3G demnächst auch für Supermärkte oder Wahllokale?

Professor Dr. Martin Schwab sieht kein schnelles Ende im Prozess um die Soldatenimpfpflicht
Professor Dr. Martin Schwab arbeitet an der Fakultät für Rechtswissenschaft an der Universität Bielefeld.Foto: Stephan Kröker / Epoch Times

Vor der Ministerpräsidentenkonferenz vom 10. August 2021 war spekuliert worden, dass ab Oktober die 3G-Regel auch im Supermarkt oder gar als Voraussetzung für das Betreten von Wahllokalen gelten könnte. Beschlossen wurde dies am Ende nicht. Für Entwarnung ist es aber zu früh. Ein Blick durch die juristische und die politische Brille.

Der juristische Blickwinkel

Im Protokoll der Ministerpräsidentenkonferenz heißt es: „Wer nicht geimpft ist, muss sich absehbar regelmäßig testen lassen, wenn er in Innenräumen mit anderen Menschen zusammentrifft“. Dieser Satz klingt auf den ersten Blick bedrohlich. Denn er erfasst für sich genommen Begegnungen jeglicher Art. Müssen wir also befürchten, dass jene, die weder geimpft noch genesen sind, sich vor jedem Einkauf im Supermarkt oder vor jeder Fahrt mit Bus und Bahn testen lassen müssen? Und zwar bald kostenpflichtig, wie es ebenfalls von den Ministerpräsidenten entschieden wurde? Darf man im Innenraum auch keine Freunde mehr treffen, ohne dass ein Test vorgelegt wird? Muss gar ein Liebespaar, das noch keine gemeinsame Wohnung unterhält, sich gegenseitig nach einem Test fragen?

Und mehr noch: Wie steht es mit Menschen, die in einem gemeinsamen Haushalt leben? Sie begegnen sich regelmäßig in geschlossenen Räumen. Eine Ausnahme ist für sie aktuell nicht in der Regelung vorgesehen. Haben wir also regelmäßige Tests auch in der Familie zu erwarten? Oder in der Studenten-WG? Besonders brisant wird es, wenn wir an die anstehende Bundestagswahl denken. Denn auch dort begegnen sich Menschen in Innenräumen. Also nur mit 3G ins Wahllokal?

Der Beschluss der Ministerpräsidentenkonferenz vom 10. August listet Situationen auf, in denen der Zutritt zu bestimmten Angeboten für nicht genesene oder geimpfte Personen von einem negativen Test abhängig gemacht werden soll.  Demnach brauchen zukünftig alle Personen, die nach gesetzlichen Vorgaben nicht als genesen oder geimpft gelten, einen negativen Corona-Test für:

  • Zugang als Besucherin oder Besucher zu Krankenhäusern, Alten- und Pflegeheimen sowie Einrichtungen der Behindertenhilfe
  • Zugang zur Innengastronomie
  • Teilnahme an Veranstaltungen und Festen (zum Beispiel Informations-, Kultur- oder Sportveranstaltungen) in Innenräumen
  • Inanspruchnahme körpernaher Dienstleistungen (zum Beispiel Friseur, Kosmetik, Körperpflege)
  • Sport im Innenbereich (zum Beispiel in Fitness-Studios, Schwimmbädern oder Sporthallen)
  • Beherbergung: Test bei Anreise und zwei Mal pro Woche während des Aufenthalts

Juristisch betrachtet enthalten die Regelungen keine Formulierungen wie „insbesondere“ oder „vor allem“. So gesehen müsste man davon ausgehen, dass weder die Lebensmittelversorgung noch die öffentliche Personenbeförderung noch gar das gesamte Privatleben für nicht geimpfte Personen von einem flächendeckenden Testzwang übersät werden.

Der politische Blickwinkel

Politisch betrachtet ergibt sich jedoch ein völlig anderes Bild. Bei den Beschlüssen der Ministerpräsidentenkonferenz handelt es sich nämlich um eine politische Absichtserklärung. Die Beschlüsse geben nicht wieder, was gegenwärtig gilt, sondern was in Zukunft gelten soll. Aus dem politischen Blickwinkel stellt sich die Frage, ob es bei den Grundrechtseinschnitten, die am 10. August beschlossen wurden, bleiben wird oder ob wir uns in Zukunft auf noch härtere Beschränkungen unserer bürgerlichen Freiheiten einzustellen haben.

In einer Bundespressekonferenz teilte Regierungssprecher Steffen Seibert auf die Frage, ob nicht genesene Kunden in Zukunft nur noch mit Tests oder Impfung im Supermarkt einkaufen könnten, mit, dass solche Regelungen nicht in der Auflistung der testpflichtigen Situationen enthalten seien. Auch in der Vergangenheit habe jedermann trotz Pandemie immer Zugang zur Basisversorgung gehabt. Daher entbehre die Sorge vor 3G-Regelungen im Supermarkt jeglicher Grundlage. Eine auf die Zukunft gerichtete Frage beantwortete Seibert also mit einem Hinweis auf die Vergangenheit – nach dem Motto: Was wir bisher nicht gemacht haben, machen wir auch künftig nicht.

Das klingt zwar beruhigend, aber ist es das wirklich? Es bleiben Zweifel. Die Sorge, dass Menschen, die weder getestet noch geimpft noch genesen sind, in Zukunft entweder Lieferdienste in Anspruch nehmen müssen oder aber auf Corona-Diät gesetzt werden, wird durch das Umfeld befeuert, in das die Beschlüsse vom 10. August eingebettet sind. Die Impfkampagne hat vieles von ihrem anfänglichen Schwung eingebüßt.

Den Regierungen von Bund und Ländern ist es nicht gelungen, das Vertrauen der Bevölkerung in einem Ausmaß zu gewinnen, das erforderlich gewesen wäre, um Impfbereitschaft auf breiter Fläche einzuwerben. Also versuchen die Politiker, die Menschen unter Druck zu setzen. Zunächst gab es Reisebeschränkungen für jene, die nicht geimpft sind. Derzeit nimmt der Impfdruck im Arbeitsleben und im Bildungswesen massiv zu.

So verstärkt sich an den Universitäten der Trend, den Zugang zu Lehrveranstaltungen und Prüfungen an die 3G-Regel zu binden. Spätestens wenn die Tests kostenpflichtig werden, bedeutet dies de facto: Impfung oder Studienabbruch. In der Logik dieser Entwicklung würde es durchaus liegen, irgendwann auch den Zugang zur Grundversorgung von Tests und Impfungen abhängig zu machen. Die Botschaft: „Was wir bisher nicht gemacht haben, machen wir auch in Zukunft nicht“ hat sich als nicht glaubhaft erwiesen.

Aus diesem Grund ist auch die Sorge nicht ausgeräumt, dass die Ausübung des Wahlrechts oder das Recht, die Stimmauszählung zu beobachten, vom 3G-Status abhängig gemacht wird. Wenn es wirklich so käme, wären alle, die sich weder testen noch impfen lassen möchten, von einem Gang ins Wahllokal ausgeschlossen und auf die Briefwahl angewiesen. Darin läge eine klare Benachteiligung jener Parteien, welche die Corona-Regeln als Ganzes ersatzlos abschaffen möchten. Denn gerade deren Wähler werden Tests und Impfungen am ehesten verweigern und lieber der Wahl fernbleiben. Ob sie sich für eine Briefwahl entscheiden, ist fraglich.

In jedem Fall ist es verfassungswidrig, die Ausübung des Wahlrechts vom 3G-Status abhängig zu machen. Das Grundgesetz schreibt in Artikel 38 Absatz 1 Satz 1 eine allgemeine und gleiche Wahl vor. Es gibt keine Differenzierung nach dem Gesundheitsstatus – und erst recht keine Rechtfertigung dafür, selbst symptomlose Wähler von der Wahl auszuschließen, wenn sie nicht glaubhaft machen, dass sie auch wirklich gesund sind. Das Wahlrecht als demokratisches Ur-Recht steht nicht unter Hygienevorbehalt.

Keine Rechtfertigung für Impfzwang

Aber mehr noch: Die Idee, Menschen, die sich nicht impfen lassen wollen, aus eben diesem Grund von der Ausübung von Freiheiten auszuschließen, ist bereits im Ansatz juristisch haltlos. Die Impfentscheidung ist nämlich rechtlich immer noch als eine freiwillige konzipiert. Ein Mensch darf nur geimpft werden, wenn er in die Impfung einwilligt. Und diese Einwilligung ist nur wirksam, wenn sie nicht unter Druck abgegeben wird.

Ein solcher Druck wird aber aufgebaut, wenn der Zugang zum Lebensmitteleinkauf oder zu Bus und Bahn davon abhängig gemacht wird, dass entweder eine Impfung oder ein kostenpflichtiger Test nachgewiesen wird. Die Befriedigung existenzieller Bedürfnisse wird hier für alle, die sich einen solchen Test nicht leisten können, von einer Impfung abhängig gemacht. Eine so erzwungene Impfeinwilligung ist unwirksam.

Und wenn demnächst die Impfbusse an die Schulen kommen, werden selbst Schüler, die ein Alter erreicht haben, in dem sie ohne Mitwirkung ihrer Eltern in die Impfung einwilligen können, zu einer wirksamen Einwilligung im Klassenverband nicht in der Lage sein. Denn der Gruppenzwang wird für sie unentrinnbar werden: Wer sich nicht impfen lässt, wird rasch als unsolidarisch gebrandmarkt und in der Klasse in eine Außenseiterrolle gedrängt werden.

Schon der Begriff des indirekten Impfzwangs führt in die Irre. Man kann nicht „halb“ freiwillig in die Impfung einwilligen. Einen qualitativen Unterschied zwischen direktem und indirektem Impfzwang gibt es für die juristische Bewertung nicht. Eine Impfung, die dem Impfkandidaten abgepresst werden soll, hat aus Rechtsgründen als Ganzes zu unterbleiben.

Ein Impfzwang ist rechtlich selbst dann nicht belastbar, wenn Notwendigkeit, Wirksamkeit und Sicherheit der Impfung zweifelsfrei belegt sind: Keine Impfung wird jemals zu 100 Prozent sicher sein, und niemandem kann zugemutet werden, im Fremdinteresse ein eigenes gesundheitliches Risiko auf sich zu nehmen.

Bei den COVID-Impfungen liegen die Probleme aber noch tiefer: Impfzwang auf diesem Gebiet verletzt die Würde des Menschen. Denn einem solchen Zwang läge, wenn er Gesetz würde, die menschenunwürdige Annahme, dass der Mensch, allein indem er existiert und ausatmet, eine Gefahr für andere ist, und die ebenso menschenunwürdige Folgerung zugrunde, dass der Mensch gehalten ist, alles zu tun, um diese angebliche Gefahr einzudämmen.

Frei nach René Descartes: Ich bin, also bin ich eine Gefahr. Das Menschenbild des Grundgesetzes ist indes eindeutig ein anderes.

Professor Martin Schwab, Rechtswissenschaftler der Universität Bielefeld. Er ist seit fast 18 Jahren Hochschullehrer und war drei Jahre Dekan des Fachbereichs Rechtswissenschaft an der Freien Universität Berlin.

Dieser Artikel erschien zuerst in der Epoch Times Wochenzeitung Ausgabe 7 vom 28.08.2021.

Dieser Beitrag stellt ausschließlich die Meinung des Verfassers dar. Er muss nicht zwangsläufig die Sichtweise der Epoch Times Deutschland wiedergeben.


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