Geldsystem und Ungleichheit
Viele Menschen machen sich Sorgen über eine steigende Ungleichheit. Besonders in den Vereinigten Staaten von Amerika treibt es überwiegend junge Menschen in regelmäßigen Abständen zu Protesten gegen verschiedene soziale Missstände.
Eine Konstante ist der Protest gegen steigende Ungleichheit, gelegentlich gegen Ungleichheit per se. Aus dieser Proteststimmung heraus entwickelt sich ein politischer Druck, der weiten Teilen des politischen Establishments gar nicht ungelegen kommen dürfte.
Was wird unter Kapitalismus verstanden
Politik lebt von Zwangsumverteilung. Wenn sich die Wahrnehmung verbreitet, dass die herrschende Verteilung von Einkommen und Vermögen über die Bevölkerung ungerecht sei, dann ergibt dies einen willkommenen Vorwand, Steuern zu erhöhen, um dieser vermeintlichen Ungerechtigkeit entgegenzuwirken.
Das Hauptproblem ist, dass die meisten Menschen keine klare Vorstellung über die Gründe der steigenden Ungleichheit haben. In der Regel wird vermutet, dass es sich um eine natürliche Entwicklung der kapitalistischen Wirtschaftsweise handelt. Die Reichen werden reicher. Die Armen werden ärmer. Das Kapital akkumuliert sich in wenigen Händen und die breite Masse wird geschröpft.
Man muss Marx nicht gelesen haben, um diese Weltanschauung zu teilen. Die meisten haben ihn nicht gelesen, und doch glauben sie an die eine oder andere Variante dieses Narratives. Es ist schon fast Folklore.
Es kommt nun aber darauf an, was man unter Kapitalismus versteht. Wenn man damit einfach das aktuelle System meint, in dem wir leben – wer wollte da noch Kapitalist sein? Jeder hat einen Grund, es zu kritisieren, ob man es nun Kapitalismus nennt oder nicht. Der Begriff ist einfach zu unscharf. Aber eines ist klar: Mit freier Marktwirtschaft hat unser System nur sehr wenig zu tun.
Das stärkste Indiz dafür ist, dass der wichtigste Markt unserer Wirtschaft, nämlich der Markt für Geld – das Bindeglied der gesamten Volkswirtschaft – unter der Fuchtel eines staatlichen Monopols steht. Wir leben im Zeitalter der Inflation. Und anhaltende Inflation, wie wir sie seit Jahrzehnten erleben, ist immer und überall ein Phänomen des Staatsinterventionismus. Sie entspringt nicht der freien Marktwirtschaft.
Entwicklung seit der Entkoppelung von Geld an Gold
Schaut man nun aus der Vogelperspektive auf die grobe Entwicklung des internationalen Geldsystems am Beispiel seiner Leitwährung, dem US-Dollar, und legt man demgegenüber die Entwicklung der Einkommensverteilung der amerikanischen Bevölkerung, dann fällt ein erstaunliches Muster auf.
Die obige Grafik fasst das Wesentliche auf einen Blick zusammen: Solange der US-Dollar innerhalb des Bretton-Woods-Systems nach dem Zweiten Weltkrieg an Gold gekoppelt war, hat sich die Ungleichheit in der amerikanischen Einkommensverteilung verringert. Seit der Entkopplung vom Gold im August 1971 durch Präsident Richard Nixon und dem Eintritt in die Hochinflationsphase der 70er- und 80er-Jahre hat sich der Trend umgekehrt. Seither ist die Einkommensungleichheit gestiegen.
Der Anteil des oberen Prozents der Verteilung am Gesamteinkommen der amerikanischen Bevölkerung lag 1971 bei elf Prozent. 2022 hatte sich der Anteil fast verdoppelt und lag bei 21 Prozent. Für die untere Hälfte der Einkommensverteilung gab es eine gegensätzliche Entwicklung. Zwischen 1971 und 2022 ist ihr Einkommensanteil von knapp über 20 Prozent auf knapp über zehn Prozent gesunken.
Richtig Fahrt nahm diese Entwicklung in den 1980er-Jahren auf. In dieser Zeit entkoppelte sich die Vermögenspreis- von der Konsumentenpreisinflation. Während Letztere auf relativ moderate Werte sank, stellte sich eine überproportionale Vermögenspreisinflation ein.
Diese hat nicht überraschend die Einkommen an der Spitze der Einkommensverteilung stimuliert. Diese zeichnet sich dadurch aus, dass sie nicht nur Arbeitseinkommen, sondern vor allem einen großen Anteil an Kapitaleinkommen, zum Beispiel aus Aktienbesitz, bezieht.
Geldschöpfung von ökonomischen Schranken befreit
Wenn die inflationäre Geldpolitik also die Aktienmärkte stimuliert, dann kommt dies überwiegend den Spitzenverdienern zugute. Es gibt eine erstaunlich starke positive Korrelation zwischen dem Aktienindex der New York Stock Exchange und dem Einkommensanteil des oberen Prozents der amerikanischen Bevölkerung.
Natürlich kann steigende Ungleichheit viele Gründe haben, aber wenn man sich über die Verteilung von Einkommen beziehungsweise über die Verteilung von Geld Gedanken macht, sollte man sich zunächst über die Art und Weise der Geldentstehung im Klaren sein. Im modernen Geldsystem basiert die Ausweitung der Geldmenge auf politischen Entscheidungen. Es gibt keine engen ökonomischen Schranken, die der Geldschöpfung auferlegt sind.
Es sollte daher nicht verwundern, dass laufend sehr viel neues Geld in den Wirtschaftskreislauf fließt. Natürlich wird dies die Einkommensverteilung nicht unberührt lassen, denn das neu geschaffene Geld wird höhere Einkommen insbesondere an der Spitze der Verteilung generieren. Die Inflation der Geldmenge verstärkt deshalb die Ungleichheit.
Politik zeichnet sich häufig dadurch aus, dass sie einfache Scheinlösungen für komplexe Probleme anbietet, die sie selbst verursacht hat. So ist es auch bei der inflationsgetriebenen Ungleichheit. Statt das Problem bei der Wurzel zu packen, werden durch weitere politische Interventionen nur die Symptome behandelt.
Fiskalische Umverteilung über höhere Steuern und Sozialleistungen kann die Ungleichheit verringern, aber nur auf Kosten des allgemeinen Wohlstandes. Geht man diesen Weg bis ans Ende, sind wir vielleicht gleicher, aber gewiss nicht reicher.
Dieser Artikel erschien zuerst auf der Webseite „Freiheitsfunken“ unter dem Titel: „Geldsystem und Ungleichheit“
Über den Autor:
Karl-Friedrich Israel studierte Volkswirtschaftslehre, Angewandte Mathematik und Statistik an der Humboldt-Universität zu Berlin, der ENSAE in Paris, und der Universität Oxford. Er wurde in Frankreich an der Université d’Angers promoviert und an der Université Paris 1 Panthéon-Sorbonne im Fach Volkswirtschaftslehre habilitiert. Er ist gegenwärtig Professor für Volkswirtschaftslehre an der Université Catholique de l’Ouest in Angers und vertritt den Lehrstuhl für Nationalökonomie, insbesondere Wirtschaftspolitik, an der Universität des Saarlandes in Saarbrücken.
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