Frankreich: Das Volk ist Gelb
Seit einer Woche schwappt eine gelbe Welle über Frankreich. Das Volk geht auf die Straße. 288.000 Menschen waren es nach Zählung des französischen Innenministeriums am vergangenen Samstag. An über 2.000 Orten in Frankreich zogen sich Bürger spontan ihre gelben Warnwesten an, um ihrem Protest Nachdruck zu verleihen.
Anlass sei der Plan von Emanuel Macron, ab Januar die Steuer auf Diesel und Benzin zu erhöhen, berichten Agenturen. Die Proteste gehen weiter. Fast unbeachtet von den deutschen Massenmedien. Bei einem Demonstranten sei Sprengstoff gefunden worden. Diese Meldung brachte die Demo wieder in den Focus der Berichterstattung.
Demonstriert wird heute auch auf den Champs-Elysées. Ziel der Demonstranten ist es, Paris lahm zu legen. Keine Empfehlung für ein Shopping-Wochenende, so eine SWR-Korrespondentin aus ihrem warmen Pariser Büro. Nein, sie traue sich nicht auf die Straße, korrespondierte die verunsicherte öffentlich-rechtliche Kollegin weiter und machte linke und rechte Extremisten für die unsichere Lage verantwortlich.
Paris ist weit weg
… sagen die Franzosen in der Provinz. Doch wie sieht es im übrigen Land aus? Stimmt das medial vermittelte Bild?
Zwischen Basel und Karlsruhe ist der Rhein die Grenze zum Nachbarland. Grenzübergänge gibt es gemessen am Verkehr wenige. Der Übergang an der Schleuse Iffezheim bei Rastatt ist einer von ihnen. Ein Verkehrs-Hotspot für Pendler und für den europäischen Ost-West Güterfernverkehr.
Seit einer Woche haben die Gelbwesten hier einen Streikposten aufgebaut. Der provisorische Schutz gegen Regen und Kälte besteht aus Paletten, Dachlatten, ein paar Planen und zwei „Versorgungszelten“.
60-80 Streikposten in gelben Westen zeigen hier Präsenz im Schichtbetrieb, trotz zum Teil frostigen Temperaturen. Holzfeuer in einem halben Dutzend alter Metallfässer schützen gegen die Kälte. Ein paar alte Sofas, eine leere Kabeltrommel, ein Ölfass als Heizung – fertig ist das Open-Air Wohnzimmer. Gemütlich sollte es auch sein, wenn die Sonne rauskommt. Man weiß hier zu improvisieren.
Jean-Luc ist ein gestandener Elsässer. Groß, breit, Vollbart und ein freundliches Lächeln. Seine Weste trägt die Aufschrift „Security“. Sicherheit ist hier nicht das Problem, denn es geht friedlich zu am Kreisverkehr, dem rond-point, direkt neben dem Factory Outlet an der Grenze zu Deutschland.
Protest kann auch entspannt sein. „Metzger und Bäcker aus den nahgelegenen Dörfern versorgen uns mit Wurst und Brot. Pendler, die die ganze Woche hier vorbeikommen, bringen am Wochenende Kuchen, Wasser und Milch. Das ist Solidarität.“ Jean-Luc freut sich über so viel Unterstützung. Es gibt Merguez vom Grill mit Baguette. Ein Stück französische Gelassenheit trotz Verärgerung über Präsident Macron im fernen Paris.
Alle sind sich einig
Wer sind die Gelben, die hier ihren Mann und ihre Frau stehen? Michel (28) ist auch einer von ihnen. Er ist Techniker in der Montage. Seine Freundin arbeitet auch dort. Neben ihm steht ein etwa 50-jähriger Mann, „aus der Logistik“, wie er sagt.
Ein anderer Demonstrant erklärt, dass hier Menschen aus allen Gesellschaftsschichten mitmachen. Sie seien nicht politisch, keine Partei und keine Gewerkschaft haben die Proteste organisiert. Es ist eine Art Flashmob, spontan und ohne offizielle Anmeldung. Solidarität verbindet alle. Demokratie auf Französisch.
„Die erneute Steuererhöhung auf Benzin und Diesel ist nur der Topfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat. Hier protestieren Menschen, die mit ihrer Arbeit, mit Steuern und Abgaben den Staat am Laufen halten. Das ist zu viel. Wir verdienen netto immer weniger. Die Steuern fressen unseren Lohn auf“ sagen selbst Normalverdiener unter den Demonstranten.
Wir arbeiten, zahlen Steuern und andere werden vom Staat rundum versorgt
Ein Gefühl der Ungerechtigkeit treibt die Menschen auf die Straße. Frankreich ist ein Sozialstaat mit umfangreichen Leistungen für alle, auch ohne regelmäßige Erwerbstätigkeit. Das führt zum Missbrauch des Systems. Während viele Arbeiter Probleme haben über die Runden zu kommen, lassen es sich nicht wenige auch ohne Arbeit gut gehen.
Je nach Einkommen garantiert der Staat kostenlose Sozialwohnungen, Heizung, Strom und Wasser. Der Swimmingpool im Garten ist für viele Arbeitslose und Geringverdiener ein Statussymbol. Die Wasserfüllung gibt es gratis vom Staat.
Die französischen Sozialleistungen, Revenu de solidarité active (RSA), sind vergleichsweise großzügig, Präsident Emmanuel Macron will die Regeln verschärfen. Doch daran wollen viele nicht glauben. Wie überall, so gelten auch in Frankreich ökonomische Grundsätze. Wohltaten müssen verdient werden, denn Erwerbstätige finanzieren die staatlichen milden Gaben, wer sonst?
Es geht nicht allein um Benzinpreise oder gegen Emmanuel Macron, den viele Franzosen als selbstherrlichen Sonnenkönig wahrnehmen. Es geht um Grundsätzliches, um einen ausufernden Sozialstaat. Die Steuerzahler zahlen die Zeche und damit wollen die Gelben nun Schluss machen.
Präsident Macron zeigt sich uneinsichtig. Er hat jedoch schlechte Karten. Gibt er nach, gilt er politisch als beschädigt. Bleibt er hart, kann ihn das seine Präsidentschaft kosten. Staatliche Provokationen können schnell in Gewalttätigkeiten und einen Generalstreik münden.
Der Protest geht weiter
Wie lange wird gestreikt? Schulterzucken bei den Gelbwesten. „Wir wissen es nicht. Aber wir sind gut vorbereitet“. Ihre Strategie ist es, friedlich auf ihr Anliegen aufmerksam zu machen. Blockaden sind nicht erlaubt, sagt ein Demonstrant. Darüber wachen ein halbes Dutzend Uniformierte der Gendarmerie.
Sie greifen erst ein, wenn der Grenzverkehr ernsthaft behindert wird. Die Solidarität mit den Streikenden ist subtil. Eine gelbe Warnweste gut sichtbar hinter der Windschutzscheibe, ein Anhalten für eine Minute. Ein fröhliches Winken – die Gelben freuen sich und winken zurück.
Ein tschechischer Brummi-Fahrer hupt mit seiner mehrstimmigen Fanfare. Ein Pole und sein Beifahrer schwenken ihre Warnwesten im Vorbeifahren aus dem Wagenfenster. Eine Frau aus der Südpfalz bleibt einfach stehen. Der Verkehr stockt. Als ein Gendarm ihr Zeichen macht, fährt sie weiter, viermal um den Kreisverkehr – aus Solidarität. So geht Europa.
Probleme mit ausufernden Sozialsystemen haben auch andere Staaten. Je mehr Menschen versorgt werden müssen, die nicht einzahlen, desto mehr werden die Leistungsträger belastet. In Frankreich scheint die Schmerzgrenze erreicht. Mit der angekündigten Steuererhöhung auf Benzin ist das Fass übergelaufen. Wie lange dauert es noch in Deutschland?
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