Schallenbergs Perspektiven: # 1 Brotmesser und Kuss

Wir freuen uns, die erste Kolumne von Prof. Dr. Peter Schallenberg (Theologische Fakultät Paderborn) bei Epoch Times veröffentlichen zu können. Die Serie „Glaube und Gewinn – Schallenbergs Perspektiven“ untersucht einmal im Monat ökonomische und sozialpolitische Probleme aus christlicher Sicht.
Titelbild
Prof. Dr. Peter Schallenberg.Foto: privat/Epoch Times
Von 6. Oktober 2024

Tatsächlich gibt es christliche Wirtschafts- und Sozialethik schon sehr lange, mindestens seit dem frühen Mittelalter, politische Ethik noch viel länger. Was eigentlich ist mit Ethik gemeint?

Die Etymologie belehrt uns einigermaßen diffus, die Wurzel des heute in aller Munde und landläufig verwendeten Wortes Ethik sei das Sanskrit-Wort „eto“, was so viel wie Schafspferch bedeutet (meinethalben auch Schafstall für kältere Regionen der Welt …).

Das also ist des Pudels Kern: In der Ethik geht es um den Schutz von sehr verletzlichen Gütern, von Schafen gegen Wölfe, von geliebten Menschen gegen feindselige Neider, von Kindern gegen Gewalt, von Unschuldigen gegen ungerechte Angreifer, kurz: von Liebe gegen Hass, für Bibelkundige: von Abel gegen Kain.

Schutz durch Mauern des Guten und des Gerechten, durch Gesetze und durch Tugend, auch durch Askese, also durch Disziplin und Erziehung.

Es waren dann die Griechen, die aus dieser Wurzel und ursprünglichen Erkenntnis der ganz frühen und sesshaft werdenden Menschen, es brauche Kultur über die aggressive Menschennatur hinaus, eine zweifache Konsequenz zogen – da eben unsere nächsten Verwandten im Tierreich leider nicht die friedliebenden Karpfen oder die sozial empathischen Delfine, sondern die einigermaßen gewaltbereiten Bonobo-Schimpansen sind. (Eine Lektüre des Wikipedia-Artikels „Bonobo“ sei ausdrücklich empfohlen.)

So erfanden die frühen Griechen lange vor Sokrates die zwei Worte èthos und éthos – langes e und kurzes e. Das eine meint so viel wie individueller Charakter, das andere so viel wie Sitte oder Gewohnheit.

Und als Herodot im 5. Jahrhundert vor Christus auf Reisen ging, um die Sitten anderer Völker zu erkunden, da stellte er die entscheidende Frage: Was ist eigentlich wirklich gut, überall auf der Welt und unter allen Völkern und ungeachtet aller unterschiedlicher Gewohnheiten und Menschen? Und wie erkennt man es?

Seitdem ist diese Frage nicht mehr verstummt in der Menschheitsgeschichte und wird dreifach variiert: Was ist politisch (für einen Staat) gut, was ist sozial (für ein Zusammenleben) gut, was ist wirtschaftlich (für Gewinn und das Überleben) gut?

Und schon sehr bald folgen zwei weitere bahnbrechende Entdeckungen der Philosophie: erstens die Entdeckung des Unterschieds zwischen dem bloßen Überleben und dem guten Leben, was den Menschen erst zum Menschen macht: nämlich die Möglichkeit, auf das Überleben zu verzichten, um ein gutes Ziel zu verfolgen (Antigone, Sokrates, Jesus von Nazareth, Stauffenberg, Nelson Mandela).

Und zweitens der Unterschied zwischen dem Herstellen von Dingen (von Brotmessern, von Agent Orange, von Tretminen) und dem Ausdrücken von Tugend (Kuss, Vergebung, Mitleid, kurz: Güte), verbunden mit der dahinterstehenden Frage: Wozu ist das gut, was hergestellt werden kann?

Es ist letztlich der Unterschied zwischen Technik und Ethik. Denn kein Mensch begnügt sich mit der Frage „Wie funktioniert etwas?“, es sei denn, er habe seinen Verstand verloren, ohne dass es jemand bemerkt hat.

Vielmehr will jeder Mensch wissen: „Wozu führt diese oder jene technische Funktion?“ Von der Tretmine bis zum Geld. Und damit sind wir bei der maximalen Länge dieser ersten Kolumne und unverhofft beim Ende angelangt: Beim Staat wie bei der Wirtschaft geht es immer um Gewinn, aber um einen Gewinn an Lebensqualität, in gerechter und guter Weise und im Glauben an das Gute im Menschen, oder wie Thomas von Aquin es nennt: im Glauben daran, dass der Mensch die Freundschaft von Menschen sucht. Und das bringt unzählbaren Gewinn!

Die Kolumne „Glaube und Gewinn“ von Prof. Dr. Peter Schallenberg (Theologische Fakultät Paderborn) erscheint einmal im Monat mit dem Fokus auf ökonomische und sozialpolitische Probleme aus christlicher Sicht.

Über den Autor:

Msgr. Prof. Dr. theol. Peter Schallenberg ist katholischer Priester, Inhaber des Lehrstuhls für Moraltheologie und Ethik an der theologischen Fakultät Paderborn sowie Gastprofessor der Päpstlichen Lateran-Universität in Rom und der theologischen Hochschule Alba Julia in Siebenbürgen. Von 2010 bis 2024 war er Direktor der katholischen Sozialwissenschaftlichen Zentralstelle (KSZ) in Mönchengladbach. Auf Berufung von Papst Franziskus ist er Konsultor im Dikasterium für die ganzheitliche Entwicklung des Menschen im Vatikan.

Dieser Beitrag stellt ausschließlich die Meinung des Verfassers dar. Er muss nicht zwangsläufig die Sichtweise der Epoch Times Deutschland wiedergeben.


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