Ein Volksaufstand geht um die Welt

Ohne Rücksicht auf Verluste werden ideologische Ziele durchgesetzt – Landwirte und Fischer in den Niederlanden wollen das nicht hinnehmen. Ein Kommentar.
Bauern in den Niederlanden
Umweltgruppen zwangen die niederländische Regierung 2019 zur Beschleunigung der Emissionsziele. Das brachte schon damals Bauern auf die Straße.Foto: ROBIN VAN LONKHUIJSEN/ANP/AFP via Getty Images
Von 15. Juli 2022

Ein Volksaufstand des Mittelstandes gegen die Herrschenden und ihre Werte ist im Gange – und er geht um die Welt. Der Widerstand der Mittel- und Unterschichten gegen das, was Rob Henderson als „Luxusglauben“ der Führungskräfte bezeichnete, wächst, da die normalen Menschen erkennen, welchen Schaden sie und die Gesellschaft dadurch erleiden.

Erste Anzeichen dafür gab es im vergangenen Februar, als in Kanada die Freedom-Trucker, die Lkw-Fahrer, gegen eine „Laptop-Klasse“ protestierten, die immer restriktivere Corona-Maßnahmen forderte. Ein weiteres Anzeichen war der Sieg des Gouverneurs von Virginia, Glenn Youngkin, der im Wahlkampf für mehr Elternrechte in der Bildung pochte und sowohl in den Vorstädten als auch in den ländlichen Gebieten gewann.

Man kann es auch an der wachsenden Unterstützung hispanischer Wähler für die Republikanische Partei sehen, die sich zunehmend als Anti-Woke und Pro-Arbeiterklasse bezeichnen. Und jetzt erleben wir die jüngste Ausprägung in den Niederlanden in Form der Bauernproteste gegen neue Umweltvorschriften, die die Landwirte ruinieren werden.

Neue Stickstoffgrenzwerte zwingen Bauern zum Aufgeben

Über 30.000 niederländische Bauern erhoben sich aus Protest gegen die Regierung. Diese hatte ihnen neue Stickstoffgrenzwerte auferlegt: Sie müssen ihre Stickstoffemissionen in den nächsten acht Jahren radikal um bis zu 70 Prozent senken. Dafür müssten die Landwirte weniger Dünger verwenden und sogar ihren Tierbestand verkleinern.

Während große Landwirtschaftsbetriebe hypothetisch in der Lage sind, diese Ziele zu erreichen und auf stickstoffreduzierte Düngemittel umzustellen, ist dies für kleinere, oft familiengeführte Betriebe unmöglich. Die neuen Umweltvorschriften sind so extrem, dass sie viele zum Aufgeben zwingen würden – auch solche, deren Familien seit drei oder vier Generationen Landwirtschaft betreiben.

Aus Protest blockierten die Bauern Straßen und weigerten sich, ihre Produkte an Supermarktketten zu liefern. Dies führte zu ernsthaften Engpässen bei Eiern, Milch und anderen Lebensmitteln.

Doch die Auswirkungen werden weltumspannend sein. Die Niederlande sind nach den Vereinigten Staaten der zweitgrößte Agrarexporteur der Welt, was das Land mit seinen knapp 17 Millionen Einwohnern zu einer Lebensmittel-Supermacht macht.  Dies betrifft jedoch nicht nur den Export von Lebensmitteln, sondern auch das Know-how in der Produktion. Es gibt kaum ein Land auf der Welt, welches so ertragreiche Ernten wie die Niederlande vorweisen kann, weil dort mit großem Aufwand und Hightech, mit minimalen Mitteln ein Maximum produziert wird. Dieses Wissen wird durch die enge Kooperation der unternehmungstüchtigen holländischen Farmer mit Forschungseinrichtungen wie Wagingen Universität ermöglicht. In nahezu jeder Hinsicht ist der niederländische Agrarsektor ein Vorbild für die Welt, was das Vorgehen der Regierung in Amsterdam noch unverständlicher macht.

Angesichts der weltweiten Nahrungsmittelknappheit und der steigenden Preise war die Rolle der niederländischen Bauern in der globalen Nahrungsmittelkette noch nie so wichtig wie heute. Doch wer glaubt, die niederländische Regierung würde dies berücksichtigen und dafür sorgen, dass die Menschen Essen auf den Tisch bringen können, der irrt.

Als sie vor die Wahl gestellt wurde, sich zwischen Ernährungssicherheit und Maßnahmen gegen den „Klimawandel“ zu entscheiden, entschied sich die niederländische Regierung für Letzteres.

Besonders frustrierend ist, dass die Regierung genau weiß, dass das, was sie von den Landwirten verlangt, viele von ihnen in den Ruin treiben wird. Ursprünglich hatte die Regierung geplant, langsamer vorzugehen – bis eine Klage von Umweltgruppen im Jahr 2019 eine Beschleunigung des Zeitplans erzwang.

Die Reaktion der Mitglieder des Agrarsektors ist massiv und hält seit 2019 an. Der Ausbruch der Corona-Pandemie erlaubte es der Regierung von Ministerpräsident Mark Rutte jedoch, die Proteste in den Jahren 2020 und 2021 zu verbieten.

Mit dem Wiederaufflammen der Demonstrationen in diesem Jahr wurde das Vorgehen der Behörden auch aggressiver. Es kam zu Verhaftungen und sogar zu Warnschüssen der Polizei auf Bauern, wobei ein Schuss einen 16-jährigen Demonstranten fast tötete.

Allerdings haben die Niederländer weniger Verständnis für ihre Regierung, sondern mehr für ihre Landwirte.

Aktuellen Umfragen zufolge würde die Bauernpartei, die erst vor drei Jahren als Reaktion auf die neuen Vorschriften gegründet wurde, satte 11 Sitze im Parlament erringen, wenn heute Wahlen stattfinden würden (derzeit hat sie nur einen Sitz).

Ferner schloss sich die niederländische Fischergewerkschaft öffentlich den Protesten an und blockierte Häfen, wobei Fischer Schilder mit der Aufschrift „Eendracht maakt Kracht“ (Einigkeit macht stark) trugen.

Doch während das niederländische Volk auf der Seite der Landwirte steht, verhält sich die herrschende Klasse in den Niederlanden ähnlich wie die in Kanada und den USA, und zwar nicht nur die der Regierung. Die Medien weigern sich, gar über die Proteste zu berichten – und wenn sie es doch tun, stellen sie die Bauern als Extremisten hin.

Ideologische Klimapolitik führt zur Verelendung

Warum diese Diskrepanz? Alle zuverlässigen Umfragen in europäischen Redaktionen von Deutschland bis zu den Niederlanden zeigen, dass der Klimawandel für Journalisten ein viel wichtigeres Thema ist als für die normale Bevölkerung.

Es ist nicht so, dass die Durchschnittsbürger sich nicht für den Klimawandel interessieren – doch dank ihres gesunden Menschenverstands wissen sie, dass die Zerstörung ihres Bauernhofs, damit die Emissionsziele der Regierung im Jahr 2030 statt 2035 erreicht werden können, das Klima des Planeten nicht wandeln wird.

Schließlich sind die Niederlande nur für 0,46 Prozent der weltweiten CO₂-Emissionen verantwortlich. Eine weitere Reduzierung mag zwar erstrebenswert sein, ist aber für die Bekämpfung des Klimawandels in den nächsten acht Jahren nicht entscheidend.

Das mag zwar dafür sorgen, dass sich die Herrschenden des Landes gut fühlen. Es wird aber auch dazu führen, dass der Lebensstandard für einen großen Teil der Bevölkerung sinkt und ihre wirtschaftliche Existenz aus ideologischen Gründen zum Angriffsziel des Staates wird.

Im Westen herrscht derzeit ein Unbehagen, da ideologische Ziele auf Kosten der Mittelschicht verfolgt werden. Ob es sich um Trucker in Kanada, Landwirte in den Niederlanden oder Öl- und Gasunternehmen in den USA handelt, die Ideologie und nicht die Wissenschaft oder fundierte Beweise bestimmen das Geschehen. Das stellt zwar die Herrschenden zufrieden, führt aber gleichzeitig auch zur Verelendung der Menschen im Land.

Letztlich besteht die Gefahr, dass die Klimapolitik Europa das antut, was der Marxismus Lateinamerika angetan hatte: Ein Kontinent, der alle Voraussetzungen für breiten Wohlstand und eine gesunde Umwelt erfüllt, verarmt und treibt sich aus ideologischen Gründen selbst in den Ruin.

Am Ende werden sowohl die Menschen als auch das Klima schlechter dran sein.

Ralph Schöllhammer ist Politologe und Assistenzprofessor für Wirtschafts- und Politikwissenschaften an der Privatuniversität Webster University Vienna. Er schreibt regelmäßig für solche Medien wie „Newsweek“, „The Wall Street Journal“, „The Jerusalem Post“ und „UnHerd“.

Dieser Artikel erschien im Original auf Newsweek unter dem Titel: A Popular Uprising Against the Elites Has Gone Global (deutsche Bearbeitung von as/ks)

Dieser Artikel erschien zuerst in der Epoch Times Wochenzeitung, Ausgabe Nr. 53, vom 16. Juli 2022.

Dieser Beitrag stellt ausschließlich die Meinung des Verfassers dar. Er muss nicht zwangsläufig die Sichtweise der Epoch Times Deutschland wiedergeben.


Epoch TV
Epoch Vital
Kommentare
Liebe Leser,

vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.

Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.

Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.


Ihre Epoch Times - Redaktion