Schallenbergs Perspektiven: # 6 Welche Marktwirtschaft? Welcher Kapitalismus? Welcher Samariter? 

Unsere soziale Marktwirtschaft mit der Hochschätzung des Unternehmers und seiner Leistungsbereitschaft entspricht dem Menschen als Ebenbild Gottes, begabt mit der Freiheit „sibi et aliis providens“, wie es so herrlich knackig heißt: sich und anderen vorausschauend tätig zu sein.
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Prof. Dr. Peter Schallenberg.Foto: Privat/Epoch Times
Von 17. März 2025

Unmittelbar nach der Bundestagswahl, die Deutschland in zwei Hälften gespalten hat – schwarz wie die Union der Westen und blau wie die AfD der Osten, beides mit wenigen Ausnahmen – und das Land seltsam ratlos zurücklässt (und zurück in die Zukunft einer ungeliebten Großen Koalition katapultiert hat), kann man aus christlicher Sicht über unsere Wirtschaftsordnung nachdenken.

Denn unsere soziale Marktwirtschaft verdankt sich ja wesentlich dem Nachdenken von explizit christlich orientierten Ökonomen der sogenannten Freiburger Schule, die sich schon zwischen den beiden Weltkriegen Gedanken machten über eine gerechte Wirtschaft, und zwar auf der Grundlage des seitdem viel beschworenen christlichen Menschenbildes.

Dieses Bild, was oft vergessen wird, ist ohne ein Bild von Gott nicht denkbar, denn: Der Mensch wird in der jüdisch-christlichen Tradition und nach Aussage des ersten Kapitels des Buches Genesis im Alten Testament gesehen als Abbild Gottes. Das schließt übrigens ausdrücklich an das altägyptische Verständnis des Pharao als „Statue Gottes“, des Sonnengottes an, ein Wissen, das Israel aus Ägypten mitgebracht hatte und im Buch Genesis verarbeitete.

Was zunächst ein philosophischer Taschenspielertrick im Dienst an der Unantastbarkeit des Menschen ist (und von den stoischen Philosophen wie Cicero zum Begriff der Würde weiterverarbeitet wurde, bis zum Artikel 1 unseres Grundgesetzes), erwies sich rasch als ein Segen für das umfassende Verständnis der menschlichen Person als unverwechselbares Individuum: Nicht nur ist jeder Mensch mit Verweis auf seinen unsichtbaren göttlichen Urheber der restlosen Verfügung durch andere Menschen entzogen, sondern zugleich ist jeder Mensch wie sein göttlicher Schöpfer mit Freiheit und Vernunft begabt.

Thomas von Aquin bringt das im Hochmittelalter auf den Punkt: Der Mensch ist „sibi et aliis providens“, sich und anderen vorausschauend tätig, ähnlich wie Gott, nur etwas beschränkter und angefochtener und aggressiver und ängstlicher und fauler. Daher braucht der Mensch – anders als Gott – eine äußere Ordnung, um innere Stabilität zum guten Leben zu finden.

Eine politische Ordnung – Demokratie nennen wir das heutzutage, in Anlehnung an erste Vorüberlegungen der griechischen polis, die sich gegen mancherlei Tyrannen zu wehren hatte – und eine wirtschaftliche Ordnung. Und die nennen wir in den meisten westlichen Demokratien Marktwirtschaft oder sogar „soziale Marktwirtschaft“ und richten sie aus am Vorbild des berühmten barmherzigen Samariters aus dem Lukasevangelium, der als besonders gelungenes Abbild eines gerechten und zugleich barmherzigen Gottes angesehen wird. Zusammen mit seinem Öl und Wein und einem willigen Esel und einem noch willigeren Wirt. Doch der Reihe nach…

Zwei einfache Fragen

In manchen Demonstrationen der letzten Wochen „gegen Rechts“ – auch und gerade in Demonstrationen gegen die CDU und Friedrich Merz – war zu hören oder auf Plakaten zu lesen: „Weg mit der Marktwirtschaft!“ Im Eifer des verblendeten Gefechts scheint manchen schnell ernannten Wächtern gegen einen angeblichen Rechtsextremismus unsere Marktwirtschaft schon lange verdächtig: zu unternehmerfreundlich und zu kapitalorientiert. Daher also zwei einfache Fragen: Welchen Kapitalismus will unsere soziale Marktwirtschaft? Und: Welche Samariter sind die Stützen unserer Wirtschaftsordnung?

Der barmherzige Samariter und die soziale Marktwirtschaft

Beim zweiten begonnen, weil gut biblisch und zutiefst christlich: Der Samariter ist in der berühmten Erzählung Jesu der Mensch, der jenseits seiner Familie und Sippe, jenseits seines eigenen Volkes schlicht und einfach hilft, weil er Mitleid hat mit seinesgleichen, mit dem Menschen. Alle drei vom Evangelisten Lukas angeführten Personen sehen ja den halb toten Mann im Straßengraben: Priester und Levit gehen weiter, der eigentlich nicht mit den Juden verkehrende Samariter hilft. Und zwar effektiv, nicht einfach nur mit guten tröstenden Worten (was schon viel wäre): Er hilft mit Wein und Öl und seinem Esel, und (was oft vergessen wird) mithilfe des Wirtes und seiner Herberge, und schließlich mit zwei Denaren für die Pflege des Mannes durch den Wirt.

Das alles setzt schon ein einigermaßen funktionierendes Gemeinwesen voraus, Geldwirtschaft und stabile Geldwährung, Kreditwürdigkeit des Samariters und Bereitschaft zu Risikokapital beim Wirt. Die Steinzeit ist längst überwunden; es herrscht Handel und Wandel; es gibt eine stabile staatliche Ordnung. So erst wird Hilfe durch Kapital möglich. Freilich, was es auch gibt, sind Straßenräuber, Überfälle, Unsicherheit. Hier fällt der Staat aus und der halb tote Mann ist auf die Hilfe großherziger Menschen angewiesen.

Besser wäre es, wenn gar nicht erst jemand halb tot im Straßengraben zu liegen kommt und der Räuberei ein Ende gemacht wird durch den Staat, und zweitens, wenn der einzelne Samariter zur Institution der Solidarität und Gerechtigkeit gemacht wird. Denn das meint ja Kapitalismus, wie er in der Zeit des noch jungen Franziskanerordens ab dem 15. Jahrhundert in der Toscana allmählich entsteht: Nicht mehr nur einfach auf private Tugenden und Almosen zu vertrauen, sondern öffentliche Einrichtungen der Nächstenliebe zu fördern, die durch Steuern bezahlt werden. Bis hin zur Pflegeversicherung. Stets freilich droht die Austrocknung privater Tugend durch öffentliche Institutionen der Solidarität; das bleibt die Verschattung des hoch entwickelten sozialen Kapitalismus; deswegen braucht es auch und gerade in der Marktwirtschaft im Herzen eines jeden Menschen den kleinen Samariter mit der steten Bereitschaft zur Barmherzigkeit über das Gesetz hinaus.

Wirtschaft ist kein Kaffeekränzchen

Und so wird dann ein kapitalistischer Schuh draus: Unsere soziale Marktwirtschaft appelliert ganz unverblümt und ungeniert seit dem späten Mittelalter, in der man in den Predigten der Franziskaner in der Toscana und in Süddeutschland zunächst vom Kapitalismus sprach und hörte, an Nächstenliebe und Gewinnsucht, an Barmherzigkeit und Profitgier, ja so deutlich muss man es sagen.

Denn eine arbeitsteilige, hochkomplexe Wirtschaft ist kein Kaffeekränzchen und kein Kirchenchor und keine Suppenküche, sondern ein Marktplatz zur Erzielung von Gewinnen. Damit werden Menschen mit unterschiedlichen Talenten auf den Marktplatz gelockt und gewinnen Profit, weil sie Interesse und Lust gewinnen an der Produktivität und am Geschäft. Und daher ist der Marktplatz – lateinisch: das Forum – zugleich das Versprechen, dass mit Hilfe des Gewinnstrebens Arbeitsplätze entstehen und in gerechter Abschöpfung eines Teils der Gewinne Sozialversicherungen möglich sind. Besonders für jene, die nicht (mehr) zu großer materieller Leistung in der Lage sind.

Und deswegen entspricht die soziale Marktwirtschaft mit der Hochschätzung des Unternehmers und seiner Leistungsbereitschaft dem Menschen als Ebenbild Gottes, begabt mit der Freiheit „sibi et aliis providens“, wie es so herrlich knackig heißt: sich und anderen vorausschauend tätig [zu] sein. Eben wie Gott.

Und das Vorausschauen setzt freilich stets voraus, das Zurückschauen auf sich selbst und die eigene Motivation, das Schauen auf den inneren Marktplatz, das forum internum, das notwendig zum forum externum, dem äußeren Marktplatz gehört. Damit die drängende Frage nicht überhört wird: Was nützt es einem Menschen, wenn er alle Schätze der Welt gewonnen, seine Seele aber verloren hätte? Sofern er denn daran glaubt, eine solche zu haben…

Die Kolumne „Glaube & Gewinn“ von Prof. Dr. Peter Schallenberg erscheint einmal im Monat mit dem Fokus auf ökonomische und sozialpolitische Probleme aus christlicher Sicht. 

Über den Autor:

Msgr. Prof. Dr. theol. Peter Schallenberg ist katholischer Priester, Inhaber des Lehrstuhls für Moraltheologie und Ethik an der theologischen Fakultät Paderborn sowie Gastprofessor der Päpstlichen Lateran-Universität in Rom und der theologischen Hochschule Alba Julia in Siebenbürgen. Von 2010 bis 2024 war er Direktor der Katholischen Sozialwissenschaftlichen Zentralstelle (KSZ) in Mönchengladbach. Auf Berufung von Papst Franziskus ist er Konsultor im Dikasterium für die ganzheitliche Entwicklung des Menschen im Vatikan.

Dieser Beitrag stellt ausschließlich die Meinung des Verfassers oder des Interviewpartners dar. Er muss nicht zwangsläufig die Sichtweise der Epoch Times Deutschland wiedergeben.



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