Die STIKO in Bedrängnis – Wie unabhängig ist das Gremium?
Politiker und andere Institutionen wie der Deutsche Ethikrat haben das Ansehen der STIKO demontiert und die Unabhängigkeit dieses Gremiums zu Grabe getragen – und die derzeitigen STIKO-Mitglieder haben sich daran beteiligt.
Die STIKO ist ein unabhängiges Gremium. Wer allerdings glaubt, dass die Mitglieder dieses Gremiums nun aktuell unabhängig entschieden haben, der glaubt auch daran, dass Zitronenfalter Zitronen falten.
Leider verfällt die Politik seit einigen Monaten dem Irrglauben, dass die Wissenschaft der Politik folgen müsse – nicht umgekehrt. Und so haben verschiedene Politiker bereits Anfang August 2021 die Impfung ab 12 Jahren beworben, ohne dabei auf die neueste Empfehlung der Impfkommission zu warten. Die STIKO ist umgefallen.
Die inhaltliche Begründung für die neueste Empfehlung ist nach meiner Meinung wenig überzeugend. Vor allem auch deshalb, weil ein Mitglied der Kommission bereits im Vorfeld der Entscheidung mitteilte, dass man nun der Politik ein Stück weit entgegenkommen werde. Solche Äußerungen sind unklug und sollten nicht getätigt werden.
Natürlich sind Empfehlungsänderungen in der Medizin keine große Neuigkeit. Die Umstände, die dazu führen, aber schon.
- Die STIKO führt also als mögliche Nebenwirkung der Impfung Herzmuskelentzündungen an, besser gesagt, deren Behandlungsmöglichkeit. Da die Mehrzahl der betroffenen Patienten (bevorzugt junge männliche) bei entsprechender Versorgung einen unkomplizierten Verlauf hätten, nimmt – nach meinem Empfinden – die STIKO diese Nebenwirkung in Kauf, mit dem Argument, dass Ärzte eine Herzmuskelentzündung behandeln können. Diese Argumentation ist natürlich schief. Warum sollte sich auch nur ein Kind diesem Risiko aussetzen? Wird ein Kind geimpft, dann setzt diese Spritze auch gleichzeitig das Risiko dieser Nebenwirkung. Vielleicht aber hatte dieses Kind bereits die Infektion asymptomatisch überwunden. In diesem Fall würde man dem Kind ein erneutes Risiko zumuten. Wurde nicht auch bei COVID-Erkrankungen in seltenen Fällen eine Herzbeteiligung beschrieben? Warum sollte man diese schlechter behandeln können? Und was ist generell mit Langzeitfolgen einer Herzmuskelentzündung? Ist mit Langzeitfolgen einer Herzmuskelentzündung nach Impfung nicht zu rechnen? Warum sollte eine Herzmuskelentzündung, die nach einer Impfung auftreten kann, besser behandelbar sein als eine, die durch die Erkrankung auftreten kann? Hier hält sich die STIKO doch sehr vage.
- Weiterhin führt die STIKO ein mathematisches Modell an, das – unter Berücksichtigung der dominierenden Delta-Variante – nun für Kinder und Jugendliche ein deutlich höheres Risiko einer Infektion mit SARS-CoV-2 berechnet. Hierzu zwei Punkte: Derart wichtige Empfehlungen aufgrund von mathematischen Modellen abzugeben, halte ich für nicht richtig. Vor allem, weil wir wissen, dass bisher noch keines dieser Modelle in der Pandemie wirklich zutreffend war. Weiterhin muss man sich fragen, welche Auswirkungen es hätte, sollten sich wirklich mehr Kinder infizieren. Bisher verlaufen die allermeisten Infektionen bei Kindern mild ab oder werden erst gar nicht bemerkt. Die STIKO führt ebenfalls in ihrer Stellungnahme aus, dass es unsicher ist, ob und wie häufig Long COVID bei Kindern und Jugendlichen auftritt. Long COVID kann also nicht die Begründung dieser Entscheidung sein.
- Zudem zielt die Empfehlung noch auf den direkten Schutz der geimpften Kinder und Jugendlichen ab und die damit assoziierten psychosozialen Folgeschäden. Welche Schäden sind damit gemeint? Soll eine Impfung nun vor sozialer Ausgrenzung und Schulschließungen schützen? Das ist nicht die Aufgabe einer Impfung. Eine Impfung ist eine medizinische Maßnahme, die in erster Linie eine schwere Erkrankung verhindern soll.
Die Politik und der Deutsche Ethikrat haben die Mitglieder der STIKO bedrängt. Ein für mich unglaublicher Vorgang, der aber sehr gut verdeutlicht, wie wir in Zukunft leben werden – wenn wir uns das weiter gefallen lassen. Leider waren die Mitglieder nicht mehr stark genug, dem entgegenzutreten. Deshalb sollten sie geschlossen zurücktreten.
Ich als Arzt möchte betonten, dass diese neueste Empfehlung keine Verpflichtung für Ärzte darstellt. Sehr sicher wird die Politik diese Empfehlung nutzen, um weiter Druck zu machen. Es liegt an uns allen, diesem Druck nicht nachzugeben.
Dr. Friedrich Pürner ist Facharzt und Epidemiologe. Nach Kritik an den Corona-Maßnahmen wurde er seines Postens als Leiter des Gesundheitsamts im bayerischen Aichach-Friedberg enthoben. In seinem Buch „Diagnose: Pan(ik)demie – Das kranke Gesundheitssystem“ gibt der Experte mit langjähriger Berufserfahrung einen umfassenden Einblick in die Zeit, in der ein Virus das Leben der Menschen auf den Kopf stellt.
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