Das Problem der freigelassenen Dschihadisten in Europa
Am 3. Februar 2020 erstach Sudesh Amman, der gerade aus dem Gefängnis in England entlassen worden war, nachdem er die Hälfte seiner Haftstrafe verbüßt hatte, zwei Menschen in Streatham, Süd-London, bevor er von der Polizei am Tatort erschossen wurde. Später übernahm ISIS die Verantwortung für den Anschlag.
Der Anschlag warf erneut die Frage auf, wie Europa mit dem Dschihad-Terrorismus umgehen sollte.
Nach Ammans Terroranschlag kündigte die Regierung an, dass eine Notstandsgesetzgebung eingeführt würde, um die automatische vorzeitige Entlassung von Terroristen aus dem Gefängnis zu beenden. Terroristen würden erst dann für eine Freilassung in Betracht gezogen, wenn sie zwei Drittel ihrer Strafe verbüßt haben und der Bewährungsausschuss seine Zustimmung gegeben hat. Justizminister Robert Buckland sagte, dass der jüngste Angriff von Amman nach „sofortigen Maßnahmen“ rufe.
„Wir können nicht zulassen, dass ein Täter – ein bekanntes Risiko für unschuldige Mitglieder der Öffentlichkeit – vorzeitig durch ein automatisches Rechtsverfahren ohne jegliche Aufsicht durch den Bewährungsausschuss freigelassen wird, wie wir es im gestrigen Fall auf tragische Weise gesehen haben“, sagte er.
Es bleibt abzuwarten, ob die Freilassung eines Terroristen nach Verbüßung von zwei Dritteln seiner Strafe, statt der Hälfte, einen Unterschied machen wird. „Es wird einige Leute geben, für die ihre Ideologie kugelsicher ist, und es gibt keine Möglichkeit, da hineinzukommen“, sagte Ian Acheson, ein ehemaliger Gefängnisgouverneur. „Wenn es Menschen gibt, die absolut entschlossen sind, keine Intervention zu akzeptieren, die dieses toxische Denken ändert könnte, dann sollten sie im Gefängnis sein, und zwar wenn nötig auf unbestimmte Zeit.“
Der Anschlag letzte Woche folgt auf den Terroranschlag auf der London Bridge im November 2019 – bei dem der verurteilte Terrorist Usman Khan, der ebenfalls auf Bewährung nach der Hälfte seiner Haftzeit entlassen worden war, zwei Menschen ermordet und mehrere andere verletzt hat.
Dieser Angriff hatte das britische Justizministerium veranlasst, eine „dringende Überprüfung“ der Bewährungsbedingungen für 74 Personen einzuleiten, die wegen Terrorvergehen inhaftiert, aber vorzeitig entlassen worden waren. Im Jahr 2012 erhielt Usman Khan eine besondere Gefängnisstrafe, die als IPP-Gefängnis (Gefängnis für öffentlichen Schutz) bezeichnet wurde, was bedeutete, dass er mindestens acht Jahre absitzen würde und nicht freigelassen werden konnte, es sei denn, er hätte den Bewährungsausschuss davon überzeugt, dass er keine Bedrohung mehr darstellte. Doch 2013 ersetzte das Berufungsgericht die Strafe durch eine 16jährige feste Haftstrafe, von der Khan die Hälfte im Gefängnis absitzen sollte.
Beunruhigend ist, dass es eines tödlichen Terroranschlags bedurfte, damit die britischen Behörden eine Überprüfung der verurteilten Terroristen auf Bewährung einleiten konnten; es ist nicht das erste Mal, dass verurteilte Terroristen auf Bewährung beschlossen haben, einen neuen terroristischen Akt zu begehen. Übrigens war einer der Komplizen des Terroristen Usman Khan, der zusammen mit weiteren sieben Männern 2012 wegen eines Komplotts zur Sprengung der Londoner Börse im Gefängnis saß, Mohibur Rahman, der 2016 auf Bewährung entlassen wurde, nachdem sein Anwalt argumentiert hatte, dass er im Gefängnis „eine Entradikalisierung“ durchlaufe. Rahman wurde jedoch im August 2017 erneut inhaftiert, weil er zusammen mit zwei anderen Männern einen „Massenangriff auf ein polizeiliches oder militärisches Ziel“ geplant hatte. Er verbüßt nun eine lebenslange Haftstrafe mit mindestens 20 Jahren Gefängnis.
Großbritannien hatte 15 Jahre Zeit – seit dem ersten großen Vorfall von Dschihad-Terror auf seinem Territorium im Juli 2005 – um lange und intensiv darüber nachzudenken, wie es mit den ständig wachsenden Problemen mit Dschihadisten umgehen soll. Zu diesen Problemen gehören der Umgang mit den Dschihadisten nach dem Gesetz, die Verurteilung und die anhaltende Radikalisierung in den Gefängnissen sowie potenzielle Probleme im Zusammenhang mit Rückfällen nach der Freilassung.
Dass ein verurteilter Dschihadist auf Bewährung, der in einem „Deradikalisierungsprogramm“ gewesen war, einen neuen Terroranschlag verüben könnte, hätte vielleicht nicht völlig überraschend kommen müssen.
Die bestehenden Deradikalisierungsprogramme – wie das Interventionsprogramm für eine gesunde Identität, das seit 2010 pilotiert wird und nun das wichtigste Rehabilitationsprogramm für Gefangene ist, die wegen Straftaten im Zusammenhang mit Extremismus verurteilt wurden, sowie das Programm für Distanz und Rückzug, an dem Usman Khan teilgenommen hat – wurden laut einem kürzlich erschienenen Bericht der BBC nie vollständig bewertet, ob sie die gewünschten Ergebnisse bringen.
Was die Regierung bewertet hat, ist, dass die islamistische Radikalisierung in britischen Gefängnissen ein erhebliches Problem darstellt. Im August 2016 veröffentlichte die Regierung eine Zusammenfassung einer leider anderweitig klassifizierten Überprüfung des islamistischen Extremismus in britischen Gefängnissen. Der Zusammenfassung zufolge „fand die Überprüfung Beweise dafür, dass IE [islamischer Extremismus, Hrsg.] ein wachsendes Problem in den Gefängnissen darstellt“. Die Überprüfung ergab:
„… die Bedrohung durch IE kann sich im Gefängnis auf verschiedene Weise manifestieren, unter anderem: Muslimische Bandenkultur und die daraus resultierende Gewalt, Drogenhandel und Kriminalität, die von diesen Gruppen inspiriert oder gelenkt werden… Täter, die für die Unterstützung des Daesh und Drohungen gegen das Personal und andere Gefangene eintreten, charismatische IE-Häftlinge, die als selbsternannte ‚Emire‘ agieren und einen kontrollierenden und radikalisierenden Einfluss auf die breitere muslimische Gefängnispopulation ausüben, aggressive Förderung von Bekehrungen zum Islam… Bücher und Bildungsmaterialien, die extremistische Literatur fördern, die in den Bibliotheken der Kaplansämter erhältlich ist oder von einzelnen Gefangenen aufbewahrt wird… Ausnutzung der Angst des Personals, als rassistisch bezeichnet zu werden.“
Laut undichten Stellen stand im klassifizierten Abschlussbericht, dass islamische Hassliteratur – frauenfeindliche und homophobe Pamphlete und Hasstraktate, die die Tötung von Abtrünnigen unterstützen – in den Bücherregalen britischer Gefängnisse frei zugänglich ist. Die Hassliteratur wurde von muslimischen Kaplanen, die selbst vom Justizministerium ernannt worden waren, an Häftlinge verteilt. Die durchgesickerte Überprüfung ergab auch, dass die Kaplane einiger Gefängnisse die Insassen ermutigten, Geld für islamische Wohltätigkeitsorganisationen zu sammeln, die mit dem internationalen Terrorismus in Verbindung stehen. Der ehemalige Gefängnisgouverneur Ian Acheson, der die Überprüfung durchführte, sagte damals, er habe festgestellt, dass dem Gefängnispersonal die Ausbildung fehle, um islamistisch-extremistische Ideologie zu konfrontieren und abzuschrecken, und dass es „oft Angst hatte, dass es sonst des Rassismus beschuldigt würde“.
Chris Phillips, ein ehemaliger Leiter des britischen National Counter Terrorism Security Office, warnte vor kurzem: „Wir spielen russisches Roulette mit dem Leben der Menschen und lassen verurteilte, bekannte, radikalisierte Dschihad-Kriminelle auf unseren Straßen herumlaufen.“ Bereits 2015 hatte Phillips davor gewarnt, dass der Personalmangel in den Gefängnissen die Bekämpfung der islamischen Radikalisierung erschwere: Extremisten würden nicht angemessen überwacht, so dass sie andere rekrutieren könnten.
Die Freilassung von Anjem Choudary – bekannt als Großbritanniens „notorischster Hass-Kleriker“ im Oktober 2018 – nach der Hälfte seiner fünfeinhalbjährigen Haftstrafe ist ein weiteres Beispiel für ein solches „Russisches Roulette“. Choudary wurde 2016 ins Gefängnis geschickt, weil er zur Unterstützung von ISIS ermutigt hatte. Es wird geschätzt, dass er mit seinen Predigten „eine Generation von Terroristen“ inspiriert hat. Zu ihnen gehörten Usman Khan, Michael Adebolajo – einer von zwei Mördern, die 2013 in Woolwich im Süden Londons den Soldaten Lee Rigby zu Tode hackten – und Khuram Butt, der Anführer der London Bridge-Terrorbande, die bei einem Terroranschlag im Juni 2017 acht Menschen ermordet und 48 verletzt hat. Anjem Choudary gehört zu den 74 freigelassenen Dschihadisten, deren Bewährung „dringend überprüft“ wird.
Die Probleme, die die Fälle Sudesh Amman und Usman Khan aufwerfen, sind jedoch bei weitem nicht ausschließlich britischer Natur. Sie sind ein europäisches Problem. Nach Angaben von CNN:
„Im September hat der Think Tank Globsec die Fälle von mehr als 300 europäischen Dschihadisten, die in einem einzigen Jahr, 2015, in Terrorismus verwickelt waren, eingehend untersucht. Einige waren getötet worden, aber 199 waren wegen verschiedener Terrorvergehen verurteilt worden. Kacper Rekawek, einer der Autoren des Berichts, sagte gegenüber CNN, dass von dieser Zahl 45 bis Ende 2019 und insgesamt 113 bis Ende 2023 aus der Haft entlassen werden sollen.“
Besonders besorgniserregend war die Schlussfolgerung von Globsec, dass „in den Reihen der Dschihadisten verhärtete Veteranen stehen, die bereits mehr als eine Verurteilung wegen Terrorismus durchlaufen haben und darauf orientiert sind, ihre Taten zu wiederholen“.
Es ist nicht nur Großbritannien, das eine Notstandsgesetzgebung für inhaftierte und freigelassene Dschihadisten braucht. Der größte Teil Europas braucht sie.
Über die Autorin: Judith Bergman, Kolumnistin, Anwältin und Politologin, ist eine Distinguished Senior Fellow am Gatestone Institute.
Zuerst erschienen bei „Gatestone Institute“
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