Annäherung in Genf: Russisch-chinesische Option vorerst vom Tisch
Die USA und Russland waren nicht immer erbitterte Gegner. Heute, 80 Jahre nach dem Angriff Nazi-Deutschlands auf die Sowjetunion, müssen sich Amerikaner und Russen vergegenwärtigen, dass sie nur gemeinsam Adolf Hitler zur Strecke bringen konnten.
Das Gipfel-Treffen zwischen Joe Biden und Vladimir Putin stellte sicherlich noch keinen Durchbruch in den bilateralen Beziehungen dar. Von einer echten Entspannungspolitik sind beide Seiten noch weit entfernt. Eine Männerfreundschaft zwischen Biden und Putin ist ausgeschlossen. Aber atmosphärisch brachte der Genfer Gipfel schon einen Erfolg. Amerikaner und Russen konnten auf allerhöchster Ebene über alles Trennende und Gemeinsame in der Weltpolitik drei Stunden lang reden.
Anders als die EU, die gegenüber Russland eine ausschließlich auf die Einhaltung liberaler Werte basierte Politik fährt, beschloss die neue US-Administration von der strikten Menschenrechtslinie auf eine Interessen-basierte Politik umzuschwenken. Biden kritisierte die Menschenrechtsverletzungen in Russland, vor allem den Fall des inhaftierten Kreml-Kritikers Nawalny, kam dann aber auch auf viele konkrete Kooperationsbereiche zu sprechen.
Die USA scheinen Russland nicht mehr als bloße Regionalmacht zu sehen, militärisch respektiert man Moskau inzwischen wieder als ebenbürtig. Die USA ziehen sich aus dem Mittleren Osten zurück – das Vakuum in Afghanistan und im Nahen Osten könnte Russland füllen, was für Washingtoner Strategen tolerierbarer wäre als ein massives Vordringen Chinas.
Einen Krieg gegen Russland wegen der Ukraine zu führen, wird in Washington inzwischen ausgeschlossen. Auch scheint Biden stärker wieder auf Abrüstung mit der zweiten Atommacht Russland zu setzen, er will START-3 verlängern und zum Atomabkommen mit dem Iran zurückkehren. Auch will er bei modernen Waffensystemen nicht nur auf Aufrüstung, sondern auch auf Einschränkungen – in Verhandlungen mit Moskau – setzen.
Die globale US-Strategie zielt auch darauf hinaus, ein Militärbündnis zwischen Moskau und Beijing zu verhindern. Putin hatte vor einem Jahr den Westen vor einem solchen Bündnis gewarnt, sollten Washington und Brüssel ihre massive Sanktionspolitik gegenüber Russland nicht ändern. Nach dem Genfer Gipfel ist die russisch-chinesische Option vorerst vom Tisch.
Washington sieht die Hauptbedrohung seitens Russlands in den vermeintlichen russischen Hacker-Angriffen auf Regierungsbehörden der USA. Putin wird vorgeworfen, US-Wahlen zu manipulieren. Russland weist diese Vorwürfe zurück: sie seien frei erfunden. Die amerikanischen Herrschaftseliten bräuchten ein russisches Feindbild, um von den eigenen inneren Problemen abzulenken. Trotzdem soll es eine Entspannungspolitik im Cyberraum geben. USA und Russland einigten sich auf Konsultationen, in Zukunft vielleicht auf die Installation von gemeinsamen Warnmechanismen in diesem sensiblen Bereich.
Auf separaten Pressekonferenzen in Genf priesen Putin und Biden die Gipfelergebnisse als Erfolg, ohne überschwänglich zu wirken. Die Zeit der totalen Sprachlosigkeit, der Monologe anstelle von Dialogen, der gegenseitigen Beschimpfungen – könnte jetzt tatsächlich dem Versuch einer Kooperation in Bereichen, wo dies möglich erscheint, weichen.
Putin wird in Russland kein Problem haben, seine US-Politik zu ändern, falls er an Entspannung interessiert ist. Er hat keine inneren Widerstände zu befürchten. Biden wird es schwerer haben, denn er muss sich einer inneren Heimatfront von unvereinbaren Russlandgegnern stellen, vor allem im Kongress, die eine Annäherung an Russland stets ablehnen. Diese Washingtoner Hardliner wollen um jeden Preis eine Eindämmung Russlands betreiben, Waffen an die Ukraine liefern und eine Vormachtstellung im Weltraum gewinnen. Die Führungsrolle der USA in der Welt soll unbedingt erhalten und ausgebaut werden.
Für solche Staaten in der EU, die sich für eine Normalisierung der Beziehungen einsetzen, ist das Genfer Treffen positiv gelaufen. Für solche, die eher auf Konfrontation setzen, waren die Ergebnisse nicht zufriedenstellend. Das Genfer Gipfeltreffen wird die Position derjenigen EU-Staaten stärken, die sich für eine Normalisierung der Beziehungen zu Russland und für den Abbau von Sanktionen starkmachen. Diejenigen EU-Staaten, allen voran Großbritannien, die auf eine weitere Eskalationsspirale gegenüber Moskau setzen, dürften den „neuen Geist von Genf“ nicht besonders beklatschen. Tief enttäuscht ist man in der Ukraine; dort hatte man auf mehr Fürsprache Bidens für eine NATO-Mitgliedschaft der Ukraine gehofft.
Ob der Gipfel aber überhaupt in die Annalen der Geschichte eingehen wird, ob er überhaupt einen Erfolg gebracht hat – das wird sich an den praktischen Resultaten nach der Zusammenkunft zeigen. Mit anderen Worten: Wird es echte Abrüstungsgespräche geben? Kommt es zu neuen Abrüstungsverträgen? Werden Cyberattacken gegen staatliche Akteure aufhören? Kommt es zum Fortschritt im Minsker Friedensprozess in der Ukraine? Stoppen die USA ihre Regime-Change-Interventionspolitik? Kommt es zum Ende der Sanktionen?
Das sind die eigentlichen Fragen.
Zum Autor: Prof. Alexander Rahr gilt als einer der erfahrensten Osteuropa-Historiker, er ist Politologe und Publizist. Er ist Senior Fellow des WeltTrends-Instituts für Internationale Politik in Potsdam und Projektleiter beim Deutsch-Russischen Forum.
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