Der US-Opioid-Skandal

Vertriebspraktiken der Pharmakonzerne führen in den USA zu einer rasant steigenden Anzahl süchtiger Menschen. Doch warum kommen sie mit Strafzahlungen davon?
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Drogendealer unterwegs.Foto: iStock
Von 27. Mai 2022

Mitte Mai 2022 veröffentlichte das amerikanische Gesundheitsministerium die neuesten Zahlen zu Drogentoten in den USA. Demnach starben 2021 etwa 108.000 Menschen an Drogen, ein Anstieg um 15 Prozent gegenüber 2020. 2019 waren es noch etwa 71.000 gewesen.

In den beiden Corona-Jahren 2020 und 2021 nahm die Zahl der Drogentoten also um über 50 Prozent zu. Seit dem Jahr 2000 starben in den USA offiziell über eine Million Menschen an Drogen.

Das entspricht genau der offiziellen Zahl sämtlicher COVID-Toten bis 19.5.2022 in den USA. Ein anderer Vergleich: Im Vietnamkrieg starben von 1961 bis 1975 rund 68.000 US-Soldaten.

Die Hauptdrogen, die zum Tod führen, sind sogenannte Opioide, künstlich hergestellte synthetische Drogen, insbesondere Fentanyl, das angabegemäß etwa 50-mal so stark wirkt wie Heroin.

Corona-Maßnahmen führten zu mehr Drogentoten

Als ein Grund für den dramatischen Anstieg in den Jahren 2020 und 2021 wurden von der „Pharmazeutischen Zeitung“ im Januar 2022 die Corona-Maßnahmen genannt: „Wegen der Pandemie mussten viele Institutionen zeitweise schließen. Süchtige saßen isoliert zu Hause, wenn sie denn eines hatten.“

Die Kosten der Opioid-Abhängigkeit und –Toten wurden für das Jahr 2018 in den USA, also vor dem starken Anstieg während der COVID-Zeit, vom „economist“ mit 696 Milliarden Dollar oder 3,4 Prozent des US-Sozialprodukts angegeben.

Wichtige Treiber für die rasant steigenden Suchtzahlen der letzten Jahre waren die Vertriebspraktiken der Pharmakonzerne.

Wie die „Tagesschau“ berichtete, waren unter anderem Johnson & Johnson sowie drei weitere Konzerne „beschuldigt worden, mit Schmerzmitteln zur grassierenden Medikamentenabhängigkeit in den USA beigetragen und Schmerzmittel unter Verschleierung der Suchtgefahren mit rücksichtslosen und aggressiven Methoden vermarktet zu haben.“

Die deutsche ARD zitiert die US-Generalstaatsanwältin Letitia James: „Die zahlreichen Unternehmen, die Opioide hergestellt und in der ganzen Nation verteilt haben, taten dies ohne Rücksicht auf Leben oder sogar auf die nationale Krise, die sie mitbefeuert haben“. Wegen dieser Praktiken haben sich vier beschuldigte Konzerne im Juli 2021 bereit erklärt, bis zu 26 Milliarden Dollar Entschädigung zu zahlen, um weitere Klagen abzuwenden.

Kurz darauf, im September 2021, hatte sich die US-amerikanische Familie Sackler vor Gericht bereit erklärt, 4,5 Milliarden Dollar Entschädigung zu zahlen.

Das „Handelsblatt“ schreibt dazu: „Ihr Name steht wie kein anderer für die Opioid-Epidemie in den USA: die Sackler-Familie. Die Sacklers sind die Besitzer des Pharmakonzerns und Oxycontin-Herstellers Purdue, der mit der Abhängigkeit Milliarden machte. Es ist ein legales, aber extrem schnell abhängig machendes opioidhaltiges Mittel, das die Familie bewusst in den Markt drückte. Sie gilt als Hauptverantwortliche für die Opioid-Epidemie, die rund einer halben Million Amerikanern das Leben gekostet hat.“

Die Kleinen hängt man, die Großen lässt man laufen

Meine Frage in diesem Zusammenhang lautet: Warum kommen Konzerne und Konzernlenker, die Hunderttausende Menschen wissentlich in Abhängigkeit und Tod treiben, mit einer Geldstrafe davon, die möglicherweise nur einen kleinen Bruchteil der erwirtschafteten Gewinne ausmacht? Warum wird ein Kapitalverbrechen nicht mit Gefängnis bestraft?

Im Frühjahr 2019 war dies in den USA einmal geschehen: Damals waren fünf Manager der Firma Invys für ihre kriminellen Opioid-Vertriebspraktiken hinter Schloss und Riegel geschickt worden. Der Hauptverantwortliche, John Kapoor, wurde zu fünfeinhalb Jahren Gefängnis verurteilt und soll im Dezember 2024 wieder entlassen werden.

Andrew Kolodny, Co-Direktor der Opioid Policy Research at Brandeis University’s Heller School for Social Policy and Management, sagte dazu seinerzeit: „Ich hoffe, dass wir mehr Kriminalverfolgungen gegen Opioid-Hersteller sehen werden. […] Eine Strafzahlung oder eine Zivilklage ist nicht angemessen, wenn wir Unternehmen davon abhalten wollen, Menschen für Profitzwecke zu töten.”

Genau das fand aber im Anschluss statt: Strafzahlung statt Kriminalverfolgung. Warum? Die Anwälte der fünf 2019 zu Haftstrafen Verurteilten meinten, Invys sei nur ein „Kleindarsteller“ (a bit player) gewesen. Das würde zu dem bekannten Spruch passen: Die Kleinen hängt man, die Großen lässt man laufen. Die wirklich Reichen und Mächtigen kommen im US-Opioid-Skandal noch einmal davon.

Dr. Christian Kreiß ist seit 2002 Professor an der Hochschule Aalen für Finanzierung und Volkswirtschaftslehre. Er ist auch Autor von sieben Büchern und wurde mehrfach als unabhängiger Experte in den Deutschen Bundestag (Grüne, Linke, SPD) eingeladen. Weitere Informationen auf www.menschengerechtewirtschaft.de.

Dieser Beitrag stellt ausschließlich die Meinung des Verfassers dar. Er muss nicht zwangsläufig die Sichtweise der Epoch Times Deutschland wiedergeben.


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