Schallenbergs Perspektiven: # 5 Das zerbrechlichste Ding der Welt

Eine Frage, die durch die Jahrtausende hallt: Ist das Leben Zufall oder Fügung? Hat es ein Ziel – oder ist es nur ein Weg ins Nichts? Für viele Pilger in Rom ist das „Heilige Jahr“ eine erneute Einladung zur Besinnung.
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Prof. Dr. Peter Schallenberg.Foto: privat/Epoch Times
Von 3. Februar 2025

Das neue Jahr ist gerade einen Monat alt, also noch sehr jung. Es ist für Katholiken ein ganz besonderes Jahr, ein sogenanntes „Heiliges Jahr“. Seit Anfang des neuen, des Heiligen Jahres bin ich zum zweiten Teil des Forschungsfreisemesters, nach dem ersten Teil bis Weihnachten in Oxford, jetzt in Rom, im Collegio Teutonico am Campo Santo im Vatikan, noch bis Anfang März.

Auf dem Weg morgens in die Bibliothek der Päpstlichen Universität Gregoriana sehe ich die Pilger durch die Heilige Pforte in den Petersdom ziehen, denn das ist das Ziel aller christlichen Pilger nach Rom: das Petrusgrab im Petersdom.

Eigentlich sind es vier Ziele in Rom, die die Pilger ansteuern: neben dem Petrusgrab im Dom „St. Peter“ auch das Grab des Apostels Paulus in der Basilika „St. Paul vor den Mauern“, die Reliquie des Tisches vom letzten Abendmahl Jesu mit seinen Jüngern in „San Giovanni in Laterano“ und die Reliquie der Krippe Jesu von Betlehem in „Santa Maria Maggiore“.

Alle vier großen Basiliken haben eine Heilige Pforte, durch die man im Heiligen Jahr eben feierlich und besinnlich die Kirche betritt, nicht einfach wie in sonstigen Jahren und bei touristischem Sightseeing hineinstolpert, wie in irgendeine Cafébar.

Nein, christliche Kirchen sind wie die Tempel der Hindus und der Buddhisten, wie auch die Moscheen der Muslime immer heilige Orte, die dem Alltag entzogen sein sollen und die den Blick und den Verstand aus dem Alltag hinauslenken wollen: zum Himmel, zur Ewigkeit oder schlicht zu der Frage: Wozu bist Du auf Erden? Und woher? Durch Zufall und aus Zufall und zur Verwesung? Oder durch Fügung und aus Gottes Willen und zum ewigen Leben bestimmt?

An den Pilgern vorbeigeeilt und in der Bibliothek angekommen, las ich an einem Tag Blaise Pascal, den großen französischen Mathematiker und Philosoph des 17. Jahrhunderts. Schon er kämpfte gegen die gleichgültigen Gottesleugner seiner Zeit mit den Waffen des Geistes.

Er schrieb: „Zwischen uns und dem Himmel, der Hölle oder dem Nichts ist also nur das Leben, das zerbrechlichste Ding der Welt, und da der Himmel gewiss nicht für die ist, welche zweifeln, ob ihre Seele unsterblich ist, so haben sie nur die Hölle oder das Nichts zu erwarten. Nichts ist wahrer als das, nichts schrecklicher. Mögen wir uns so keck stellen, als wir wollen, das ist das Ende, was das schönste Leben der Welt erwartet.“ (Gedanken über die Religion, 2. Teil, 2. Abschnitt).

Besser hat es wohl nie ein Christ auf den Punkt gebracht, worauf es nämlich einzig im Leben ankäme: darüber nachzudenken, ob dieses Leben ein Ziel hat oder nicht. Hat es kein Ziel – dann heidewitzka Herr Kapitän und ran an den fetten Speck der ausgiebigen Verfolgung der eigenen Interessen und Vorteile, solange der Speck noch nicht ranzig geworden ist, und schleunigst und behende das eigene Schäfchen ins Trockene bringen. Und nur keinen Gedanken verschwenden an das große Danach. Himmel, Hölle, nichts.

„Ich will, dass Du bist! Auf ewig!“

Hat das Leben aber ein Ziel, vielleicht sogar von jemandem gesetzt und bestimmt, der das Leben schuf und gab – Gott? –, und nicht einfach ein abruptes Ende, sondern eine Vollendung – dann ändert sich alles. Es ist, als hätte man sich sein Leben lang von sauren Heringen ernährt, um plötzlich festzustellen: Hoppla, nach diesem kurzen Leben kommt ja das ewige Leben und dort gibt es auf ewig nur Frankfurter Kranz zu den Mahlzeiten, und daher käme jetzt alles darauf an, jeden möglichen Geschmacksnerv vom sauren Hering der genügsamen Eigeninteressensvermögensverwaltung und kurzfristigen Zufriedenheitsdividendenausschüttung abzuwenden und sich schrittweise an den noch recht unbekannten und doch irgendwie verheißungsvollen Geschmack von Frankfurter Kranz zu gewöhnen. Ersetzen Sie jetzt Frankfurter Kranz durch das Wort Gott und Sie haben es!

Denn das meint ja Gott mit dem uns anvertrauten Geschenk unseres Lebens: Wir sollen uns auf je eigene und unverwechselbare Weise und durch sehr unterschiedliche Lebenserfahrungen – Fahrt des Lebens hätten die alten Griechen in Erinnerung an Odysseus und seine Irrfahrt zurück von Troja und heim zu seiner treuen Penelope – auf ihn und seinen Geschmack vorbereiten.

Vorbereiten dürfen – in dieser Lebenszeit, deswegen ist das Leben ein verheißungsvolles Geschenk. Dankenswerterweise gibt uns Gott auch noch entscheidende Hinweise konkreter Art, von welcher Art sein Geschmack ist: Hering, Reibekuchen, Rosenkohl, Sauerbraten, Frankfurter Kranz? Nichts von all dem, sondern: Liebe.

Und zwar, so der hl. Augustinus in meisterhafter Zuspitzung, Liebe als der schlichte kleine Satz zu mir und zu jedem Menschen: „Volo ut sis!“ Zu Deutsch: Ich will, dass Du bist! Auf ewig! Das spricht Gott zu uns, dieses Sprechen nennen wir etwas umständlich „unsterbliche Seele“, und diesen Satz sollen wir lebenslang nachsprechen und durch unser Handeln entfalten. Mehr ist nicht verlangt. Eigentlich nicht kompliziert?

Und es hilft, das zerbrechlichste Ding der Welt, unser Leben nämlich, von dem wir nur eines haben und das unendlich – da ist sie wieder, die Ewigkeit! – kostbar ist, durch Liebe zu entfalten und zur Blüte zu bringen. So gelangen wir durch die Pforte des Todes in das ewige Leben bei Gott.

Das war jetzt doch zugegebenermaßen recht elegant, die Abbiegung in die Schlusskurve unserer Überlegungen in Rom im Heiligen Jahr: Wer durch die Heiligen Pforten in Rom hindurchgeht, der denkt an die letzte Pforte am Ende des Lebens, die jeder Mensch durchschreiten muss. Was liegt dahinter: Himmel, Hölle, Nichts?

Das Heilige Jahr stellt uns verschiedene unabweisbare Fragen: Was ist Dir heilig im Leben? Oder wer? Was tust Du dafür, dass es so bleibt oder sogar besser wird? Bringst Du vielleicht sogar Opfer für das Heilige in deinem Leben? Sorgst Du Dich um das zerbrechliche Ding, das dein Leben ist?

Denkst Du daran, dass das Heilige niemals einfach das Nützliche ist – zu pflegende, geliebte Menschen sind oft nicht sehr nützlich, aber ungemein heilig zu halten! – und oft als überflüssig erscheint, weil die Kosten-Nutzen-Analyse des Alltags nichts anzufangen weiß mit dem Heiligen?

In Rom und an jedem Ort der Welt ist Heiliges Jahr, noch ein ganzes Jahr: Gelegenheit zum Nachdenken über saure Heringe und Frankfurter Kranz und das Ziel des Lebens!

Über den Autor:

Msgr. Prof. Dr. theol. Peter Schallenberg ist katholischer Priester, Inhaber des Lehrstuhls für Moraltheologie und Ethik an der theologischen Fakultät Paderborn sowie Gastprofessor der Päpstlichen Lateran-Universität in Rom und der theologischen Hochschule Alba Julia in Siebenbürgen. Von 2010 bis 2024 war er Direktor der katholischen Sozialwissenschaftlichen Zentralstelle (KSZ) in Mönchengladbach. Auf Berufung von Papst Franziskus ist er Konsultor im Dikasterium für die ganzheitliche Entwicklung des Menschen im Vatikan.

Dieser Beitrag stellt ausschließlich die Meinung des Verfassers oder des Interviewpartners dar. Er muss nicht zwangsläufig die Sichtweise der Epoch Times Deutschland wiedergeben.



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