Aufregung um ein Friedensmanifest, das nicht sein darf
Markus Lanz stand jahrelang im Schatten der Big-4-Talkshows von Plasberg, Illner, Will und Maischberger. Möglicherweise lag es daran, dass Lanz den von den Öffentlich-Rechtlichen vermessenen engen Korridor der Meinungsäußerungen zuletzt etwas großzügiger ausfüllte oder die Zuschauer einfach von diesen Formaten ermüdet sind und sich einer vermeintlichen Alternative zuwandten.
Die Auswahl der Gäste spielt natürlich auch eine Rolle. Denn wenn Markus Lanz zu einem Zeitpunkt Sahra Wagenknecht in die Sendung bekommt, als deren Petition „Friedensmanifest“ gerade die halbe Millionen Unterschriften überspringt, dann ist das eine Spannung versprechende Wahl, die zugleich das Thema der Sendung vorgibt.
„Alles rund um Sahra“ hat sich Lanz allerdings als Titel nicht getraut.
Neben Wagenknecht sitzt SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert. Ihm wird gleich die Aufgabe zukommen, die Waffen- und Panzerlieferungen seines Parteigenossen, des deutschen Bundeskanzlers Olaf Scholz, zu erklären beziehungsweise zu verteidigen.
Mit dabei ist auch Marina Owsjannikowa, sie war im März 2022 nur Wochen nach dem Angriff auf die Ukraine mit einem Antikriegsplakat mitten in eine Nachrichtenübertragung des russischen Staatsfernsehens geplatzt, ihre Aktion sorgte weltweit für Aufmerksamkeit.
Ebenfalls eingeladen wurde Ljudmyla Melnyk. Die ukrainischstämmige Ukraine-Expertin vom Berliner „Institut für Europäische Politik“ – Baerbocks Auswärtiges Amt und die EU sind hier Partner – spricht über die politischen und sozialen Entwicklungen in ihrem Heimatland nach einem Jahr Krieg.
Hart soll es werden – hart und ungerecht wird’s
Lanz beginnt damit, den Zuschauern zu verraten, dass sich die Linkspolitikerin im Vorfeld zur Sendung eine „harte Diskussion“ gewünscht habe, er hoffe nun, dass er liefern könne. Dass er diese Vorgabe später als Alibi für Übergriffigkeiten nimmt, ahnt Wagenknecht zu dem frühen Zeitpunkt allerdings noch nicht.
Die Bundestagsabgeordnete stellt gleich zu Beginn der Sendung ernüchternd fest, dass die Rede von Putin eine Kriegsrede gewesen sei, samt Aufkündigung der Atomwaffenkontrollverhandlungen. Aber auch bei Biden in Kiew habe sie keinerlei diplomatische Ansätze erkannt, nur Waffenlieferungen und noch mehr zugesagtes Kriegsmaterial und Finanzierungspläne seien angekündigt worden.
Bereits während der laufenden Sendung twittert Rosalia Romaniec, immerhin die Leiterin des Hauptstadtstudio der „Deutsche Welle“ in Berlin, über Wagenknechts Auftritt:
„Sarah [sic!] Wagenknecht ist heute bei Lanz einfach unerträglich. Sie verhöhnt die ukrainischen Opfer. Und behauptet, in dem Krieg in der Ukraine würden beide Seiten Kriegsverbrechen ausüben… lieber @markus__lanz warum laden Sie die Putin-Propagandistin ein??“
Von fast allen berichtenden Medien wurde überhört, was Wagenknecht im Kontext mit zuvor erwähnten Panzer- und Kampfjetlieferungen sagt: Man müsse die Verhandlungen suchen, aber wenn Putin diese Gespräche dann ablehnen würde, „dann kann man meinetwegen über vieles andere reden. Aber wir müssen es doch erst einmal versuchen“, so die Linkspolitikerin, die demnach keinen bedingungslosen Pazifismus im Tornister trägt.
Lanz zeigt gleich zu Beginn, warum er auch viele Kritiker hinter sich vereint. Lanz ist nie nur Moderator, er ist immer ein mitunter unberechenbarer, weil mit keiner erkennbaren Position vorgestellter zusätzlicher Diskutant. Leider unangenehmerweise dann auch noch einer, der seine Rolle als Moderator nutzt, um seiner Position Gehör zu verschaffen.
Lanz maßt sich bereits nach wenigen Minuten an, Wagenknecht zu erklären, diese sei doch „viel zu klug“, um quasi anderer Meinung zu sein als Lanz. Und sie würde sich eine „intellektuelle Bequemlichkeit leisten“, nicht präzise zu sprechen.
Wenn Wagenknecht darauf und auf anderen Vorwürfe erwidern will, wird sie regelmäßig rüde unterbrochen.
Lanz merkt es wohl selbst und erinnert die Zuschauer sicherheitshalber an die „harte Diskussion“, die sich Wagenknecht doch gewünscht habe, hier nach dem Motto: Sie will es ja nicht anders. Unabhängig davon meinte die Politikerin hier sicher nicht diese andauernden lanzschen Unterbrechungen bis hin zu verbalen Übergriffigkeiten.
Als Lanz die Gräuel von Butscha ins Feld führt, erwidert Wagenknecht ihm, das Kriegsverbrechen doch kein Grund sein können, einen Krieg weiterzuführen, „sondern ein Grund mehr, einen Krieg zu beenden“.
„Warum formulieren Sie Kriegsverbrechen passiv?“, will Lanz wieder lauernd wissen. Aber Wagenknecht schaut ihm geradewegs in die Augen und scheut die Antwort nicht: „Weil sie von beiden Seiten begangen werden.“ Wagenknecht ist währenddessen im Bild. Aus dem Off hört man Lanz vernehmbar aufstöhnen, dann ein mitleidiges: „Ach, Frau Wagenknecht, wirklich.“
Militärisch formuliert müsste man hier sagen: Da wird das gegnerische Feld aus der neutralen Ecke bombardiert, weil die Wunschsieger dieser Debatte schon vorher feststehen, aber noch hat Kevin Kühnert ja keinen Mucks gesagt.
Lanz wird von Minute zu Minute mehr zum Sprachwächter. Er grätscht dann sogar dazwischen, als Melnyk sich gerade fair mit Wagenknecht duelliert, so, als traute es der Moderator Frau Melnyk nicht selbst zu, hier selbstständig ihre Argumente vorzutragen.
Wagenknecht nennt die vielen Reisen von Politikern nach Kiew „Polittourismus“. Lanz will das Wort nochmal aus ihrem Mund hören, als ginge es gerade darum, eine Anklage vorzubereiten.
„Frau Wagenknecht, Frau Wagenknecht, haha, bitte, Frau Wagenknecht, bitte, haha“, so Lanz, während die Politikerin gerade eine seiner Fragen beantworten will, aber die angefangene Antwort dem Moderator nicht gefällt.
Es darf keine Werbung für das Manifest werden …
Sahra Wagenknecht bekommt anfangs keinen einzigen Satz zu Ende. Es ist bedrückend zuzuschauen, wie groß hier die öffentlich-rechtliche Sorge scheint, dass noch während der laufenden Sendung die Petition zum Friedensmanifest noch ein paar Unterschriften mehr bekommt.
„Nicht einfach so ohne Punkt und Komma“, unterbricht Lanz erneut beleidigend. Er vergisst aber, dass er ohne Punkt und Komma dazwischen grätscht und eine Frage nach der anderen neu formuliert und abschießt. Fragen, die gar nicht fragend gemeint waren, die Wagenknecht dann gewissermaßen ohne Punkt und Komma beantworten muss, um überhaupt noch irgendwie noch nachzukommen.
Wer sich in den vergangenen Jahren über Tribunale in deutschen Talkshows aufgeregt hat, der bekommt es bei Markus Lanz noch einmal knüppeldick aufgetischt.
„Das stimmt!“ Und: „Das stimmt auch!“, begleitet Lanz die Argumente von Frau Melnyk aus dem Off, als könne sie sich nicht gegen Wagenknecht aufstellen. Es wirkt auch nicht etwa gentlemanlike, sondern will nur für Lanz selbst einzahlen. Im Grundsätzlichen ist es auch gegenüber Melnyk auf subtile Art und Weise übergriffig.
Und hier einmal beispielhaft im Wortlaut, wie das System Lanz funktioniert. Melnyk will wissen, von welchen Vorkriegsübergriffen des ukrainischen Regiments Asow Frau Wagenknecht spricht. Die Linke zitiert hier die UN-Beobachter und spricht von den so dokumentierten Vergewaltigungen und Erschießungen.
„Das ist alles keine Rechtfertigung für den Krieg. Nicht, damit mir gleich wieder etwas unterstellt wird“, ordnet Wagenknecht ihre Aussage sicherheitshalber ein. Sofortige Reaktion von Lanz und wieder mitten in das noch laufende Statement von Frau Wagenknecht hineinposaunt:
„Na ja, gut, dass Sie das noch einmal sagen, es klingt so.“ Und noch einmal: „Es ist gut, dass Sie es richtig stellen, weil es klingt so.“
Aber was sagt Lanz da eigentlich genau? Er meint offensichtlich damit, dass man 2023 keine Kritik mehr an der angegriffenen Ukraine üben darf, schon gar nicht, was die Zeit ab 2014 und vor dem Krieg angeht, will man sich nicht unterstellen lassen, die russische Seite zu spielen.
Showdown: Wagenknecht als fünfte Kolonne Putins
Aber wie – und warum überhaupt noch – soll man so debattieren? Man müsste an der Stelle attestieren, dass eine offene Debatte in so einem Talkshow-Format nicht mehr möglich ist. Und mit diesen geschilderten Szenen sind gerade erst zwanzig Minuten des Formates vorüber, Kühnert hat immer noch kein einziges Wort gesagt, ebensowenig Frau Marina Owsjannikowa.
Die heute geläuterte russische Staatsfernsehenbedienstete nimmt gegenüber Wagenknecht im weiteren Verlauf der Sendung ebenfalls kein Blatt vor den Mund, wie es beispielsweise der „Focus“ zitiert hat:
„Seit 2014 habe ich das Gefühl, dass Sahra Wagenknecht von Putin bezahlt wird. Weil mit wem sollen wir hier verhandeln? Sie wollen hier verhandeln mit einem Kriegsverbrecher, der das ukrainische Volk ausrottet. Und das eigene Volk ausrottet. Das, was jetzt in der Ukraine stattfindet, ist Völkermord. Putin rottet das ukrainische Volk aus und auch das russische. Deswegen muss man diesen Menschen dem Kriegstribunal überstellen und des Landesverrates beschuldigen. Man muss ihn nach Den Haag schicken. Und Sie vertreten hier Putins Narrative. Und ich persönlich bin jetzt in Lebensgefahr und versuche das zu bekämpfen. Und Sie forcieren seine Narrative und sagen, wir müssen mit ihm verhandeln.“
Hier besinnt sich Lanz, dass er gegenüber Wagenknecht aus den ersten zwanzig Minuten der Sendung was gutzumachen hat, und gibt eine Art Ehrenerklärung für die Gescholtene ab:
„Ich bin mir ganz sicher, dass hier jemand sitzt, der sicher nicht von Putin bezahlt wird. Dafür lege ich meine Hand ins Feuer.“
Der „Tagesspiegel“ verweist in seiner Berichterstattung zur Ukraine darauf, dass die Regierung in Kiew Gespräche mit Putin bereits im September per Dekret ausgeschlossen habe.
Die „Süddeutsche Zeitung“ titelt zum Talkshow-Abend bei Lanz kurz vor der Bezahlschranke die Schlagzeile: „Sahra Wagenknecht bei ‚Markus Lanz‘: Imprägniert gegen die Realität“.
Das ZDF stellte heute früh eine der Kernargumente von Sahra Wagenknecht einer Aufzeichnung der Talkshow in der Mediathek voran:
„Natürlich kann man für Verhandlungen plädieren, ohne in irgendeiner Weise den russischen Angriffskrieg gutzuheißen.“
Die grundsätzlich eher links aufgestellte „Frankfurter Rundschau“ titelt zunächst: „‚Verhandlungen können funktionieren‘: Wagenknecht mit neuer Prognose zum Ukraine-Krieg bei Lanz“. Um dann im Intro gleich so fortzufahren: „Sahra Wagenknecht bekommt bei Markus Lanz erneut eine Plattform geboten und darf sich und ihre Thesen erklären.“
Von „darf“ kann hier allerdings nicht die Rede sein. Die Politikerin wurde wegen ihres Manifestes und wegen der erwartbaren hohen Einschaltquoten eingeladen.
Und wer die Sendung gesehen hat, der hat mitangeschaut, wie Sahra Wagenknecht insbesondere gegen Markus Lanz um jeden Satz ringen musste, ihn wenigstens ansatzweise verständlich zu Ende zu bekommen. Wenn Wagenknecht also, wie die Zeitung sagt, eine Plattform geboten bekommen hat, dann war das an diesem Abend bei Markus Lanz schwer vermintes Feindesland beim öffentlich-rechtlichen Fernsehen.
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