Vera Lengsfeld: Aus dem Tagebuch „30 Jahre Friedliche Revolution“
Achtzehnter Juli 1989
Angesichts der Streiks und Unruhen im Land muss Generalsekretär Gorbatschow auf einer Konferenz der regionalen Parteiführer mit dem KPdSU-Politbüro feststellen, dass die Perestroika, der Umbau der Gesellschaft, nicht mit den tatsächlichen Prozessen im Land Schritt hält. Die Unabhängigkeitsbestrebungen, besonders im Baltikum, werden immer spürbarer. Aber eine Auflösung der Sowjetunion liegt dem Denken der Parteifunktionäre völlig fern.
Das Neue Deutschland berichtet über die Eröffnung des „Studentensommers 1989“ in Berlin. In diesem so genannten „Studentensommer“ müssen alle Studenten für drei Wochen „gesellschaftlich nützliche Arbeit leisten“, in Produktionsbetrieben, in der Landwirtschaft, oder in der Verwaltung. Wer Glück hat, wird zum „Internationalen Studentensommer“ ins sozialistische Ausland geschickt. Ungarn steht in diesem Jahr allerdings nicht auf der Liste der Gastländer. Nach Abbau der Grenzanlagen gilt Ungarn als unsicherer Kantonist. Ein Ort, an den man Studenten mit gefestigter sozialistischer Weltanschauung lieber nicht schickt, um sie nicht in Versuchung zu führen.
Vom Ende einer anderen Versuchung berichtet das ND ebenfalls. Die namibischen Flüchtlinge kehren geschlossen in ihre Heimat zurück. Sie haben alle einen Facharbeiterbrief in der Tasche, aber nicht das Recht, in der DDR bleiben zu dürfen. Auch dann nicht, wenn sie eine feste Bindung mit einer Frau eingegangen sind und ein Kind mit ihr haben. Deshalb hat die freundliche Verabschiedung für manche mehr von einer Abschiebung an sich.
Erschien zuerst auf www.vera-lengsfeld.de
1989: Tagebuch der Friedlichen Revolution
1. Januar bis 31. Dezember 1989
Vera Lengsfeld
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