Egon W. Kreutzer: Bedarfsgemeinschaft Deutschland
Das trägt an manchen Stellen durchaus skurrile Züge, weil die Sichtweise als solche ungewohnt ist. Man kann es aber so sehen, und manches sollte man tatsächlich grundsätzlich einmal von diesem anderen Standpunkt aus betrachten.
Auskommen, mit dem was da ist, heißt teilen und einteilen.
Das, was in der kleinen Bedarfsgemeinschaft nach SGB II da ist, lässt sich grundsätzlich in zwei Kategorien unterteilen, nämlich
- einerseits langlebige Gebrauchsgegenstände, wie der Kühlschrank, der Fernseher, die Couch und der Teppich, Geschirr und Besteck, sowie durchaus weite Teile der die Bekleidung,
- andererseits die zum alsbaldigen Konsum bestimmten Dinge, insbesondere Lebensmittel, sowie der Bestand an Bargeld in der Kasse und auf dem Konto.
Auf den Staat, genauer gesagt, auf die Volkswirtschaft bezogen, sieht es nicht anders aus. Es existiert „langlebiges Volksvermögen“, nämlich die dem Staat gehörenden, bebauten und unbebauten Grundstücke, sowie die vom Staat für die Volkswirtschaft bereitgestellte Infrastruktur. Straßen und Schienen, Wasserver- und Abwasserentsorgung, Schulen und Universitäten, und vieles andere mehr.
Doch es gehört noch viel mehr dazu, auch wenn dies üblicherweise so nicht betrachtet wird, nämlich auch alles Privateigentum, das in Unternehmen in Form von Fabrikgebäuden, Maschinen, Verkaufshallen, landwirtschaftlichen Nutzflächen, Lastkraftwagen, Flugzeugen etc. existiert, um die Versorgung der großen Bedarfsgemeinschaft sicherzustellen, wie auch jenes Privateigentum, das in Form von Einfamilienhäusern und Eigentumswohnungen, Automobilen und hier und da auch als Jolle oder Yacht zu finden ist.
Blenden wir bei dieser Betrachtung für einen Augenblick den Außenhandel aus, wird doch sichtbar, dass letztlich innerhalb dieser Volkswirtschaft jeder mit jedem und alles mit allem so zusammenhängt, dass sie einer Bedarfsgemeinschaft vergleichbar wird.
Wer kann, trägt mit seinen Fähigkeiten zur Erhaltung und womöglich Verbesserung des Lebensstandards aller bei. Wir nennen es „arbeitsteiliges Wirtschaften“, erkennen jedoch zumeist nicht, dass der Karton mit 1 Liter haltbarer Milch und die Villa in München Bogenhausen den gleichen Ursprung haben wie die altehrwürdige Steinerne Brücke in Regensburg und der Dom zu Köln, nämlich die Leistungsfähigkeit der großen Bedarfsgemeinschaft, sowohl in der Vergangenheit als auch in der Zukunft.
Versuchen Sie einfach, den Werdegang des Milchkartons nachzuverfolgen, sie werden sich in der Uferlosigkeit des Zusammenwirkens schnell verlieren.
Es geht doch nicht nur um das Heu und die Kuh! Wollen Sie wissen, aus wie vielen Einzelteilen eine moderne Melkmaschine besteht, und in welchen Betrieben an welchen Maschinen die produziert werden? Wollen Sie wissen, wie die Maschinen entstanden sind, mit deren Hilfe in ganz anderen Fabriken die Einzelteile für die Melkmaschine hergestellt wurden? Was wäre außerdem der Bauer ohne seinen Traktor, mit dem er das Futter für die Kühe vom Feld holt? Und wie ist der entstanden? Der Kühllaster, der täglich über die Dörfer fährt und die Milch aus den Kühlbehältern saugt und dabei ganz nebenbei ihren Fettgehalt und eventuelle Verunreinigungen feststellt? Auf der anderen Seite die großen Papiermaschinen, welche die Pappe für den Karton produzieren, die Druckmaschinen, die benötigt werden, um den Karton hübsch zu bedrucken, die Kunststoffhersteller, welche für die innere Folienhaut im Karton zuständig sind, und dann die vielen Computer, die überall im Einsatz sind, die Computer, welche die Milchbestellung für das Supermarktregal an die Molkerei übermitteln, die Lastkraftwagen, welche die Verteilung der Milch auf die Märkte übernehmen, die meist unsichtbaren Helfer, die damit beschäftigt sind, die Regale aufzufüllen und abgelaufene Ware auszusortieren, die Frau an der Kasse, die den Milchkarton über den Scanner zieht – wo kommt der denn her? Wo kommt das Band her, das ihren Milchkarton an die Kasse transportiert hat, der Einkaufswagen, mit dem Sie schließlich die Beute zum Auto transportieren, und das Auto selbst, in das sie jetzt einsteigen, um die Milch nach Hause zu schaffen?
Das alles hat die große Bedarfsgemeinschaft hervorgebracht, und zwar für die große Bedarfsgemeinschaft.
Der Außenhandel muss noch ein Weilchen draußen bleiben, auch wenn er an dieser Stelle schon ganz heftig räsoniert.
Wir sehen allerdings, dass die Verteilung des Hervorgebrachten recht unterschiedlich ausfällt. Es gibt eben die Villa in Bogenhausen, in der drei Leute auf 800 Quadratmetern Wohnfläche leben und den Tag mit einem Sprung in den beheizten Swimming Pool beginnen, und es gibt ebenso, und deutlich häufiger, die 2 1/2- Zimmer Wohnung mit 58 Quadratmetern zwischen Autobahn und Kläranlage, die sich ebenfalls drei Menschen teilen, sich morgens am Waschbecken mit kaltem Wasser waschen und zum täglichen Flaschensammeln nicht vom Chauffeur gefahren werden.
Dazwischen gibt des eine Vielzahl von Abstufungen des Lebensstandards, die auf unterschiedlichste Ursachen zurückgeführt werden können. Das Schicksal, als eine Größe, für die viele, die es nach unten gerissen hat, die Kraft nicht mehr aufbringen, sich dagegen zu stemmen, wie auch viele, die es nach oben geschwemmt hat, keinen Gedanken daran verschwenden, dass ihr Status nicht ihrer Leistung, sondern eher einem Riesendusel, oder einfach glücklichen Umständen zugerechnet werden muss. Neben dem Schicksal, in dem Alter und Krankheit und Arbeitslosigkeit und die Herkunft schon mitgedacht sind, liegen die Unterschiede aber im Umfang und Wert der für die Bedarfsgemeinschaft erbrachten Leistung. Wobei dieser Wert nur zu einem geringen Teil am Nutzen für die Gemeinschaft bemessen wird, sondern überwiegend an der Knappheit spezieller Fähigkeiten.
Das, was viele in gleicher Qualität und Zuverlässigkeit untereinander konkurrierend anbieten, weil sie zu anderem und Besserem nicht in der Lage sind, bringt den geringeren Verdienst, zumal diejenigen, die sofort in der Lage wären, den Job zu übernehmen, überall Schlange stehen.
Die Küchenhilfe an der Spülmaschine im Sternerestaurant wird sich mit dem Mindestlohn zufrieden geben müssen, obwohl der Chefkoch (sofern er klug zu wirtschaften in der Lage ist) mehr als das 25-fache nach Hause trägt.
In der Kantine einer Porzellanfabrik verdient die Küchenhilfe an der Spülmaschine das Gleiche wie ihre Kollegin im Sternerestaurant. Hat aber womöglich etwas weniger Stress und vor allem die günstigeren Arbeitszeiten. Der Küchenchef der Betriebskantine hat jedoch, wenn er Glück hat, nur wenig mehr als den doppelten Stundenlohn seiner Küchenhilfe.
Werfen wir einen Blick zurück auf den Milchkarton, erschließt sich, dass die beiden erwähnten Küchenhilfen, der Sternekoch und der Küchenchef in der Kantine jeweils auf ihre Weise und an ihrem Platz ihren Beitrag zur Existenz der Bedarfsgemeinschaft leisten.
Betrachtet man die Situation nur eine Abstraktionsebene höher, entsteht das Bild eines Biotops, eines Ökosystems. Unterschiedlichste Organismen, Pilze, Bakterien, Regenwürmer, Kellerasseln usw., wirken unterirdisch im Boden und schaffen mit ihren Lebensäußerungen die Grundlage für das Pflanzenwachstum, auch Insekten in den unterschiedlichen Stadien ihrer Metamorphose sind daran beteiligt, dienen zugleich aber auch Vögeln und kleinen Wirbeltieren als Nahrung, während sie zudem die Befruchtungsarbeit für viele Wild- und Nutzpflanzen leisten. Die Vegetarier unter den Tieren fressen große Mengen Pflanzen und düngen mit ihren Ausscheidungen den Boden, wiewohl sie von Raubtieren attackiert und gefressen werden.
Aufgrund der geologischen und meteorologischen Bedingungen des Standorts und seiner Ausdehnung zwischen seinen natürlichen Grenzen bildet sich darin von selbst eine Ausgewogenheit der Arten heraus, die sicherstellt, dass alle Nahrungsketten soweit funktionieren, dass im Wandel der Jahreszeiten die Regeneration der Populationen aller Arten über lange Zeit derart sichergestellt ist, dass auch natürliche Schwankungen in den (Über-)Lebensbedingungen immer wieder durch Regelmechanismen korrigiert und kompensiert werden.
Die Füchse können in einer Saison so viele Junghasen erwischen, dass deren Population fast ausgerottet ist, doch in der nächsten Saison werden die Füchse ihre Jungen nicht großziehen können, weil es viel zu wenige Junghasen gibt. Das schafft im nächsten Jahr gute Vermehrungsbedingungen für die Hasen, und im übernächsten Jahr ist der Tisch für die Füchse wieder reichlich gedeckt.
Von dieser Betrachtung zurückkehrend zur „Bedarfsgemeinschaft Deutschland“, fällt auf, dass die Ausgewogenheit der „Arten“ soweit gestört ist, dass das gesamte System durch nur einen unerwarteten externen Einflussfaktor ins Chaos getrieben werden konnte.
Es gibt kaum jemanden, der nicht mit Blick auf die fortschreitende Rodung der Regenwälder von einem nicht zu verantwortenden Raubbau spricht. Es ist allzu offenkundig, dass der Platz, an dem über Jahrhunderte auf einer hauchdünnen Humusschicht die Urwaldriesen das Bild prägten und einer reichen Artengemeinschaft Lebensraum boten, planmäßig „verwüstet“ wird, weil die hastig angelegten und wieder abgeernteten Monokulturen nach wenigen Jahren wieder verschwinden, weil der Rest des Bodens schnell ausgelaugt ist, weil Pflanzenschutzmittel sowohl Wildpflanzen als auch Insekten und Mikro-Organismen vernichtet haben, und Wind und Regen das bisschen verbliebenen Humus ausgewaschen und fortgetragen haben.
Zugleich gibt es kaum jemanden, der sich die Frage stellt, ob die Tatsache, dass 50 Prozent der wirtschaftlichen Leistung Deutschlands das Land als Exportgüter verlassen, nicht dem Raubbau am Regenwald sehr ähnlich sei.
Sie sehen, der Außenhandel hat es endlich geschafft, in diesen Gedankengang Einzug zu halten. Sie werden jetzt natürlich entgegnen, dass es ja nicht nur Exporte, sondern auch Importe gäbe, wodurch der Verlust an Gütern und Waren, die im Export verschwinden, doch zumindest teilweise wieder ausgeglichen würde, wenn auch, Sie wissen es, die Bedarfsgemeinschaft Deutschland seit Jahrzehnten dem dümmlichen Stolz verfallen ist, Exportweltmeister zu sein.
Nun ein letzter Blick auf den Regenwald. Die Bäume, die dort gefällt werden, überwiegend von ausländischen Gesellschaften übrigens, gehen ebenso in den Export, wie die Ernte an Mais und Soja, die den gerodeten Urwaldflächen abgerungen wird. Im Gegenzug gibt es auch dort Importe. Was halten Sie von Kettensägen, Handfeuerwaffen und Pestiziden? Ist das nicht alles, was man braucht, um das Ökosystem Urwald schnell und gründlich klein zu kriegen.
So, wie in Südamerika und Teilen Asiens die Wirtschaft auf den Export von Holz, Viehfutter und Rindfleisch ausgerichtet ist, und Arbeit nur bekommt, wer dem Holzeinschlag und der Landwirtschaft dienlich ist, hat die Bedarfsgemeinschaft Deutschland sich darauf konzentriert, die Welt mit Automobilen und Maschinen zu überschwemmen. Arbeit und eigenes Einkommen hat nur, wer direkt oder indirekt (Milchkarton!) an der Erzeugung dieser (und weniger weiterer) Exportschlager mitwirkt.
So ist auch bei uns eine Verarmung des Bodens eingetreten, weil wir alles, dessen Nutzen für den Export nicht unmittelbar einsichtig war, schlicht weggerodet haben.
Wir haben im Rausch der Hartz-Reformen hunderttausende von Stellen im öffentlichen Dienst des Bundes, der Länder und der Kommunen ersatzlos gestrichen und mit einer (unsinnigen) Schuldenbremse verhindert, dass sich dieser Trend jemals wieder umkehren kann. Wir haben die Bundeswehr von 500.000 Mann auf 200.000 eingeschmolzen, wir haben privatisiert, was zu privatisieren war und mit Qualitäts- und Leistungseinbußen dafür bezahlt, dass die neuen Herren über die Infrastruktur der Grundversorgung ebenfalls hunderttausende von Stellen gestrichen haben. Wohnungsbestände der öffentlichen Hände wurden ebenso verramscht wie unsere Krankenhäuser und Kliniken, die damit nicht mehr auf ein hohes Maß an Versorgungssicherheit, sondern auf ein hohes Maß an Rentabilität für die Betreiber ausgerichtet wurden.
Notwendige Instandhaltungsmaßnahmen an Straßen und Brücken hat man ebenso unterlassen, wie die Bevorratung an lebensnotwendigen Gütern für einen möglichen großen Katastrophenfall.
Die Zahlenverhältnisse zwischen den „Arten“ innerhalb der Gesellschaft haben sich verschoben. Der Dienst am Menschen, sei es in Schulen und Hochschulen, sei es in Behörden und Ämtern, sei es im Gesundheitswesen, sei es in der Bereitstellung von Schwimmbädern und anderen öffentlichen Freizeitangeboten, wurde massiv eingeschränkt und die Betroffenen, die nicht mehr Benötigten, die für den Export Überflüssigen, die vom vorher durchaus funktionierenden natürlichen Kreislauf des Gebens und Nehmens (Erhard, Soziale Marktwirtschaft) ausgeschlossen wurden, werden mit Almosen aus dem Beitrags- und Steueraufkommen der unter Arbeitsverdichtung leidenden, Milliarden von Überstunden leistenden Noch-Beschäftigten mehr schlecht als recht am Leben gehalten.
Wenn sich noch vor wenigen Wochen unsere Vorzeige-Politiker mit großartigen Sprüchen hervortaten, die auf den Punkt gebracht lauteten: „Wir sind gut aufgestellt und haben alles im Griff“, erinnert mich das heute doch stark an Hermann Göring, der den Volksgenossen via Volksempfänger im ersten Kriegsjahr erklärt haben soll: „Wenn ein einziger feindlicher Bomber über Berlin auftaucht, will ich Meier heißen.“
Nun, Maas, Spahn, Altmeier, und wie sie alle heißen, haben keine vergleichbare Wette angeboten, aber so wie die feindlichen Bomber die deutschen Städte nach und nach in Schutt und Asche legten, kommt heute das Sars-Cov-19 Virus über die deutschen Bundesländer, und es stellt sich heraus, dass – so wie Göring am Ende kaum noch ein Flak zur Verfügung hatte – nun kaum noch irgendwo eine Schutzmaske aufzutreiben ist.
Weil keine aufzutreiben ist, sagte man uns, es sei gar nicht wissenschaftlich erwiesen, dass Masken einen medizinischen Nutzen hätten. Nun – wieder ein Vergleich mit den Ende des Dritten Reiches – werden Schüler und Schülerinnen und Rentner als Flakhelfer eingezogen, denn es heißt jetzt: Man möge sich Masken aus Hemden und Blusen selber schneidern, sogar ein alter Schal sei hilfreich.
Die Bedarfsgemeinschaft ist nicht in der Lage, Schutzmasken in ausreichender Zahl herzustellen. Die Ressourcen dafür existieren nicht mehr. Was stellen wir denn überhaupt noch selbst für den eigenen Bedarf her? Textilien? Da sitzt einer in Burladingen, der noch Polo-Shirts in Deutschland produziert. Gebrauchsporzellan? Schuhe? Fotoapparate? Fernsehgeräte? Mobilfunkgeräte? Spielwaren? Setzen Sie die Aufzählung selbst fort. In Augsburg werden bei KuKa noch Roboter gebaut – aber die Fabrik gehört den Chinesen. Wie überhaupt sehr viele Unternehmen, die in Deutschland tätig sind, ganz oder anteilig ausländischen Investoren gehören.
Bei den holzfällenden Unternehmen im Amazonas-Regenwald sieht es übrigens nicht anders aus.
Die Bedarfsgemeinschaft weiß schon länger, dass Pflegenotstand herrscht, die Verantwortlichen tun aber nicht einmal das Nötigste, um dagegen anzugehen. Die Bedarfsgemeinschaft stellt soeben fest, wie schnell die medizinische Versorgung an ihre Grenzen stößt und manche haben noch die Erinnerung daran, dass vor wenigen Monaten vom großen Think Tank „Bertelsmann Stiftung“ noch gefordert wurde, die Zahl der stationären Einrichtungen zu halbieren und noch mehr zu zentralisieren.
Um den bereits benutzten, hinkenden Beispielen ein weiteres anzufügen:
Die Bedarfsgemeinschaft Deutschland gleicht einem Narren vom Schlage eines Till Eulenspiegel, der sich seinen Magen künstlich verkleinern lässt, um die Nahrungsmittel, die er selbst zur Erhaltung seiner Leistungskraft benötigt, ohne Magenknurren exportieren zu können.
Die Bedarfsgemeinschaft Deutschland kann sich auch heute nicht dazu aufraffen, ihre beschäftigungslosen, aber kräftigen, gesunden und arbeitsfähigen Mitglieder nachdrücklich aufzufordern, sich doch am Flaschensammeln zu beteiligen. In jeder echten Bedarfsgemeinschaft wäre das Anlass für den höchsten Zoff – und zwar zu Recht, in Deutschland kann man jedoch niemandem zumuten, in der Stunde – nicht der Not, sondern – der Notwendigkeit, Gemüse zu pflanzen.
Es hängt sich alles immer am Spargel auf, weil sich viele das Edelgemüse nicht leisten können und von daher mit aus dem Neid entsprungener Schadenfreude den wirtschaftlichen Niedergang der Spargelbauern praktisch herbeisehnen.
Dass die Saisonarbeiter, die jetzt nicht oder nur unter erheblichen Erschwernissen kommen dürfen – oder gar nicht kommen wollen – für die Landwirtschaft, nicht nur auf den Spargelfeldern, dringend benötigte Arbeit verrichten, von der erhebliche Teile der Versorgung mit Lebensmitteln abhängen, wird ausgeblendet.
Münteferings „Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen“, war seinerzeit die falsche Parole. Zweifellos. Denn sie diente dazu, denjenigen, die keine Arbeit mehr bekamen, weil keine angeboten wurde, die Schuld an ihrer Entlassung selbst zuzuschreiben.
Wenn es aber Arbeit gibt, die zur Versorgung der Bedarfsgemeinschaft erbracht werden muss, und sich unter den Arbeitsfähigen viel zu wenige bereitfinden, mit anzupacken, und dann auch noch mit „Menschenrechten“ argumentieren, dann sollten diejenigen, die sich abrackern, vielleicht doch damit anfangen, statt den eigenen Gürtel enger zu schnallen, statt sich den Magen verkleinern zu lassen, ihre eigenen Menschenrechte hochzuhalten.
Die Lage ist nicht so schlimm, und wird es hoffentlich auch nicht werden, dass man sich von der Stütze keine Kartoffelchips mehr kaufen kann, weil es schlicht niemanden gegeben hat, der die Saatkartoffeln gelegt und die reifen Kartoffeln geerntet hat, aber jenen, die sich jetzt als die Verteidiger der Rechte von Arbeitslosen und Flüchtlingen aufspielen und diese in ihrer Abwehrhaltung bestärken, bzw. die Abwehrhaltung erst herstellen, denen würde ich dieses Erlebnis durchaus wünschen.
Ein Mensch, der sich bewusst darauf einlässt, kann als Eremit in einer Klause leben.
Wir, die Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft Deutschland, können das nicht. Wir sind, einer auf den anderen, angewiesen, sprichwörtlich von der Wiege bis zur Bahre. Das ist für jeden eine Verpflichtung, seinen Teil beizutragen, und diese Verpflichtung wächst, wenn es in den Kreisläufen im Biotop zu einer erheblichen Störung kommt.
Der Fall ist eingetreten. Wir sind nicht optimal darauf vorbereitet. Es fehlt an allen Ecken und Enden an Arbeitskraft, an materiellen Ressourcen, an Organisation und Logistik. Milliarden Hilfsgelder sind Milliarden Hilfsgelder. Sie bewirken alleine gar nichts. Wir müssen uns in Bewegung setzen und diese Hilfsgelder sinnvoll verwenden. Klar ist, dass längst nicht alle Milliarden auch da ankommen, wo sie wirklich Nutzen stiften. Dies zu verändern ist in der aktuellen Situation aber gar nicht möglich. Das müssen wir hinnehmen.
Jetzt ist die Zeit, aus den verfügbaren Mitteln mit dem vorhandenen Wissen, mit den mobilisierbaren Fähigkeiten, mit Kreativität, Improvisationstalent und hohem persönlichen Einsatz das Beste zu machen. Sonst nichts, denn da ist genug zu tun.
Aber:
Wenn das Ärgste vorbei ist, können und müssen wir die Regeln unserer Bedarfsgemeinschaft überdenken und wo erforderlich neu gestalten.
Zuerst erchienen auf EGON-W-KREUTZER.de
Egon W. Kreutzer ist Unternehmensberater, Autor und Blogger
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