Bürgergeld – eine Reise ins Land Schlaraffenland

Wie lange wird die Illusion, dass alle über den Staat auf Kosten anderer leben können, noch andauern? Ein Kommentar zum Bürgergeld.
Bürgergeld – eine Reise ins Land Schlaraffia
Das Bürgergeld kommt nicht aus dem Nichts. Es muss von anderen, von Steuerzahlern, bezahlt werden.Foto: iStock
Von 25. September 2022

Der Wohlfahrtsstaat – eine originäre Erfindung der Deutschen seit Bismarcks Arbeiterversicherung – scheint besonders gern dann zu expandieren, wenn man ihn bei allgemein gewachsenem Wohlstand entbehren könnte. Mittels Freiheit und Eigentumsbildung könnte das Auf-eigenen-Füßen-Stehen funktionieren. Es gilt Eigenvorsorge statt Fremdvorsorge.

Stattdessen humpelt Deutschland weiterhin mit staatlichen Sozialprothesen herum. Und sogar in Zeiten wie diesen, in denen zumindest eine Straffung staatlicher Unterstützungsprogramme geboten wäre und auch eine Konzentration der Mittel auf die „wirklich Bedürftigen“, sucht die rot-grün-gelbe Regierung ihren Expansionskurs fortzuführen. Sie will sogar noch ihr Tempo steigern.

Aber es gibt keine Kuh, die im Himmel gefüttert und auf Erden nur gemolken zu werden braucht. Jede Leistung der Regierung beruht auf einem Verzicht des Bürgers.

Eine negative demografische Entwicklung (mitbedingt durch eine kollektivierende Familienpolitik), selbst verschuldete Energiekrise, tollkühne öffentliche Verschuldung und selbst verschuldete Geldentwertung – all dies sollte ein Grund sein, den überbordenden Wohlfahrtsstaat grundsätzlich zur Diskussion zu stellen. Die „komfortable Stallfütterung“, wie Wilhelm Röpke es nannte.

Die Regierung steckt fest

Indessen geschieht derzeit das Gegenteil und unwillkürlich fällt einem das Sprichwort vom Krug ein, der so lange zum Brunnen geht, bis er zerbricht. Oder von dem Esel, der aufs Eis tanzen geht, wenn es ihm zu wohl wird. Es gibt keine Regierung, die ihre Bürger von den Folgen ihrer falschen Politik durch eine noch einmal gesteigerte schuldenfinanzierte Umverteilung „entlasten“ kann. Diese Regierung steckt in ihren Illusionen fest.

Ein drastisches aktuelles Beispiel ist die geplante Einführung eines sogenannten Bürgergeldes. Das ist ein schönfärberischer Ausdruck für das, was man im 19. Jahrhundert Armenhilfe, dann Sozialfürsorge, dann Sozialhilfe bezeichnete. Schließlich bekam es den unbeliebten technischen Ausdruck Hartz IV.

Früher war dies einmal ein Notprogramm für hilflose Alte und Kranke, für Pechvögel und sonstige Verunglückte des Lebens: geknüpft an strenge Anspruchsvoraussetzungen und manchmal sogar unter Entzug des Wahlrechts, finanziell knapp bemessen, mit strenger Arbeitspflicht, womöglich gar in einem Arbeitshaus. Es galt die strenge Subsidiarität: Primat der Selbsthilfe (meist auf familiärer Basis) statt Fremdhilfe.

Dazu gab es aber ein Riesenprogramm privater sozialer Initiativen, von Genossenschaften und Gewerkschaften angefangen bis hin zu privaten Versicherungen der eigentlichen „sozialen“ Sicherung – dazu mildtätige Stiftungen aller Art. „Brauchst du eine hilfreiche Hand, so suche sie am Ende deines rechten Arms“ – dies war das liberale Ethos jener Zeit – Primat der Selbsthilfe!

Seither herrscht die Tendenz, die Inanspruchnahme der staatlichen Hilfsleistungen zu erleichtern und ihre Leistungen auszudehnen, so zum Beispiel durch die Zurückdrängung der familiären Unterstützungsverpflichtungen bis auf fast Null.

Wird Nichtarbeiten günstiger als Arbeiten?

Die neueste Ausdehnung (zum 1. Januar 2023) in einer Situation großer Anspannung der öffentlichen Haushalte – das „Bürgergeld“ – sieht so aus: Weitere Schwächung der Anspruchsvoraussetzungen, „Schonvermögen“ jetzt 60.000 Euro für wenigstens zwei Jahre, starke Anhebung des Regelsatzes (plus zwölf Prozent) pro Kopf eines Familienhaushaltes oder einer „Bedarfsgemeinschaft“. Dazu kommen keine Kontrollen oder Sanktionen im ersten halben Jahr bei Arbeitsverweigerung („Vertrauensbeziehung“). Später Kürzungsmöglichkeit allenfalls um 30 Prozent des Regelsatzes, Miete, Wohneigentumsnutzung und Heizung bleiben ungekürzt (bei großzügig bemessener Wohnfläche). Es ist ein ungewöhnlich sanfter Umgangsstil der 405 Jobcenter mit ihrer Klientel („auf Augenhöhe“, Partnerschaft). Dies betrifft derzeit etwa fünf Millionen Menschen, übrigens auch über deutsche Staatsbürger hinaus.

Es wird damit – nach fast gleichzeitiger Anhebung des Mindestlohnes auf zwölf Euro (das heißt Arbeitsverbote bei geringer bezahlter Arbeit) – in den bedeutenden unteren Segmenten des Arbeitsmarktes das Nichtarbeiten günstiger als das Arbeiten, sodass sich der Sockel der Langzeitarbeitslosen weiter vergrößern wird.

Wir werden weiterhin viele offene Stellen im Bereich der einfacheren Arbeiten haben. Zudem gibt es gleichzeitig ein Arbeitslosenpotenzial, das nicht dazu motiviert ist, die vielen freien Stellen anzunehmen. Dazu gehören etwa Stellen im Gaststättenbereich, im Baugewerbe, in Geschäften, im Reinigungsgewerbe, auf Flughäfen oder beim Ernteeinsatz. Bürgergeld und dazu ein wenig Schwarzarbeit schafft eine Position, in der es sich bei mittleren Ansprüchen recht angenehm leben lässt.

Im Schlaraffenland: „Jedes Gähnen bringt ein Goldstück“

Was fehlt nun noch zum Schlaraffia, dem „bedingungslosen Grundeinkommen“? Der vollständige Wegfall kontrollierter Anspruchsvoraussetzung: die bedingungslose automatische Staatsrente für jeden, die Verallgemeinerung des Staatsrentnertums auf 100 Prozent unseres Volkes, ob bedürftig oder nicht und auf Lebenszeit (und sogar vielfach unabhängig von der Staatsbürgerschaft).

Wie war es doch im Schlaraffenland? „Jede Stunde Schlafen bringt ein Silberstück und jedes Mal Gähnen ein Goldstück. Wer gerne arbeitet, das Gute tut und das Böse lässt, der wird aus dem Schlaraffenland vertrieben. Aber wer nichts kann, nur schlafen, essen, tanzen, trinken und spielen, der wird zum Grafen ernannt. Und der Faulste wird König im Schlaraffenland.“

Wie lange wird die Illusion, dass alle über den Staat auf Kosten der anderen leben können, noch andauern? Ist diese Illusion geplatzt, wird die Stunde echter Reformer im Sinne von Reagan, Thatcher, Roger Douglas und unseres Ludwig Erhard kommen. Gegen die Regeln der Ökonomie hat kein politisches Machtgebot Erfolg.

Ist eine echte Reform dieses Nanny-Staates überhaupt „politisch möglich“? Es ist aber doch Aufgabe guter Politik, das sachlich Notwendige politisch möglich zu machen. Das ist politische Kunst. Alles andere kann auch Lieschen Müller. Dafür brauchen wir keine gut bezahlten Berufspolitiker.

Über den Autor:

Prof. Gerd Habermann ist seit 2003 Honorarprofessor an der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität Potsdam, Wirtschaftsphilosoph und freier Publizist. Er ist Mitbegründer der Friedrich-August-von-Hayek-Stiftung für eine freie Gesellschaft.

Dieser Artikel erschien zuerst in der Epoch Times Wochenzeitung, Ausgabe Nr. 63, vom 24. September 2022.

Dieser Beitrag stellt ausschließlich die Meinung des Verfassers dar. Er muss nicht zwangsläufig die Sichtweise der Epoch Times Deutschland wiedergeben.


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