Egon W. Kreutzer: Draghi vor dem Bundesverfassungsgericht
Es ist wieder einmal so weit – und niemand hätte es bemerkt, hätte die Süddeutsche es durch Heribert Prantl nicht vorankündigen lassen:
Die üblichen Verdächtigen, die sich als Kläger eingefunden haben, werden vom Verfassungsgericht in dieser Woche wohl wieder einmal zu hören bekommen, dass sich die EZB mit allem, was sie tut, ganz offenkundig im Rahmen ihres Mandats bewegt, weil sie es sonst ja nicht tun könnte. Konkret geht es diesmal darum, ob Draghi Anleihen von Staaten und Unternehmen aufkaufen durfte und weiterhin dürfen soll, oder nicht.
Dass sich das Bundesverfassungsgericht zu einer Rechtsauffassung durchringen sollte, die letztlich den Ausstieg Deutschlands aus dem Euro erfordern würde, ist zwar nicht ausgeschlossen, sonst wäre Deutschland ja kein Rechtsstaat mehr, liegt aber außerhalb alles Denkbaren.
Schließlich handelt es sich bei den Klägern ja nur um unflexible Prinzipienreiter, die selbst im Angesicht der leibhaftigen Alternativlosigkeit lieber erhobenen Hauptes untergehen, als sich mit Mario Odysseus Draghi auf dem Floß der Euro-Billionen sicher durch die Enge zwischen Skylla und Charybdis treiben zu lassen.
Jeder Versuch einer juristischen Würdigung ist im Zeitalter der ungesühnten, humanitären und pekuniären Rechts- und Verfassungsbrüche zum Scheitern verurteilt, doch reicht es vollkommen aus, statt sich im juristischen Überbau zu verlieren, einfach die Fakten auszubreiten.
Worum geht es?
Es geht um Schulden
So wie Charybdis die Schifflein durch starke Strömungen vernichtet, indem sie das gesamte Wasser erst einsaugt und dann wieder ausstößt, funktionieren auch die Finanzmärkte, nur in umgekehrter Reihenfolge: Erst werden durch Kreditgewährung gewaltige Geldströme ausgelöst, dann werden sie im Zuge von Zins- und Tilgungsforderungen wieder eingesaugt.
Konkret:
Ein Staat, sagen wir Italien, hat kein Geld mehr. Die Regierung hat aufgrund schlechter Konjunktur zu wenig Steuern eingenommen, um ihren gesetzlichen Verpflichtungen nachkommen zu können. Also leiht sich der Finanzminister Geld. Um es einfach zu machen, gehen wir davon aus, dass es da ein paar reiche Italiener gibt, die genug Geld gespart haben, um es ihrem Finanzminister leihen zu können. Der lässt Schuldscheine drucken, die er Staatsanleihen nennt, und verspricht, dem jeweiligen Inhaber der Schuldscheine regelmäßig einen gewissen Betrag an Zinsen und am Ende der Laufzeit den Schuldbetrag auszuzahlen.
Wer als Gläubiger vorher wieder an sein Geld kommen will, kann seine Schuldscheine natürlich verkaufen. Die werden nämlich als festverzinsliche Wertpapiere an den Börsen gehandelt. Und da, an den Börsen, bildet sich dann auch ein Kurs. Hat ein Staat wenig Schulden und ist die Wahrscheinlichkeit, dass er Zins und Tilgung pünktlich bedienen kann hoch, wird auch der Kurs hoch sein, also nahe beim Nennwert, vielleicht sogar etwas darüber liegen. Ein solches Papier ist eine sichere Anlage mit einer ziemlich sicheren, niedrigen Rendite.
Hat ein Staat viele Schulden und ist die Wahrscheinlichkeit, dass er Zins und Tilgung pünktlich bedienen kann, eher gering, wird auch der Kurs nachgeben und mehr oder minder deutlich, gelegentlich sogar krass, unter dem Nennwert liegen. Ein solches Papier ist eine unsichere Anlage, allerdings mit der Chance auf eine sehr hohe Rendite, solange der Staat zahlungsfähig bleibt, und zieht von daher insbesondere Spekulanten an.
Weil Spekulanten mit allen Wassern gewaschen sind, lassen sie es bei der Chance auf eine hohe Rendite nicht bewenden. Um die Rendite weiter zu verbessern, werfen sie -abgestimmt und gleichzeitig – große Mengen der italienischen Staatsanleihen in den Markt, was einerseits den Kurs nach unten drückt, und damit andererseits die Rendite steigert, vor allem aber auch den italienischen Finanzminister zwingt, bei der Neu-Emission von Anleihen sehr viel höhere Zinsen anzubieten, um überhaupt noch Kredit gewährt zu bekommen.
Puristen, sowohl die naiven, die es nicht besser wissen, als auch die raffinierten, die es sehr viel besser wissen, sagen nun: Da hätte der Staat wirklich weniger Schulden machen sollen, dann wäre das nicht passiert. Nun müssen eben sämtliche Gürtel enger geschnallt werden. Steuern rauf, Renten runter, etc., etc. Die Italienier müssen tilgen bis die Schwarte kracht. Dann gewinnen sie auch das Vertrauen der Märkte zurück, und alles ist wieder gut.
Das Ding hat allerdings noch einen mächtigen Haken!
Staatsanleihen liegen nämlich nicht nur in den Depots von Max und Helga Mustermann. In sehr viel größerem Umfang sind Staatsanleihen im Anlagevermögen von Banken und Versicherungen zu finden, und da verwandeln sie sich mit der Zeit in Sprengsätze, wenn nämlich aufgrund des Kursverfalls das Anlagevermögen so sehr an Wert verliert, dass damit erst das Eigenkapital der Banken und Versicherungen dahinschmilzt und dann auch den Einlagen der „Sparer“ kein ausreichender Wert mehr gegenübersteht.
An dieser Stelle ist es erforderlich, kurz inne zu halten und den Weg des Geldes zu verfolgen, um festzustellen, was eigentlich wirklich geschehen ist.
Nehmen wir an, der Staat habe sich 1 Milliarde Euro geliehen und diese Milliarde vollständig ausgegeben. Der Staat hat sie nicht mehr, aber italienische Unternehmen, Arbeitnehmer, Rentner – und auch einige Ausländer haben die Milliarde nun auf ihren Konten. Die geben es wieder aus, nehmen es wieder ein, und gäbe es nicht ein großes schwarzes Loch, die Milliarde könnte praktisch ewig genutzt werden, um Leistungen zu ermöglichen, weil sie bezahlt werden können.
Das große schwarze Loch ist leicht zu entdecken, wenn man erst einmal die Augen geöffnet hat. Das große schwarze Loch, das sind die Sparer, die in ihrer Gesamtheit dafür sorgen, dass die „Ersparnisse“ insgesamt unter dem Strich immer weiter wachsen, was doch nichts anderes bedeutet, als dass die verfügbare freie Geldmenge immer weiter schrumpft. Was gespart ist, wird nicht ausgegeben. Das Geld ist dem Wirtschaftskreislauf entzogen.
Und wo landet es heutzutage? Nicht unter dem Kopfkissen, auch nicht in der Schatztruhe im Keller, sondern auf einem Konto bei einer Bank als Guthaben, wo es nicht nur sicher aufgehoben sein, sondern auch Zinsen bringen soll.
Würde die Bank dieses Ersparte nun einfach bei sich in den Tresor legen, könnte sie keine Zinsen zahlen, weil sie selbst ja nichts darin verdient, Geld auzubewahren, also muss sie es investieren – und was bietet sich da als sichere Geldanlage an? Richtig: Staatsanleihen!
Wenn für 1 Milliarde Spareinlagen Anleihen im Wert von 1 Milliarde gekauft werden und darauf regelmäßig 4 Prozent Zinsen gezahlt werden, kann die Bank ihren Einlegern regelmäßig 3 Prozent Zinsen gutschreiben und das restliche Prozent ( 10 Millionen) an ihre Aktionäre ausschütten. Und sollte ein Einleger sein Geld wieder haben wollen, kann die Bank im notwendigen Umfang Anleihen verkaufen – und alles ist gut.
Es sei denn, der Kurs der Anleihen ist zwischenzeitlich in den Keller manipuliert worden.
Man muss den Begriff „Manipulation“ ziemlich wörtlich nehmen, um neben den kriminellen Machenschaften auch die eher zufälligen oder sachlogisch-zwangsläufigen Veränderungen des Kurses als Folge „menschlicher Einflussnahme“ wahrnehmen und sich von der Vorstellung lösen zu können, ein Kurs sei etwas „Konkretes“. Ein Kurs ist immer und so lange eine reine Fiktion, bis er im Rahmen einer Transaktion zu einer tatsächlichen Vermögensänderung bei den Beteiligten führt.
Soll man also eine Bank oder eine Lebensversicherung wegen einer „Fiktion“ in die Insolvenz stürzen lassen?
Nein, natürlich nicht.
Schon gar nicht, wenn Kurse durch Spekulanten gezielt so beeinflusst werden, dass deren Profitinteressen damit bedient werden.
Ist es also gut und richtig, wenn die EZB mit Billionen von frisch gedruckten Euro Anleihen aufkauft, um zuerst die Banken zu retten und mit den Banken deren Einleger und deren Erspartes – und mit und unter denen wiederum genau jene Spekulanten, von denen die Misere aus Profitgier erst ausgelöst wurde?
Nein, natürlich nicht.
Es handelt sich hier um eine Scheinalternative, weil das Spiel, egal wie man sich entscheidet, immer in der Katastrophe endet.
Schuld daran sind nicht die unfähigen Spieler – schuld daran sind die unfairen Spielregeln
Warum, so frage ich in aller Naivität eines Simplicius Simplicissiums, soll es für das Gedeihen einer Volkswirtschaft von Nutzen sein, dass die dieser Volkswirtschaft verfügbare Geldmenge ausschließlich von den privaten Eigentümern der privaten Banken – und ausschließlich zu deren Nutzen – bestimmt werden kann?
Warum, so frage ich weiter, soll es für das Gedeihen einer Volkswirtschaft von Nutzen sein, wenn bevorzugt – und oft auch ausschließlich – für diejenigen Projekte und Geschäfte Geld bereitgestellt wird, die dem Gemeinwohl am wenigsten dienen, wohl aber den größtmöglichen Profit für Einzelne abwerfen?
Warum, so frage ich verwirrt, soll es besser sein, wenn eine Zentralbank – wie die EZB es tut – Geld aus dem Nichts erschafft, um es, wenn alles zu spät ist, zur Rettung der Ansprüche privater Gläubiger zu verwenden, statt es gleich dem Staat zur Verfügung zu stellen, so dass dieser sich gar nicht erst (fremd) verschulden muss?
Und schließlich muss ich noch fragen, wann und auf welche Weise die Situation wohl aufgelöst werden soll, dass die im Markt befindliche Liquidität nie auch nur annähernd an die Höhe der Schulden heranreicht, so dass das Ziel einer schuldenfreien Welt für immer vollkommen unerreichbar bleibt.
Sie glauben nicht, dass wir alle nach genau diesen Regeln zu spielen verdammt sind?
Versuchen Sie einfach, Ihre Überzeugung zu beweisen.
Im Scheitern kommen Sie der Wahrheit näher.
Ob das Bundesverfassungsgericht Interesse daran hat, dieser Wahrheit näher zu kommen, wage ich zu bezweifeln.
Dieser Artikel erschien zuerst bei EGON-W-KREUTZER.de
Egon W. Kreutzer ist Unternehmensberater, Autor und Blogger
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