Jurist: Deshalb ist ein Einreiseverbot von Martin Sellner schwierig
Die „Deutsche Presse-Agentur“ (dpa) bietet ein paar Absätze an, die von einer Reihe öffentlich-rechtlicher und Mainstream-Medien übernommen werden. Thema: Behörden prüfen offenbar Einreiseverbote für den rechten österreichischen Aktivisten Martin Sellner, der im Zusammenhang mit der Correctiv-Affäre „Geheimplan für Deutschland“ überregional Schlagzeilen gemacht hat.
Sachgrundlage für den Bericht von dpa ist ein Kommentar der linken Bundestagsabgeordneten Martina Renner, Sprecherin der Linken für Antifaschismus, die im Bundestagsinnenausschuss sitzt und von dort das Bundesinnenministerium (BMI) zitiert, das gesagt haben soll, dass ein Einreiseverbot für Martin Sellner in die Bundesrepublik in den Blick genommen und geprüft werde.
Außerdem wird CDU-Ausschussmitglied Philipp Amthor zitiert, der sagt, wir sollten in unserer wehrhaften Demokratie generell keine Agitation gegen unsere Verfassungsordnung dulden, insbesondere nicht von ausländischen Extremisten wie Martin Sellner. Amthor halte es für richtig und für notwendig, dass die Sicherheitsbehörden ein Einreiseverbot gegen Martin Sellner ernsthaft prüfen.
Wir sprachen hierüber mit dem bekannten Rechtsanwalt Dirk Schmitz.
Was sagt der Jurist dazu?
Ich halte das für irritierend bis unsinnig. Und zwar deshalb, weil diese Überlegungen populistisch sind und komplett gegen das bestehende Recht verstoßen. Komplett!
1922 verhinderte die bayerische SPD die Ausweisung eines Österreichers. Andere Parteien wollten ihn nicht einreisen lassen. Was hat sich seit Weimar juristisch verändert?
Im Wesentlichen gab es die EU noch nicht. Zum damaligen Zeitpunkt war die Frage der Einreise eine nationalstaatliche Entscheidung. Und zwischenzeitig ist selbst die Einreise von Menschen aus Nicht-EU-Staaten nach Deutschland weitgehend europarechtlich geregelt.
Das erlaubt eine deutsche Behörde nicht, zu definieren, wer alles EU-ausländischer Extremist ist und deshalb nicht ins Land darf.
Zum Vergleich: Es leben zurzeit ungefähr 30.000 ausländische Extremisten in Deutschland, wesentlich türkische. Das sind Mitglieder der PKK, da sind massenweise türkische Rechtsextremisten, unter anderem die „Grauen Wölfe“. Diese besagten 30.000 radikalen Nicht-EU-Bürger hätte man zu einem großen Teil schon lange ausweisen können. Da sind auch Menschen darunter, die in politische Gewalttaten verwickelt sind, zumindest gewaltbereit sind, also keine unter Umständen rechtswidrigen Meinungsäußerer.
Seit Jahren ist diesbezüglich nichts passiert – nichts – und jetzt steht plötzlich Herr Sellner in einer Einreiseverbotsdiskussion. Aber Herr Sellner unterscheidet sich von der PKK – inhaltlich möchte ich dazu nichts sagen – in einer ganz einfachen rechtlichen Frage: Herr Sellner ist EU-Bürger, noch gehört Österreich zur EU, Deutschland auch. Also ist EU-Recht anwendbar, konkret das Freizügigkeitsgesetz.
Und dieses Freizügigkeitsgesetz überlagert nahezu vollständig das deutsche Ordnungs- und Sicherheitsrecht – insbesondere das Einreiserecht, sofern EU-Bürger betroffen sind. Entscheidungen sind komplett gerichtlich – bis zum EuGH – nachprüfbar. Es gibt diverse höchstrichterliche Pro-Reisefreiheitsurteile.
Jetzt heißt es aber in diesem EU-Freizügigkeitsgesetz, dass die Einreise aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit auch einem EU-Bürger verwehrt werden kann.
Zwar steht im Freizügigkeitsgesetz, dass die Nationalstaaten Maßnahmen zur Verhinderung der Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ergreifen können, aber bei der Auslegung durch den EuGH stellt man fest: Das ist ein Papiertiger.
Die Begriffe Sicherheit, Ordnung oder Gesundheit, die in dieser Freizügigkeitsverordnung genannt werden, sind europarechtlich auszulegen, also im Sinne der Artikel 45 und 52 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV). Festzuhalten ist, dass die Begriffe der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit im Sinne des Paragrafen 6 Abs. 1 FreizügG/EU als Ausnahmen EU-rechtlich sehr eng auszulegen sind.
Nach der Rechtsprechung des EuGH muss eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung mit der Gefahr weiterer Rechtsverletzungen vorliegen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt.
Ein möglicher Kernsatz zur Sellner-Diskussion wäre: Eine hinreichend schwere Gefährdung ist jedenfalls dann nicht gegeben, „wenn gegenüber dem gleichen Verhalten, das von eigenen Staatsangehörigen ausgeht, keine Zwangsmaßnahmen oder andere tatsächlich effektive Maßnahmen zur Bekämpfung dieses Verhaltens“ ergriffen werden können, so der EuGH in seiner richtungweisenden Adoui-und-Cournuaille-Entscheidung.
Mit anderen Worten: Was Du Deutschen nicht verbieten kannst, kannst Du auch Sellner nicht verbieten. Und von Rechtsverletzungen war beim Sellner-Auftritt nicht die Rede, es ging um eine politische Nummer. Damit sind Maßnahmen gegen Sellner offensichtlich rechtswidrig.
Wenn also Herr Sellner von seinem Recht der Meinungsäußerung Gebrauch macht, auch als Österreicher, und extremistische Dinge sagt, die nicht unter eine Straftat fallen, darf er das ungehindert.
Meinungsfreiheit ist ein Grundrecht, kein Geschmacksrecht.
Es gibt keine Grenzkontrollen. Man kann eigentlich sowieso niemanden abweisen.
Die deutsche Polizei könnte ihn aber theoretisch bei einer Veranstaltung aufgreifen und bis zur österreichischen Grenze fahren. Man könnte Sellner auch mit Bußgeldern oder gar Haft traktieren. Wenn man ihm vorwirft, rechtswidrig einzureisen, spätestens dann würde eine gerichtliche Prüfung stattfinden.
Allein der Satz: Der deutsche Verfassungsschutz erklärt jemanden als „gesichert extremistisch“ ist in der Sache ungefähr so interessant wie: „In China fällt ein Sack Reis um!“ Juristisch ist das völlig irrelevant.
Aber gab es nicht Einreiseverbote für EU-Bürger bei Fußballspielen aus der Hooligan-Szene?
Es gab Ausreiseverbote. So entschied das Landgericht Frankfurt 2019, dass die Bundesrepublik Deutschland das Recht habe, einem deutschen Fan die Ausreise zu verweigern, wenn dieser in der Vergangenheit im Rahmen von Fußballspielen erhebliche Gewaltdelikte begangen habe, individuell und nachgewiesen.
Nochmals: Eine Einzelperson muss konkret erhebliche Straftaten begangen haben. Im Regelfall Körperverletzung, Sachbeschädigung, die Polizei hat diese aufgegriffen, ein polizeibekannter Hooligan. Das Wort Hooligan beinhaltet ja nicht: Guten Tag, ich habe laut gerufen und das Falsche gesagt, sondern beinhaltet schwerste Straftaten gegen Leib oder gar Leben, und das nachgewiesen.
Es können nicht vorsorglich alle einreisenden Fußballfans an der Grenze mal eben sicherheitshalber festgehalten werden. Es existiert seit langen Jahren ein Hooligan-Register, die Zentrale Informationsstelle Sporteinsätze (ZIS), mit weit über 10.000 Eintragungen. Das ist auch grundsätzlich vernünftig.
Die Diskussion um das Einreiseverbot hat ihren Ursprung in der Gastrednerrolle von Sellner bei einem Treffen in Potsdam – Sellners Thema: „Remigration“.
Nehmen wir das konkrete Ereignis, um das es geht, die sogenannte Wannseekonferenz. Ich überlege mir ernsthaft, ob die Bezeichnung „Wannseekonferenz“ für diese eher intellektuelle Veranstaltung nicht selbst eine Verharmlosung nationalsozialistischen Unrechts im Sinne des Paragrafen 130 Abs. 3 StGB – Volksverhetzung – darstellt. Denn bei der Konferenz am 20. Januar 1942 ging es um die systematische Ermordung von Menschen, den bereits begonnenen Holocaust an den Juden im Detail zu organisieren und die Zusammenarbeit der beteiligten Instanzen zu koordinieren. Wer will das hier behaupten?
Die Konferenz an der Herr Sellner dabei gewesen sein soll: Was ist denn an strafrechtlich Relevantem gesagt worden? Nichts. Das habe ich bislang gelesen, gar nichts. Man hat darüber gesprochen, dass eine Remigration – eine zwangsweise Ausschaffung würde man in der Schweiz sagen – von Menschen, die keinen Aufenthaltsstatus haben, endlich vollzogen werden soll. Das mag politisch streitig sein, ist aber sicher keine Straftat. Das hat jetzt selbst Oberverfassungsschützer Haldenwang offen eingeräumt: Es hat wohl eher im Gebüsch geraschelt.
Die „Deutsche Presse-Agentur“ hat beim Innenministerium nachgefragt. Dort hieß es, zu laufenden Freizügigkeitsrechtsverfahren gegen Einzelpersonen werde grundsätzlich nicht Stellung bezogen. Wonach klingt das für Sie, dass dort schon ein Verfahren gegen Herrn Sellner läuft oder nicht?
Das heißt für mich, die haben vielleicht das gleiche Gesetz und die gleichen Urteile wie ich gelesen und festgestellt: Das ist aber schwierig umzusetzen.
Und die zweite Fragestellung, die hat politisch noch gar keiner begriffen: Wenn ich Herrn Sellner nicht ins Land lasse, weil er rechtsextremistisches Gedankengut verbreitet, was ist, wenn morgen Frau Le Pen nach Deutschland einreist oder Herr Scholz nach Frankreich? Oder ein Kommunist nach Italien oder wie auch immer?
Heißt das, dass wir jetzt an den Grenzen Kontrollen – gegen Schengen – durchführen oder Leute ausweisen, weil sie aus Ampelsicht etwas politisch Inkorrektes gesagt haben?
Das ist nicht automatisch gegen rechts gerichtet, sondern auch gegen links, gegen grüne Politik, gegen Ökologie, gegen Klima-Aktivisten. Das heißt, ich könnte mit diesem Hebel faktisch die politische Reisefreiheit in der EU abschaffen.
Wenn Sie Herrn Sellner vertreten müssten, was würden Sie ihm raten?
Ich würde ihn gerne vertreten, nicht weil ich Herrn Sellner prinzipiell mag, sondern weil ich als Anwalt das Verfahren auf jeden Fall gewinnen werde.
Und warum mögen Sie Herrn Sellner nicht?
Ich kenne Herrn Sellner nicht näher. Ich habe mit Herrn Sellner keinerlei persönlichen Kontakt, weiß nicht, was er genau gesagt haben soll.
Ich weiß aufgrund unseres Interviews, dass Menschen die Meinung von Herrn Sellner nicht mögen. Und das kann für mich als Alt-Liberalem kein Grund sein, jemandem die Einreise zu verweigern.
Sind Sie, was man umgangssprachlich einen „eiskalten Juristen“ nennt? Haben sie kein Verständnis für die Position von Philipp Amthor, der hier die wehrhafte Demokratie schützen will und die Verfassungsordnung?
Überspitzt würde ich sagen, für Philipp Amthor habe ich leider überhaupt keinerlei Verständnis, unabhängig davon, was er modetechnisch gerade sagt.
Danke für das Gespräch!
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