Gewalt gegen Politiker: Von „Angriff auf Demokratie“ bis „Das machen Linke auch“

Spätestens nach dem Anschlag auf Matthias Ecke (SPD) ist Gewalt gegen Politiker zum Wahlkampfthema geworden. Gesprochen von einem „Angriff auf die Demokratie“ wird oft die AfD als Hauptschuldige ausgemacht. Das sehen aber nicht alle so, denn es sind auch explizit AfD-Vertreter von Gewalt betroffen. Eine Spurensuche.
Titelbild
Vor einer Radikalisierung oder schon über die Grenze hinaus? Die Angriffe auf Politiker nehmen zu.Foto: Stadtratte/iStock
Von 23. Mai 2024

Ein dem französischen Philosophen Voltaire in den Mund gelegter Ausspruch lautet: „Ich bin zwar anderer Meinung als Sie, aber ich würde mein Leben dafür geben, dass Sie Ihre Meinung frei aussprechen dürfen.“

Was martialisch klingt, entspricht im Kern der Idee, dass in Demokratien parteiübergreifend das Recht geschützt wird, frei seine Meinung zu sagen und seine politischen Ziele zu verfolgen, ohne dabei Gewalt zu fürchten. Gewalt gegen Politiker ist keineswegs eine Erfindung der Gegenwart. Sie begann nicht mit dem schwerwiegenden Angriff gegen den SPD-Politiker Matthias Ecke.

Bestsellerautorin und Juristin Juli Zeh äußerte sich im Gespräch mit dem ZDF zur aktuellen Debatte um Gewalt gegen Politiker. Für sie sind das keine Angriffe auf die Demokratie, „das sind dann Angriffe auf die Demokratie, wenn wir das sagen“. Und das SPD-Mitglied ergänzte, dass diese Gewalt nicht nur von rechts komme, „das machen Linke auch“.

Abstufung der Angriffe

Zu unterscheiden ist zwischen Angriffen auf das Leben, Körperverletzungen, Beleidigungen und Sachbeschädigungen. Im Juni 2019 wurde der Kasseler Regierungspräsident Dr. Walter Lübcke auf der Terrasse seines Hauses erschossen. Zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik wurde ein Politiker ermordet. Aber schon früher gab es Versuche etwa gegen Oskar Lafontaine und Wolfgang Schäuble, die 1990 Mordanschläge schwerstverletzt überlebten. Schäuble saß anschließend bis zu seinem Lebensende im Rollstuhl.

Der Eierwurf 1991 gegen Kanzler Helmut Kohl in Halle und der Farbbeutelwurf 1999 gegen den Grünen Joschka Fischer sind deshalb aber keine Kavaliersdelikte, sondern Straftaten. Fischer trug Verletzungen am Trommelfell davon. Die Werferin wurde wegen Körperverletzung zu 3.600 DM Geldstrafe verurteilt.

Die Debatte um Gewalt gegen Politiker wurde rund um die schwere Körperverletzung gegen den SPD-Politiker Matthias Ecke neu eröffnet. Ecke war beim Plakatekleben für den EU-Wahlkampf seiner Partei attackiert worden.

Gewalt als „clevere Inszenierung“

Aber auch solche Übergriffe sind kein neues Phänomen. Auch zu den Landtagswahlen im Herbst 2023 fanden gewalttätige Übergriffe gegen AfD-Politiker statt. Allerdings wurden diese teils verbunden mit misstrauischen Schlagzeilen wie „Angriffe auf AfD-Politiker – Da passt manches nicht zusammen“ oder „Sind die aktuellen Ereignisse eine clevere Inszenierung?

Diesen und weiteren Anwürfen nahm die eingangs erwähnte Schriftstellerin Zeh im ZDF-Interview mit einem Satz sprichwörtlich den Wind aus den Segeln: „AfD-Politiker werden genauso angegriffen.“

Das Portal „Übermedien“ des Medienkritikers Stefan Niggemeier liefert die passenden Statistiken, die bestätigen, dass die AfD in Sachen „Angriffe auf Politiker (Gewaltdelikte)“ am häufigsten betroffen ist, während die Grünen mit Abstand am meisten betroffen seien, wenn es insgesamt um Angriffe gegen Politiker geht. Niggemeier ergänzt dazu kritisch:

„Auf der anderen Seite wird die Statistik entsprechend auch dadurch beeinflusst, wie oft mögliche Straftaten angezeigt werden. Wenn die Grünen sich vornehmen, verbale Angriffe nicht mehr zu tolerieren und Beleidigungen konsequenter zur Anzeige zu bringen, kann auch das zu einer deutlichen Zunahme dieser Delikte in der Statistik führen.“ Umgekehrt bedeute das aber nicht, so Niggemeier weiter, „dass die Zahl der Beleidigungen und Bedrohungen von Grünen-Politikern nicht tatsächlich zugenommen hat“.

Wieder Juli Zeh wehrt sich in besagtem Interview gegen eine Verharmlosung von Übergriffen gegen AfD-Politiker. Solche Angriffe seien auch nicht zu legitimieren mit einer „Form moralischer Berechtigung vor dem Hintergrund ihrer eigenen Interessengruppen“.

Für Zeh findet die „Verrohung des Diskurses“ explizit auf beiden Seiten statt. Jeder sei verpflichtet, zu überprüfen, wie er selbst damit umgehe. Es sei an der Zeit, wieder eine Form von Respekt zu finden, „auch wenn man kontrovers ist“.

 Halali – ein Gruß aus der Jägersprache

Auch der Bundestag hatte sich zuletzt auf Antrag der drei Ampelfraktionen in einer aktuellen Stunde über „Bedrohung unserer Demokratie – Gewalt gegen Ehrenamt, Politik und Einsatzkräfte“ an der Debatte beteiligt. Bezugnehmend auf die Worte des damaligen AfD-Chefs Alexander Gauland vor sieben Jahren in Richtung Kanzlerin Merkel, „Wir werden Sie jagen“, betonte SPD-Chef Klingbeil während der aktuellen Stunde: „Wir müssen heute feststellen: Es wird gejagt.“

Auch der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsschutzes und heutige Vorsitzende der Werteunion, Hans-Georg Maaßen, hatte sich zu „Angriffe[n] auf Politiker – Gewalt gegen die Demokratie“ wie folgt geäußert:

„Den Massenmedien ist vorzuwerfen, dass sie mit zweierlei Maß messen, wenn es um die Berichterstattung über Gewalt gegen Politiker geht. Über Gewalttaten gegen nichtlinke Politiker wird regelmäßig nicht oder relativierend berichtet.“

Für Bundesinnenministerin Nancy Faeser war die Gewalt gegen Politiker am 21. Mai ein Thema, als sie gemeinsam mit Holger Münch, dem Präsidenten des Bundeskriminalamtes, die Jahresstatistik 2023 zur politisch motivierten Kriminalität vorstellte. Faeser nahm ebenfalls Bezug auf ihren Parteifreund, das Gewaltopfer Matthias Ecke.

„Ich habe ihn letzte Woche getroffen. Er hat sich nicht einschüchtern, nicht mundtot machen lassen, so wie sehr viele, die aktuell Anfeindungen erleben und stark bleiben, und zwar egal wer, ob von den Grünen, von der SPD oder der AfD. Wir erleben eine Eskalation der politischen Aggression.“

Auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, der ehemalige sozialdemokratische Außenminister, mahnte unlängst die Zunahme von Gewalt gegen Politiker an:

„Ich bin entsetzt über die gewaltsamen Angriffe auf Abgeordnete und Kommunalpolitiker in den vergangenen Tagen. Es ist unerträglich, wenn sie [Politiker] bei ihrer demokratischen Arbeit angegriffen, behindert oder sogar geschlagen und verletzt werden.“

Eine verbale Aufrüstung

Dabei nannte Steinmeier explizit SPD-Genossen und Grüne, aber keine AfD-Politiker. Letztere sind allerdings laut Statistik am häufigsten Opfer politisch motivierter Gewaltdelikte wie Körperverletzung. Der Bundeskanzler äußerte sich ebenfalls. Olaf Scholz erklärte bei einer Veranstaltung des „Redaktionsnetzwerks Deutschland“, Gewalt bedrohe die Demokratie, und deshalb müsse man dagegen zusammenstehen. Dies sei nicht hinnehmbar, und zwar in keinem Fall und egal gegen welche Partei es sich richte.

Der direkt Betroffene Matthias Ecke (SPD), der unter anderem Knochenbrüche im Gesicht erlitten hatte, äußerte sich nach seiner Entlassung aus dem Krankenhaus zu Gewalt gegen Politiker dahingehend, dass es eine nicht zufällig vergiftete Stimmung im Land gebe. Dafür verantwortlich seien politische Akteure der extremen Rechten. Das alles sei eine „organisierte Enthemmung“ und die AfD werde in Sachsen vom Verfassungsschutz als rechtsextrem eingeordnet.

Juli Zeh bittet zum Abschluss des Interviews mit dem ZDF darum, den Tätern nicht mehr Aufmerksamkeit zu geben, als sie verdienten. Diese Delikte seien klar erfassbare Straftaten. Dafür gebe es Paragrafen und „tolle Richter und Richterinnen“, die auch bereit seien, diese anzuwenden.

Dieser Beitrag stellt ausschließlich die Meinung des Verfassers dar. Er muss nicht zwangsläufig die Sichtweise der Epoch Times Deutschland wiedergeben.


Epoch TV
Epoch Vital
Kommentare
Liebe Leser,

vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.

Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.

Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.


Ihre Epoch Times - Redaktion