Bundestagsvizepräsidentin: 100 ist mehr als die Hälfte von 709. Ruhe da!
Laut Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages ist dieser nur dann beschlussfähig, wenn mehr als die Hälfte seiner Mitglieder im Sitzungssaal anwesend ist. Bei 709 Abgeordneten müssen also mindestens 355 im Plenum sein, damit eine Beschlussfähigkeit gegeben ist. In der Nacht von Donnerstag auf Freitag waren aber nicht einmal mehr 100 von den 709 zugegen. Gleichwohl versuchte man, kurz vor der Sommerpause schnell noch einige Abstimmungen durchzupeitschen. Daraufhin beantragte die Bundestagsfraktion der AfD einen sogenannten Hammelsprung, um die Beschlussfähigkeit des Bundestages vor der Abstimmung über mehrere Gesetzesvorlagen festzustellen. Was dann passierte, muss man gesehen haben, zeigt es doch überdeutlich, wo unser Land lange schon hinsteuert.
Über 609 der 709 Bundestagsmitglieder sind gar nicht mehr da
Kurz vor 01:30 Uhr in der Nacht von Donnerstag, den 27. Juni, auf Freitag, den 28. Juni 2019. Es ist die vorletzte Sitzung vor der zehnwöchigen Sommerpause. Am nächsten Morgen soll es von 09:00 Uhr bis 17:15 Uhr weitergehen, dann geht es in die Ferien und man tagt erst wieder ab dem 09. September. Vier Punkte stehen noch auf der Tagesordnung, zunächst ein Gesetz zur Anpassung des Datenschutzrechtes an eine EU-Verordnung. Von den 709 Bundestagsabgeordneten ist aber zu so später Stunde nur noch ein kleines Häufchen übrig, nicht mal 100 von diesen, also nicht mal 15 Prozent, eventuell sogar noch weniger. Gleichwohl will man jetzt noch schnell alles beschließen und durchwinken.
Einige mögen sich vielleicht an eine ähnliche Situation von vor zwei Jahren erinnern, an das mehr als bedenkliche Gebaren der Altparteien beim Durchwinken des höchstwahrscheinlich grundgesetz- und menschenrechtswidrigen Netzwerkdurchsetzungsgesetzes. Auch damals, im Mai 2017, waren die meisten Bundestagsabgeordneten überhaupt nicht mehr im Sitzungssaal, weil sie meinten, gerade die Einführung der Homoehe feiern zu müssen. Damals war die AfD noch nicht im höchsten deutschen Parlament vertreten.
AfD stellt Antrag auf Feststellung der Beschlussfähigkeit (Hammelsprung)
Seit Ende 2017 ist die Alternative für Deutschland nun aber mit ca. 90 Abgeordneten im Deutschen Bundestag vertreten, ist damit die größte Oppositionspartei und Oppositionsführerin in diesem hohen Haus. Und die AfD war mit diesem Vorgehen nicht einverstanden. Also stellte Jürgen Braun, Parlamentarischer Geschäftsführer der AfD im Deutschen Bundestag, stellvertretender Vorsitzender im Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe sowie ordentliches Mitglied im Ältestenrat, einen Antrag gemäß § 45 Absatz (2) der Geschäftsordnung. Dort heißt es:
Wird vor Beginn einer Abstimmung die Beschlußfähigkeit von einer Fraktion oder von anwesenden fünf vom Hundert der Mitglieder des Bundestages bezweifelt und auch vom Sitzungsvorstand nicht einmütig bejaht oder wird die Beschlußfähigkeit vom Sitzungsvorstand im Einvernehmen mit den Fraktionen bezweifelt, so ist in Verbindung mit der Abstimmung die Beschlußfähigkeit durch Zählung der Stimmen nach § 51 (Hammelsprung, JFB), im Laufe einer Kernzeit-Debatte im Verfahren nach § 52 (namentliche Abstimmung, JFB) festzustellen. Der Präsident kann die Abstimmung auf kurze Zeit aussetzen.“
Und in Absatz (3) von § 45 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages heißt es unmissverständlich:
„Nach Feststellung der Beschlußunfähigkeit hebt der Präsident die Sitzung sofort auf.“
Wir haben fast drei Sekunden diskutiert und sind uns alle einig: 100 ist mehr als die Hälfte von 709
Nun wollte aber die stellvertretende Bundestagspräsidentin Claudia Roth (Die Grünen) und auch ihre Kollegen, die ihr gerade assistierten, die Sitzung offensichtlich nicht sofort aufheben, da man doch schnell noch alles durchpeitschen wollte, um am nächsten Tag pünktlich die Sommerpause antreten zu können. Hätte man die Überprüfung der Beschlussfähigkeit zugelassen, wäre aber klar gewesen, was dabei herauskommt, denn jeder konnte mit einem groben Blick schon sehen, dass nicht einmal annähernd die Hälfte der Bundestagsmitglieder anwesend war, ja nicht einmal annähernd ein Viertel, wahrscheinlich nicht mal 15 Prozent. Was dann passierte, das müssen Sie sich in der Videoaufnahme unten unbedingt ansehen.
Nach etwa drei Sekunden (!) sagte sie Sitzungsleiterin Claudia Roth dann zu ihren Kollegen: „Wir sind uns einig“. Ich wiederhole: nach etwa drei Sekunden. Dann sagt sie laut ins Mikrofon an alle gerichtet:
Also, wir haben hier oben miteinander … äähh … diskutiert. Wir sind der Meinung, dass die Beschlussfähigkeit gegeben ist.“
Jürgen Braun trat daraufhin nach vorne und intervenierte mehrfach, dass nicht einmal 100 von den 709 Bundestagsabgeordneten anwesend seien und es daher aberwitzig wäre, zu behaupten, die Beschlussfähigkeit sei gegeben, welche nach § 45 Absatz (1) nur vorliegt, wenn mehr als die Hälfte der Abgeordneten anwesend ist:
Der Bundestag ist beschlußfähig, wenn mehr als die Hälfte seiner Mitglieder im Sitzungssaal anwesend ist.“
Wer einmal die selbstgesetzten Regeln bricht, dem glaubt man nicht, der lebt aber wohl umso ungenierter
Doch Claudia Roth und ihre Kollegen im Präsidium denken wohl, dass auch Mathematik, konkret, was mehr als die Hälfte bedeutet, relativ und Auslegungssache seien, wies die Interventionen von Herrn Braun zurück und verlangte von ihm, sich hinzusetzen „SETZEN SIE SICH HIN!“, von allen anderen, ruhig zu sein „RUHE JETZT!“.
Das Gesetz zur Anpassung des Datenschutzrechtes an eine EU-Verordnung wurde dann einfach pauschal mit der Zustimmung der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD und gegen die Stimmen der AfD, der FDP, der Linkspartei und der Grünen angenommen. Und nun verstehen wir auch besser, warum die Altparteien sich beharrlich weigern, irgendeinen AfD-Kandidaten zum stellvertretenden Parlamentspräsidenten zu wählen, egal wen die Alternative für Deutschland nominiert.
Zunächst wurde der AfD-Abgeordnete Albrecht Glaser dreimal nicht gewählt, dann Mariana Harder-Kühnel ebenfalls dreimal nicht und schließlich verweigerten die „Etablierten“ auch Gerold Otten dreimal die Zustimmung. Dabei steht laut Geschäftsordnung des Bundestags jeder Fraktion ein Sitz im Parlamentspräsidium zu und die AfD ist sogar die drittgrößte Fraktion, größer als die der FDP, die der Linkspartei und die der Grünen, erhielt also bei der letzten Bundestagswahl mehr Stimmen vom Souverän als diese Parteien.
Doch all das schert die Mehrheit der Altparteienabgeordneten nicht. Die selbst gesetzten Regeln werden von Fall zu Fall so zurecht gebogen, wie man es gerade braucht. So auch in der Nacht von Donnerstag auf Freitag diese Woche. Wäre nun ein AfD-Abgeordneter im Bundestagspräsidium, so hätte er dem womöglich nicht zugestimmt, dass 100 mehr als die Hälfte von 709 ist. Dann aber wäre die Beschlussfähigkeit des Bundestages „vom Sitzungsvorstand nicht einmütig bejaht“ worden, wie es in § 45 Absatz (2) der Geschäftsordnung heißt. Der eine Regelbruch ist mithin wohl Bedingung, um weitere Regelbrüche überhaupt erst durchführen zu können.
Beugung von Regeln, die man selber aufgestellt hat, je nach Lust und Laune
Jürgen Braun erklärte anschließend denn auch:
Frau Roth beugt das Recht. Die Verweigerung der Feststellung der Beschlussfähigkeit ist ein glatter Rechtsbruch, mit dem Frau Roth das Ansehen des Parlaments und das Vertrauen der Bürger in die Institution Bundestag nachhaltig beschädigt. Wichtige Gesetze werden auch gegen die geltenden Regeln durchgepeitscht.“
Und die stellvertretende AfD-Fraktionsvorsitzende Beatrix von Storch kündigt an:
Wir prüfen nun, was wir gegen die Willkür tun können, mit der ein offenkundig nicht beschlussfähiger Bundestag in tiefer Nacht unter erkennbar offener Missachtung der Geschäftsordnung Gesetze durchdrückt. Wir hatten die fehlende Beschlussfähigkeit formgerecht gerügt.“
Sie, als Teil des Souveräns der Bundesrepublik Deutschland, kommen sich inzwischen irgendwie verarscht vor von solchen „Volksvertretern“ und fragen nun, warum Sie sich dann überhaupt noch an Recht und Gesetz, an die von diesen Leuten gemachten Regeln halten sollen, wenn jene selbst es nicht tun? Nun, das sollten Sie schon. Warum? Weil sie sonst mit empfindlichen Strafen rechnen müssen, wenn Sie von gesellschaftlichen Regeln abweichen, zumindest wenn die Abweichung in eine Richtung erfolgt, die diese „Volksvertreter“ nicht mögen.
Zuerst erschienen bei JFB
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