank. Mit gedeckten Farben mache man nichts verkehrt, zudem gebe es viele gute Kombinationen „im Bereich Business Casual, mit denen man einen guten Eindruck hinterlässt“.

Schwere Zeiten – andere Kleiderordnung

Das ist in Zeiten des Krieges und der Waffenlieferungen, am Scheidepunkt des Corona-Regimes und einer sich nach dem Jahr 2015 erneut zuspitzenden außer Kontrolle geratenen Zuwanderungspolitik eine mindestens merkwürdige Forderung.

Niemand behauptet ernsthaft, dass Oppositionsführer Friedrich Merz eine engagierte Oppositionsarbeit leisten könne, wenn sein Anzug besser säße. Andererseits war der Auftritt von Bundesinnenministerin Nancy Faeser in Katar sicher auch für nicht eingefleischte Modefetischisten eine echte Zumutung. Aber wäre die Wirkung eine andere gewesen, wenn Faeser ihre Armbinde über einen leichten Sommerblazer gezogen hätte?

Wer Wert darauf legt, dass sich die Bundestagsabgeordneten besser kleiden, der setzt sich womöglich dem Verdacht aus, er wolle Probleme kaschieren. Schauen wir ein knappes Vierteljahrhundert zurück: Der Sozialdemokrat Gerhard Schröder schickte sich 1998 an, gemeinsam mit dem grünen Joschka Fischer die Ära Kohl nach 16 Jahren konservativer Regierungszeit zu beenden.

Der Spiegel berichtete damals genüsslich unter dem Titel „Kanzler in Kaschmir“ davon, wie Schröder von den italienischen Edelschneidern aus dem Hause Brioni ins Kanzleramt geführt wurde. Die Kleider-machen-Leute-Fraktion empfahl dem sich sonst bodenständig und sich gern erdverwachsenen inszenierenden Niedersachsen:

„Verabschieden Sie sich von zugeknöpften Hemdrevers, offene Spitzen vermitteln mehr Dynamik und Sportlichkeit. Wechseln Sie Ihre Anzüge. Der Einreiher mit drei statt zwei Knöpfen ist eleganter und schließt besser über der Brust.“

Über Oskar Lafontaine, den damaligen Mitstreiter von Gerhard Schröder, sagt Umberto Angeloni, der damalige Chef des Hauses Brioni, dessen knautschige, specksitzenden Anzüge hätten „Angst verbreitet“. Zeit Online schrieb im Jahr 2014 launig über den heute wegen seiner Putin-Treue geschnittenen Ex-Bundeskanzler: „Brioni-Anzug, Zigarre und immer einen flotten Spruch auf den Lippen: Unter Ex-Kanzler Gerhard Schröder wurde es nie langweilig.“

Blickt man weiter zurück in das Jahr 1983, wird noch ein Aspekt der Bekleidung in politischer Funktion offenbar: Der Protestanzug oder besser -aufzug. Damals zogen die Grünen erstmals in den Bonner Bundestag ein und vollzogen auch symbolisch den Wechsel vom schwarz-weiß ins Farbfernsehen. Und sie kamen in Wollpullovern und langen Bärten, Männer strickten und stellten symbolisch Sonnenblumen auf ihre Pulte.

Fischers Protest-Turnschuhe landeten im Museum

Die Hessen-Turnschuhe von Joschka Fischer stehen heute im Deutschen Ledermuseum als Beleg für einen gesellschaftlichen und politischen Wechsel, Fischer wurde im Jahr 1985 erster grüner Minister und legte den Amtseid in weißen Turnschuhen ab. Dieser Bruch mit der Kleiderordnung – im Bundestag trat Fischer zudem mit Sonnenbrille ans Pult – lässt sich zurückführen bis hin zur Studentenrevolte der 68er und ihrem gereimten Slogan: „Unter den Talaren der Muff aus tausend Jahren.“

Mit der beißenden Kritik an der Kleiderordnung wurden damals die aus studentischer Sicht elitären Strukturen und überholten fragwürdigen Traditionslinien der Universitätspolitik gegeißelt.

Aber zurück zum Grundsätzlichen: Was sagt eigentlich die Hausordnung des Bundestages zur Bekleidung der Abgeordneten, was hat sich die junge Bundesrepublik ausgedacht, in welchem Dresscode ihre Vertreter öffentlich auftreten sollen? Tatsächlich gibt es keine vorgeschriebene Kleiderordnung, leidglich die „Würde des Hauses“ sei zu achten, was dann regelmäßig für teils zähe Verhandlungen sorgte.

So kam es noch im Jahr 2011 zum Eklat, als der damalige Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) je einen Schriftführer der Linken und Grünen nicht neben sich dulden wollte, weil diese sich weigerten, eine Krawatte zu tragen.

Und die CSU-Abgeordnete Dorothee Bär bekam 2015 Ärger, weil sie sichtbar unter dem offenen Blazer ein Trikot des FC Bayern München trug, was einen Bundestagsabgeordneten der Linken zu Protesten bewegte. Aber nicht wegen der Bayern selbst, die Telekom-Werbung auf dem Trikot stieß hier übel auf und sorgte dafür, dass sich der Ältestenrat mit dem Problem beschäftigen musste.

Jetzt kommt also ein Graf von Hoyos daher und fordert im Gewand eines Knigge-Vereins eine angemessene Kleiderordnung. Mal davon abgesehen, dass Knigge selbst wohl wider Willen auf die Funktion des Etikette-August festgelegt worden wäre, besteht hier auch der Verdacht des Etikettenschwindels.

Jedenfalls könnte man mutmaßen, die angemahnte Kleiderordnung zahle auch auf die unternehmerische Seite des Grafen ein. Von Hoyos ist nämlich nicht nur Boss des Knigge-Vereins, sondern schwer unternehmerisch tätig in der Stilberatung von Führungskräften.

Die Knigge-Akademie als Ratgeber für stillose Unternehmer

Der Graf ist seit 2020 Inhaber der Knigge-Akademie mit – laut Selbstauskunft – Dependancen beispielsweise in China und Indien. Die Akademie beansprucht auf ihrer Webseite für sich, „das führende Institut für moderne Umgangsformen und wertschätzende Kommunikation“ zu sein.

Zweifellos ist von Hoyos auch im Hoyos-Home-Office perfekt gekleidet oder von wo aus auch immer er seine Online-Kurse veranstaltet. Wer diesen Kurs bucht und ihm neunzig Minuten angemeldet zuschauen und zuhören mag, der zahlt über einen Euro pro Minute.

Angenommen, von Hoyos hätte fünfzig Unternehmer für seine Online-Stilberatung gewonnen, dann verdient er mit der Auswahl der richtigen Krawatte in einer Minute fünfzig Euro und geht nach Adam Riese nach neunzig Minuten mit einem neuen Brioni-Mantel in die Oper, oder was immer der Graf dort für tragbar empfiehlt.

Die große mediale Aufmerksamkeit, die Clemens Graf von Hoyos hier als Vereinsvorsitzender der Knigge-Gesellschaft generiert hat, ist zweifellos eine geldwerte Werbung auch für sein Unternehmen.

Ein Tipp übrigens von Hoyos, wie man reagiert, wenn man sich richtig bekleckert, findet sich in einem Ausschnitt eines Online-Seminars hier stilvoll via TikTok verbreitet: „Es ist im Grunde genommen nichts passiert.“ Das sehen die berichteten Zeitungen von Focus bis zum ZDF ähnlich und berichten wohlwollend boulevardesk.

Das ZDF zitiert von Hoyos übrigens so: „Im Bundestag ist aber an unterschiedlichsten Stellen das Gespür für Qualität und Wertigkeit verloren gegangen.“ Dort sind allerdings ganz andere Dinge verloren gegangen, da weiß man gar nicht, ob man bei den Masken-Deals anfangen oder beim fliegenden Wechsel ausscheidender Spitzenpolitiker in die Wirtschaft enden soll.

Clemens Graf von Hoyos, der Etikette-Berater, ist demgegenüber mit seiner Verein-versus-Unternehmen-Mischkalkulation ein ganz kleiner Fisch.

Auf diesen gelungenen Coup mag er sich eine Flasche vom Feinsten öffnen, vielleicht in legerer Kleidung im Home-Office, jedenfalls dann, wenn gerade keiner genauer hinschaut. Hofknicks.

Dieser Beitrag stellt ausschließlich die Meinung des Verfassers dar. Er muss nicht zwangsläufig die Sichtweise der Epoch Times Deutschland wiedergeben.


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