Ex-Pilot Haisenko über B 737 MAX: Endlich muss der Schrott aus Seattle am Boden bleiben
Am Beispiel der Boeing 737 und besonders der neuesten Entwicklungsstufe MAX 8/9 wird sichtbar, wie fatal es sich auswirkt, wenn nicht mehr Ingenieure die Entscheidungen treffen, sondern Kaufleute. Kein Ingenieur bei Verstand hätte die 737 MAX so gebaut, wenn er nicht von profitgierigen Managern dazu gezwungen worden wäre. Die beinahe 400 Toten bei zwei Abstürzen gehen auf das Konto von Boeings Konzernvorstand, ebenso wie die jetzt drohende Pleite des ganzen Konzerns.
Die B 737 von Boeing war von Anfang an eine Krücke. Als Boeing die B 737-100 in den frühen 1960-er Jahren plante, war eine Sitzkonfiguration 2/3 vorgesehen, wie bei der DC 9. Die Lufthansa als größter Erstkunde für den “City-Jet” wollte aber eine 3/3-Version, wie bei der B 727 und der B 707. Da war die Konstruktion aber schon fortgeschritten und so begann das Herumgebastel, um Kosten zu sparen. Boeing hat einfach das bereits geplante Cockpit so schmal belassen, wie es war und so müssen sich die Piloten bis heute bei allen Abarten der 737 in ein Cockpit zwängen, für das man zum Einsteigen eigentlich einen Schuhlöffel braucht. Aber dieses Mini-Cockpit ist natürlich leichter als ein ergonomisch vernünftiges und so freuen sich die Kaufleute. Das war aber nicht der einzige kostensparende (faule) Kompromiss.
Um Kosten zu sparen, hat Boeing fliegende Krücken konstruiert
Bug- und Hauptfahrwerk waren von Anfang an nicht für den jetzt größeren Rumpf konzipiert. So berichteten mir unsere Flugingenieure, dass ihnen während ihres Studiums der Luftfahrttechnik ebenfalls bereits in den 1960-er Jahren das Bugfahrwerk der 737 als Negativbeispiel dafür präsentiert wurde, wie man es nicht machen sollte. Dennoch wurde die B 737-100 ein Erfolgsmodell, was aber vor allem an mangelnden Konkurrenzmodellen lag. In den 1970-er Jahren wurde die B 737 zum ersten Mal modernisiert mit dem Modell B 737-200. Die leistungsstärkeren Motoren JT-8 waren im Umfang noch klein und passten unter den niedrigen Flügel. Die zeitgemäßen Anforderungen an Schlechtwettertauglichkeit beantwortete Boeing mit einem Autopilotkonstrukt, das von Anfang an eine Krücke war, dennoch bis heute in allen B 737-Modellen verbaut wird.
Das führte zum Beispiel zum Absturz der “Fly Dubai” in Rostow im April 2016. Was es mit diesem Absturz und dem Autopiloten auf sich hat, können Sie hier nachlesen: https://www.anderweltonline.com/wissenschaft-und-technik/luftfahrt-2016/fly-dubai-unfall-in-rostow-legt-eine-kette-von-systemfehlern-offen/
Mitte der 1980-er Jahre stellte Boeing das Modell 737-300 vor. Es hatte ein “Glascockpit” wie der Airbus A 310 (also mit Bildschirmen anstatt eines “Uhrenladens”) und zeitgemäße Triebwerke mit einem großen Frontrotor. Bereits hier hätte Boeing eine Neukonstruktion vornehmen müssen, denn die Motoren passten nicht mehr unter den niedrigen Flügel. Um die Kosten für eine Neukonstruktion zu sparen und vor allem die aufwendigen Zulassungen dafür, kam die nächste Krücke. Der Motor wurde etwas höher und weiter vor gesetzt und der Einlass des Triebwerks wurde unten abgeflacht, damit er nicht zu dicht über dem Boden ist und so jeden Stein vom Boden aufsaugt, was den Motor zerstört hätte.
In den weiteren Jahren hat Boeing die 737 immer weiter “aufgebohrt” mit den Modellen bis -800. An der grundsätzlichen Konstruktion aus den 1960-er Jahren mit ihren Defiziten hat Boeing nichts geändert. Es ist einfach kostengünstig für die Herstellung, bereits zertifizierte Baueinheiten weiter zu verbauen.
Ende der 1980-er Jahre kam Airbus mit dem A 320. Das war eine komplette Neukonstruktion und Airbus setzte Maßstäbe, was Flugführungssysteme und Design betraf. Der A 320 wurde zur direkten und erfolgreichen Konkurrenz für die B 737. Boeing kam in Zugzwang, konnte aber wegen des günstigen Kaufpreises weiter Kunden für seine Krücke 737 gewinnen. Das auch deswegen, weil Airbus gar nicht so viele Flugzeuge liefern konnte, wie die weltweite Nachfrage war. Hier sind wir an einem Grundproblem der internationalen Luftfahrt: Das enorme Wachstum, vor allem im asiatischen Raum und Afrika. Es fehlt an qualifiziertem Nachwuchs an Piloten und Mechanikern mit ausreichender Erfahrung. Airbus hatte dieses Problem vorhergesehen und die Flugführungssysteme der A 320 so ausgelegt, dass sie auch weniger erfahrene Piloten sinnvoll unterstützen. Boeing versucht gleichzuziehen, kommt aber an die von Anfang an geschickter konzipierte A 320 nicht ran.
Airbus hat mit dem A 320-neo erneut Maßstäbe gesetzt
Nun muss man die Märkte für diese Flugzeugklasse betrachten. Sie liegen nicht erst seit heute in Gegenden, wo andere Qualitäten gewünscht sind als in Europa. Selbst in den USA halten die Fluglinien keine Kapazitäten bereit für Landungen bei extrem schlechter Sicht. Bis heute gibt es in USA nur wenige Flughäfen, die die bodenseitigen Voraussetzungen bieten für eine Landung nach “Categorie III”, also für Sichtweiten unter 100 Metern. Diese Voraussetzungen sind teuer, am Boden und in der Luft. In Afrika oder Südost-Asien gibt es sie praktisch überhaupt nicht, einfach weil der Bedarf nicht da ist. So ist auch erklärbar, warum sich Boeing niemals daran gemacht hat, seine Krücke von einem Autopiloten auf ein anständiges Niveau zu bringen. Geschätzte 90 Prozent der Kunden haben keinen Bedarf.
Mit den hohen Ölpreisen ist die Nachfrage nach spritsparenden Modellen gestiegen. Airbus hat mit dem A 320-neo und dessen besonders effizienten Motoren wieder Maßstäbe gesetzt. Boeing war im Zugzwang. Die Super-Motoren der A 320 passten aber einfach nicht mehr unter den Flügel der alten B 737. Doch anstatt jetzt endlich ein komplett neues Modell zu konstruieren, haben die Kaufleute bei Boeing entschieden, jenseits aller aerodynamischer Regeln die ultimative Krücke zu basteln. Die für die 737 zu großen Motoren wurden noch weiter nach vorne und oben verlegt.
Bei den ersten Testflügen stellte sich heraus, dass sich die Physik nicht so einfach überlisten lässt. Der Luftstrom des Motors führte jetzt direkt unter dem Flügel vorbei, was mehrere negative Effekte haben muss. Einmal wird dadurch der Auftrieb negativ beeinflusst, doch die größten Probleme zeigten sich im extremen Langsamflug, also kurz vor dem Strömungsabriss, der zum Absturz führen kann.
In dieser Situation legt sich bei der 737 MAX der Luftstrom des Motors unter den gesamten unteren äußeren Flügel, was das Flugzeug in einen unkontrollierbaren Zustand bringt. Anstatt jetzt endlich eine Neukonstruktion vorzunehmen, haben sich die Manager bei Boeing für die schlimmste Krücke entschieden: Sie haben ein System verbauen lassen, das in diesem Grenzbereich die vollständige Kontrolle über das Flugzeug übernimmt. Wenn ein Sensor, und nur ein Sensor, diesen Grenzbereich erkennt, veranlasst der angehängte Computer das Flugzeug dazu, die Trimmung des Höhenleitwerks ganz auf “Nase nach unten” zu fahren. Das wäre grundsätzlich nicht falsch, schießt aber übers Ziel hinaus.
Als fatal hat sich jetzt zweimal erwiesen, dass dieses tödliche System kein Kontrollsystem hat, was als solches in der Luftfahrt nicht vorkommen dürfte. Das bedeutet, wenn dieser einzige Sensor eine Fehlermeldung gibt, haben die Piloten kaum noch eine Chance, ihr Flugzeug davor zu bewahren, ungespitzt in den Boden zu fliegen. Das Loch im Boden Äthiopiens spricht hierzu eine klare Sprache.
Nicht die Ingenieure, sondern die Manager sind verantwortlich
Nun sollte man dazu wissen, dass die Trimmung des Höhenleitwerks bei allen kleineren Boeing-Modellen schon immer eine störanfällige Krücke ist. Es ist eine Motor-Spindel-Einheit, die dazu neigt, bei einem Relaisfehler “davonzulaufen” oder auszuspringen und sich zu verklemmen. Aus diesem Grund gab es auf B 727 einen prominent platzierten Notschalter, mit dem man den Trimmmotor stromlos machen, also abschalten konnte. Das wurde im Simulator geübt. Die neueren 737-Modelle haben diese Notabschaltungsvorrichtung nicht mehr.
Die Piloten können also selbst dann, wenn sie den Fehler erkannt haben, den Trimmmotor nicht mit einem Handgriff abschalten und das Flugzeug retten. Sie müssten die gesamte Stromschiene abschalten, an der der Trimmmotor hängt. Damit würden sie aber weitere elementare Systeme außer Betrieb nehmen und es ist ein Vorgang, der nicht im Bruchteil einer Sekunde durchführbar ist. Gibt also der einzige Sensor für den Anstellwinkel ein falsches Signal an den wiederum einzigen Computer, dann ist dieses Flugzeug nicht mehr zu retten, zumindest, wenn es in niedriger Höhe fliegt.
Die B 737 MAX ist eine Fehlkonstruktion von Anfang an. Jeder, der etwas von Aerodynamik versteht, erkennt das sofort, wenn er nur das Flugzeug betrachtet. Sie bildet die Spitze einer Reihe von Krückenkonstruktionen, die sich durch die gesamte Historie der B 737-Entwicklung ziehen. Dafür sind nicht Ingenieure verantwortlich, sondern die Manager, die die Ingenieure zwingen, wider besseres Wissen Krücken zu bauen.
Dass dies tatsächlich wieder besseres Wissen geschieht, wird dadurch belegt, dass es eine E-mail vom Sommer 2018 gibt, also vor dem ersten Absturz, in der Boeing-Mitarbeiter bereits dokumentieren, welche Auswirkungen dieser Konstruktionsfehler haben kann. Der Vorstand von Boeing hat nicht reagiert und so billigend in Kauf genommen, dass genau das passiert, was jetzt innerhalb weniger Monate zweimal passiert ist – mit fast 400 Toten.
Äthiopien vertraut weder dem Hersteller, noch der US-Zulassungsbehörde FAA
Neben den Managern von Boeing sind natürlich auch die Köpfe der FAA, der amerikanischen Zulassungsbehörde, zur Verantwortung zu ziehen. Sie haben der 737 MAX die Flugtüchtigkeit zertifiziert, obwohl sie wissen mussten, um was für eine Krücke es sich hier handelt. So ist auch nicht verwunderlich, dass die FAA die letzte war, die der 737 MAX endlich das Fliegen verboten hat. Es ist schon ein einmaliger Vorgang in der Geschichte der Luftfahrt, dass einzelne Länder in aller Welt erst mit Flugverboten vorpreschen mussten, bevor sich die eigentlich zuständige Behörde dazu herablässt. Allerdings ging dem noch ein einzigartiger Vorgang voraus.
Es war nämlich gar nicht die FAA oder der Hersteller Boeing, die der 737 MAX auch in den USA das Fliegen verboten haben. Es war Donald Trump, der mit einem Dekret die Notbremse gezogen hat. Danach konnten die FAA und Boeing gar nicht mehr anders, als den Schritt nachzuvollziehen, der eigentlich bereits spätestens im Sommer 2018 fällig gewesen wäre. Interessant auch der nächste Vorgang, der wiederum einzigartig ist: Äthiopien hat die Unfalluntersuchung nicht der FAA oder Boeing überlassen.
Entgegen standardmäßiger Verfahren hat man die Untersuchung der französischen BEA übertragen und den Flightrecorder zur Untersuchung nach Paris geschickt. Das ist schon fast eine Kriegserklärung an die amerikanische Flugzeugindustrie, zumindest aber eine Demonstration, wie wenig Vertrauen in die Rechtschaffenheit amerikanischer Institutionen noch übrig ist. Das ist wohl auch eine Folge dessen, dass in Fachkreisen eine Vielzahl an vorsätzlich gefälschten Ergebnissen bekannt ist, die amerikanische Behörden zu Flugunfällen geliefert haben. Es sei nur beispielhaft an die TWA 600 erinnert, die von einer amerikanischen Rakete abgeschossen worden ist und das mit allen kriminellen Methoden vor der Öffentlichkeit und selbst vor uns Piloten verborgen wurde.
Die Geschichte der B 737 MAX und aller 737-Modelle zeigt den Zustand der USA und ihrer (Flugzeug-)Industrie auf. Für auch kurzfristigen Profit werden alle Regeln beiseite gelegt, die seit Jahrzehnten aus bitterer Notwendigkeit entwickelt worden sind. Was für eine Rolle spielen schon ein paar hundert Tote, wenn der Profit gerettet werden soll? Die Zulassungsbehörde FAA selbst ist offensichtlich auch durch und durch korrumpiert und hier kommt der nächste interessante Aspekt.
Donald Trump weiß das offensichtlich, denn er wollte seinen persönlichen Chefpiloten auf den Chefsessel der FAA setzen, was aber auf massiven Widerstand gestoßen ist. Da haben wir den nächsten Punkt, warum das amerikanische Establishment Trump so hasst. Er will offensichtlich den Sumpf auf allen Ebenen austrocknen. Hätte er seinen Willen durchgesetzt, ist es nicht unwahrscheinlich, dass die 737 MAX in dieser Konfiguration gar keine Zulassung erhalten hätte und so 400 Menschen nicht zermalmt worden wären. Ein pikantes Detail ist auch, dass von Anfang an Warnungen aus Russland kamen, was die Flugtüchtigkeit der 737 MAX betrifft.
Der Turbokapitalismus kann auf Dauer nicht bestehen
Die Katastrophen mit der B 737 MAX bringen die gesamte Luftfahrtbranche in arge Bedrängnis. Auch im Chartersommer 2019 in Europa wird es Engpässe geben. Für Boeing selbst aber kann es das Ende bedeuten. Immerhin sind bereits einige hundert Exemplare der 737 MAX ausgeliefert und die müssen aller Wahrscheinlichkeit nach verschrottet werden, denn eine einfache Nachrüstung mit Software kann das Grundproblem der Fehlkonstruktion nicht lösen. Einfach die Produktion der alten Modelle der 737 wieder aufzunehmen, ist auch keine Lösung. So einfach geht das nämlich nicht und wer wollte noch ein Flugzeug haben, das neben der A 320 neo nicht bestehen kann?
Der Fall 737 MAX macht deutlich, dass Turbokapitalismus auf Dauer nicht bestehen kann. Die ganze Welt kann nicht “nachhaltig” funktionieren, und die Luftfahrt schon gar nicht, wenn einzig der Profit das bestimmende Element ist. Nicht nur der “Dieselskandal” zeigt das, jetzt eben drastisch Boeing.
Was wir also brauchen, ist ein radikales Umdenken. Dem Kapital und seinen Managern und Profiteuren muss die Macht genommen und zurückgegeben werden an Vernunft und Gemeinsinn. Das gilt nicht nur für die Flugzeug- und Autoindustrie, sondern vor allem für die Pharmaindustrie, die die Menschen gar nicht heilen will, sondern das primäre Interesse verfolgt, immer mehr Medikamente an an sich Gesunde zu verkaufen.
Damit eine Besserung aber möglich ist, und so verhindert wird, dass weiterhin Tausende Menschen wegen Profitsucht ihr Leben lassen, muss das gesamte System grundrenoviert werden. Das muss radikal sein und darf nichts auslassen, was schon lange hätte hinterfragt werden müssen.
In diesem Sinn haben wir “Die Humane Marktwirtschaft” von Grund auf neu entwickelt und ich halte es nicht für überzogen zu behaupten, dass genau dieses revolutionäre System nach Haisenko/von Brunn das Potential hat, alle, wiederhole alle, Probleme zu lösen, unter denen die Menschheit unter der religiös-kapitalistischen Diktatur zu leiden hat. Machen Sie sich selbst ein Bild und lesen sie unser Werk. Es ist erhältlich im Buchhandel oder zu bestellen beim Verlag hier.
Zuerst erschienen bei www.anderweltonline.com
Peter Haisenko war Pilot bei der Lufthansa und flog 30 Jahre im weltweiten Einsatz als Copilot und Kapitän. Seit 2004 ist er als freier Autor und Journalist tätig. Er ist Inhaber und Herausgeber des Online-Portals www.anderweltonline.com
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