Ein Übel für die Bevölkerung – Professor Polleit über Inflation
Das Wort „Inflation“ fällt dieser Tage zwar häufig, aber nicht immer ist ganz klar, was damit eigentlich gemeint ist. Einzelne Güterpreise können mitunter stark ansteigen – wie derzeit beispielsweise die Preise für Öl und Gas oder Baumaterialien –, doch das ist für sich genommen noch keine Inflation. Um Inflation handelt es sich dann – genauer sollte man von „Güterpreisinflation“ sprechen –, wenn die Preise der Güter auf breiter Front und auch fortgesetzt in die Höhe steigen. Und das geschieht mittlerweile überall.
In den Vereinigten Staaten von Amerika stiegen im Oktober 2021 die Konsumgüterpreise um 6,2 Prozent gegenüber dem Vorjahr, im Euroraum um 4,1 Prozent. In Deutschland, so die Deutsche Bundesbank, werde die Konsumgüterpreisinflation im November vermutlich fast 6 Prozent betragen.
Doch das ist nur die halbe Wahrheit. Die Preise auf den Vermögensmärkten – also den Märkten für Aktien, Anleihe, Häuser und Grundstücke – inflationieren ebenfalls sehr stark. So stiegen im August 2021 die US-amerikanischen Häuserpreise um 19,9 Prozent gegenüber dem Vorjahr. In Deutschland stiegen die Hauspreise im September 2021 um 13,3 Prozent.
Wie kann es zur Güterpreisinflation kommen? In der ökonomischen Lehre unterscheidet man üblicherweise zwischen zwei Erklärungen. Zum einen spricht man von angebots- und oder nachfragegetriebener Güterpreisinflation. Das ist dann der Fall, wenn das Güterangebot knapp ist, die Nachfrage also das Angebot übersteigt und als Folge die Güterpreise anziehen – weil Unternehmen ihre erhöhten Kosten auf die Preise überwälzen und/oder die Güterpreise knappheitsbedingt ansteigen.
„Geldmengeninflation“
Zum anderen gibt es die monetäre Erklärung der Preisinflation. Ihr zufolge ist die Güterpreisinflation Folge einer übermäßigen Geldmengenausweitung, also einer „Geldmengeninflation“.
Beide Erklärungen der Inflation stehen sich jedoch nicht unvereinbar gegenüber. Zwar ist eine anhaltende Güterpreisinflation ohne eine unterliegende Geldmengeninflation kaum denkbar, jedoch können Angebotsknappheit und Nachfrageüberhang in den Gütermärkten durchaus eine Güterpreisinflation auslösen, wenn die Zentralbank das Geldangebot übermäßig ausgeweitet hat.
Genau das ist aktuell weltweit der Fall. So hat die EZB die Geldmenge M3 seit Anfang 2020 um fast 18 Prozent ausgeweitet, um die Folgen des politisch diktierten Lockdowns zu bewältigen. Über die Geldmengen steuern die Zentralbanken ihre geldpolitischen Ziele.
In den USA hat die US-Zentralbank die Geldmenge sogar um 36 Prozent ausgeweitet. Nicht viel anders sieht es in vielen anderen Ländern aus. Die immer noch anhaltende Beschädigung der internationalen Lieferketten ist so gesehen der Nährboden, auf dem sich der „Geldmengenüberhang“ in steigender Güterpreisinflation entladen kann.
Schweigen und Vertuschen
Die Zentralbanken und Politiker sind bestrebt, den wahren Grund der Güterpreisinflation vor den Augen der Öffentlichkeit zu verbergen, die Schuld von sich zu weisen. Vielmehr beschuldigen sie zum Beispiel steigende Ölpreise, Lieferengpässe, geringe Produktivität, Wechselkursabwertungen und anderes mehr – Faktoren also, die außerhalb ihrer Verantwortung stehen.
Dass sie selbst jedoch die Geldmenge zu stark ausgeweitet haben, darüber breiten sie den Mantel des Schweigens. Die elektronische Notenpresse wird nahezu unsichtbar angeworfen, da ja das meiste Geld in Form von Giralgeld ausgegeben wird und nicht in Form von Banknoten.
Für die Öffentlichkeit ist es nicht immer einfach, den Bezug zwischen steigenden Güterpreisen und Geldmengenvermehrung zu erkennen. Beispielsweise wirkt die Geldmengenausweitung häufig erst mit einer langen Zeitverzögerung auf die Güterpreise. Oder die statistischen Preisindizes fangen die Folgen der Geldmengenausweitung nur unzureichend ein.
So hat es in den letzten Jahrzehnten eine fulminante Vermögenspreisinflation (in den Aktien- und Häusermärkten) gegeben, die aber in den offiziellen Zahlen nicht sichtbar wurde.
Das Prinzip „Wasserrohrbruch“
Im Grunde kann man sich jedoch die Wirkung, die die Ausweitung der Geldmenge in der Volkswirtschaft hat, wie einen Wasserrohrbruch im Haus vorstellen.
Zunächst bekommt man gar nicht mit, dass das Rohr gebrochen ist. Dann jedoch, nach einer gewissen Zeit, beginnt es in der einen Zimmerecke feucht zu werden, nachfolgend zeigt sich die Nässe großflächig, weitet sich auf andere Zimmer aus, und schließlich ist das ganze Gebäude durchtränkt. Ganz ähnlich sorgt eine Ausweitung der Geldmengen über die Zeit für höhere Güterpreise.
Zwar wollen die Zentralbanken und Politiker der Öffentlichkeit derzeit den Eindruck vermitteln, dass die Preisinflation keine Preisinflation ist, dass es sich nur um einen vorübergehenden „Buckel“ handelt, der bald wieder verschwinden wird.
Doch zeichnet die bereits erfolgte Geldmengeninflation ein anderes Bild: Die Geldmengeninflation trägt dazu bei, macht es erst möglich, dass die Güterpreise auf breiter Front in die Höhe klettern. Und leider ist die Befürchtung nicht von der Hand zu weisen, dass das Inflationsproblem noch größer wird.
Staatsschulden sinken, Lebensstandard auch
Es scheint sich ein stillschweigender Konsens herausgebildet zu haben, dass Wachstum und Beschäftigung Vorrang vor allen anderen Zielen haben, auch vor dem Ziel, die Güterpreisinflation niedrig zu halten. Politisch gesehen ist das in einer Zeit besonders verlockend, in der die allgemeine Verschuldung, vor allem auch die der Staaten, gewaltige Höhen erreicht hat. Eine „etwas höhere“ Güterpreisinflation scheint ein probates Mittel zu sein, sich der lästigen Schuldenlasten zumindest teilweise zu entledigen.
Für die breite Bevölkerung ist Güterpreisinflation ein Übel. Steigende Güterpreise reduzieren den Lebensstandard: Man bekommt weniger für sein Geld, muss länger arbeiten, um die gleiche Gütermenge kaufen zu können. Die Güterpreisinflation sorgt zudem für Verbitterung, bringt die Menschen gegeneinander auf, weil sie für Gewinner und Verlierer sorgt:
Die Güterpreisinflation macht einige reich und viele arm. Und nicht zuletzt schädigt Güterpreisinflation, vor allem wenn sie hoch ausfällt, auch Wachstum und Beschäftigung.
Die Erfahrung zeigt, dass sich die Preisinflation politisch nicht systematisch und kontrolliert einsetzen lässt. Früher oder später verpufft das Vertrauen der Menschen in das Geld.
Es ist daher besser, den Tatsachen so schnell wie möglich ins Auge zu sehen: Dass nämlich die aktuellen Güterpreissteigerungen nicht vorübergehen, sondern „echte Inflation“ repräsentieren, und dass der Ausstieg aus der Politik der extremen Niedrigzins- und Geldmengenvermehrung erfolgen muss. Je früher, desto besser.
Je länger er hinausgezögert wird, desto schwerwiegender werden die Inflationsschäden ausfallen, und desto höher werden die Anpassungskosten sein, um die Inflation zu beenden.
Prof. Dr. Thorsten Polleit ist Chefvolkswirt und Ökonom bei der Degussa. Hier weitere Informationen: Degussa-Goldhandel.de Dieser Artikel erschien zuerst in der Epoch Times Wochenzeitung, Ausgabe Nr. 20, vom 27. November 2021.
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