Krieg in vollem Umfang unwahrscheinlich

Ungarn hat am Montag Israel die Nachricht aus Teheran übermittelt, dass der Iran beabsichtige, Israel anzugreifen. Die USA mutmaßen, dies werde bis Mittwoch geschehen. Nahostexperten in Washington glauben indes nicht, dass es zu einem „Krieg in vollem Umfang“ (full-scale war) zwischen beiden Staaten kommt. Für diese Annahme gebe es Signale aus Teheran.
Netanjahu (vorne) will sich nicht an das Rechtsgutachten halten.
Netanjahu (r.) in militärischer Schutzausrüstung. Für die iranische Regierung in Teheran bedeuten die Tötungen ihrer Staatsgäste vor allem Gesichtsverlust, (Archivbild).Foto: Avi Ohayon/Israel Prime Minister's Office/AP/dpa
Von 7. August 2024

Der israelische Außenminister Israel Katz bestätigte am Montag, der Iran habe Israel mitteilen lassen, er beabsichtige, den jüdischen Staat anzugreifen. Diese Botschaft wurde durch Ungarn übermittelt.

Das ungarische Außenministerium teilte auf seiner Website mit, der amtierende iranische Außenminister Ali Bagheri habe in einem Telefonat mit seinem ungarischen Amtskollegen Péter Szijjártó klargemacht, dass der Iran Israel angreifen werde.

Szijjártó leitete die Nachricht an Katz weiter. Offenbar wurde auch dem slowenischen Außenminister von Bagheri die gleiche Botschaft überbracht, wie der iranische Außenminister laut der staatlichen Nachrichtenagentur „IRNA“ auf dem Onlinedienst X selbst bekannt gab.

Dort beklagte er am Montag „die mangelnde Reaktion des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen und der Europäischen Union auf die Verbrechen des zionistischen Regimes“.

Ungarns überraschende Rolle

Warum nutzt Teheran ausgerechnet Ungarn als Boten seiner Nachricht an Israel? Sicherlich nicht, weil Ungarn derzeit die EU-Ratspräsidentschaft übernommen hat. Vielmehr baute Ungarn seit Beginn der Regierungszeit von Ministerpräsident Viktor Orbán im Jahr 2010 die beidseitigen Beziehungen aus.

So gab es in Budapest Foren für iranische Unternehmen und in Teheran Konferenzen für ungarische Wirtschaftsbosse. Außerdem studieren derzeit laut dem ungarischen Nachrichtenportal „Dailynewshungary“ rund 2.000 iranische Studenten mithilfe ungarischer Stipendien an ungarischen Hochschulen.

Diese seit Jahren gefestigte Beziehung wurde nun als diplomatischer Kanal in den Westen seitens des Mullah-Regimes genutzt.

Iran von Israel vorgeführt

Als Israel vergangene Woche Fuad Schukr, einen hochrangigen Führer der irannahen libanesischen Hisbollah-Miliz im Zentrum von Beiruts Vorort Dahieh eliminierte, befand sich der Getötete in einem der am stärksten gesicherten Bezirke der Stadt.

Kurz darauf wurde Ismail Haniyeh, Leiter des Politbüros der Hamas, ausgeschaltet, während er sich im Iran aufhielt. Bewacht wurde er vom Korps der Islamischen Revolutionsgarde. Mit diesen beiden Aktionen führte Israel sowohl den iranischen Proxy im Libanon vor als auch den Iran selbst.

Der israelische Premier Benjamin Netanjahu verursachte mit diesen Tötungsaktionen vor allem beim Iran einen massiven Gesichtsverlust, der in der islamischen Welt als schlimmer wahrgenommen wird als der Verlust von Menschenleben.

Theoretisch befand sich Haniyeh, als er getötet wurde, am sichersten Ort der Welt. Denn die Sicherheitsmaßnahmen zur Amtseinführung des neuen iranischen Präsidenten, zu der Haniyeh nach Teheran gereist war, waren auf das höchste Niveau hochgefahren.

Indem die Mullahs bei höchster Sicherheitsstufe ihren Gast nicht schützen konnten, wurde vor aller Welt deutlich, dass der iranische Sicherheitsapparat weit hinter den an ihn gestellten Erwartungen zurückbleibt. Damit wurde auch der iranischen Führung klar, dass auch sie nicht zu hundert Prozent vor einem israelischen Angriff sicher sind.

Vielmehr sind die Mullahs sogar darauf angewiesen, dass Israel davor zurückschreckt, sie zu töten. Diese Möglichkeit wäre aber bei einer extremen Eskalation nicht auszuschließen. Dies haben die Führer in Teheran durch Haniyehs Tötung nun verstanden.

Präventivschlag Israels?

Aus Gründen der Gesichtswahrung aber sah sich der Iran förmlich gezwungen, nach dem Angriff auf seinen Staatsgast eine Reaktion anzukündigen.

Israel seinerseits erklärte, dass jede größere Reaktion des Iran und seiner Stellvertreter auf Haniyehs Ermordung eine israelische Reaktion in Form eines umfassenden Krieges an allen Fronten erfordern würde, und dass Israel darauf vorbereitet sei.

Durch israelische und arabische Medien geisterte in den vergangenen Stunden sogar die Annahme, Israel stehe kurz vor einem Präventivschlag gegen Teheran, so wie 1967 im Sechstagekrieg gegen Ägypten.

Pentagon: Keine Vorbereitungen Irans

Der US-Nachrichtensender CNN verbreitete zu Wochenbeginn unter Berufung auf zwei nicht namentlich genannte amerikanische Beamte, für die USA sei es schwer vorherzusagen, wann genau der Iran militärisch gegen Israel zuschlagen werde.

In Washington erwartet man die Racheaktion jedoch in den kommenden Tagen, vielleicht sogar innerhalb der nächsten 24 Stunden. An diese amerikanische Prognose hat sich der Iran bislang nicht gehalten.

Zudem gab ein Pentagon-Sprecher dem arabischen Reporter des britischen Senders „Sky News“ preis, dass noch „keine konkreten Bewegungen im Iran beobachtet“ werden konnten, die auf mögliche Angriffe gegen Israel in den kommenden Stunden hinweisen würden.

Kein großer Krieg, sondern Schlagabtausch?

Wenn man die Situation aus einer strategischen Perspektive betrachte – und nicht aus der Perspektive eines Angriffs und eines Gegenschlags, um das Gesicht zu wahren –, stelle sich laut dem Nahost-Thinktank Al Monitor aus Washington die Frage, ob der Iran und seine Stellvertreter wirklich zu einem umfassenden Krieg mit Israel bereit wären.

„Die kurze Antwort darauf lautet: Nein, das sind sie nicht“, gibt sich Al Monitor selbstsicher, und begründet dies damit, dass seit der sogenannten islamischen Revolution von 1979 die Priorität für den Iran darin bestehe, das eigene Regime zu erhalten.

Nach 45 Jahren an der Macht sähen sich die Mullahs immer wieder internen Aufständen, Anschlägen und Unruhen ausgesetzt. Ein Krieg könne einen Machtzerfall eher beschleunigen als aufhalten.

Das Regime unternehme vielmehr alle Anstrengungen, um nicht mit den USA oder Israel in kriegerische Konfrontation zu geraten. Dies sei zudem einer der Gründe, warum der Iran in der Region Stellvertreter wie die Hisbollah-Milizen aufgebaut habe, gewissermaßen als vorderste Verteidigungslinie, und um sich Zeit zu verschaffen, eine Atombombe zu entwickeln oder ein Abkommen mit Washington zu schließen, das die Sanktionen beendet.

Al Monitor: „Daher ist die Rede von einem umfassenden Krieg oder einer direkten Konfrontation unter Irans Führung nahezu völlig falsch.“ Die Führung in Teheran sei sich bewusst, „dass ein solcher Krieg sehr kostspielig wäre und mit einem Regimewechsel enden könnte“.

Politik der Vorwarnungen

Dass der Iran bei allem Drohgebaren nicht bis zum Äußersten gehen möchte, hat er schon im April bewiesen. Damals hatte Teheran Vergeltung für einen israelischen Luftangriff auf seine Vertretung in Damaskus geübt.

Der Iran wollte damals wie heute in erster Linie sein Gesicht wahren. Deshalb informierte er vorab Israel und die Amerikaner. Dies ermöglichte den Abschuss aller iranischen Raketen und Drohnen im Anflug auf Israel.

Der jetzige Anruf des iranischen Außenministers Ali Bagheri bei seinem ungarischen Amtskollegen scheint eine Parallele zur iranischen Aktion im April darzustellen. Der Iran warnt Israel vor, in der Hoffnung, dass möglichst wenig oder kein Schaden in Israel entsteht und der israelische Premier Benjamin Netanjahu seine Gegenreaktion in Grenzen hält.

Problem namens Netanjahu

In Netanjahus Person liegt die eigentliche Unwägbarkeit des Konflikts. Seitdem bekannt ist, dass ihm nach Beendigung des Gaza-Krieges ein Strafprozess droht, der ihn ins Gefängnis bringen könnte, scheint Netanjahu alles zu tun, um die Kriegshandlungen hinauszuzögern.

Insofern käme ihm eine Eskalation des Irans aus rein persönlichen Gründen sehr gelegen. Das ist auch in Teheran bekannt, wie iranischen Medien zu entnehmen ist. Deshalb bleibt immer noch fraglich, ob der Iran Netanjahu diesen Gefallen wirklich tun will.

Symbolpolitik Teherans

Der Iran wird am heutigen Mittwoch bei einem Dringlichkeitstreffen mit Außenministern der Organisation für Islamische Zusammenarbeit (OIC) in Dschidda, Saudi-Arabien, seine Argumente für den Angriff vorbringen und versuchen, diplomatische Unterstützung zu gewinnen.

Dieser Schritt dürfte jedoch reine Symbolpolitik Teherans sein, denn eine breite arabische Unterstützung des Schiitenstaates in seiner Angriffsrhetorik gegen Israel ist aufgrund der religiösen und ethnischen Spaltung zwischen Arabern und Persern unwahrscheinlich. Zudem profitiert kein einziger arabischer Staat von einem „full scale war“ in der Region.

Über den Autor:

Tom Goeller ist Journalist, Amerikanist und Politologe. Als Korrespondent hat er in Washington, D.C. und in Berlin gearbeitet, unter anderem für die amerikanische Hauptstadtzeitung „The Washington Times“. Seit April 2024 schreibt er unter anderem für die Epoch Times.

Dieser Beitrag stellt ausschließlich die Meinung des Verfassers dar. Er muss nicht zwangsläufig die Sichtweise der Epoch Times Deutschland wiedergeben.


Epoch TV
Epoch Vital
Kommentare
Liebe Leser,

vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.

Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.

Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.


Ihre Epoch Times - Redaktion