Der Sozialstaat zerstört sich selbst

Der Wohlfahrtsstaat ruft viele der Probleme, die er bekämpfen will, erst hervor. Doch letztlich dient Sozialpolitik den Parteien als Mittel im Wahlkampf. Ein Kommentar.
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Traditionelles Familienleben ist selten geworden – je mehr soziale Unterstützung es gibt, desto schneller schwindet der Familienzusammenhalt.Foto: iStock
Von 28. August 2022

Sozialpolitik in allen ihren Varianten dient keineswegs hauptsächlich dem Volkswohl, sondern ist ein Instrument der Politik, das eingesetzt wird, um die Loyalität der Massen zu gewinnen.

Im Kampf um die Macht suchen sich die politischen Parteien mit immer neuen Entwürfen zu „sozialer Sicherung“ und „Hilfen“ gegenseitig zu überbieten. Mit der einen Hand wird durch Steuern und Abgaben genommen, was mit lautstarker Propaganda dann verteilt wird, wobei aber nur ein Bruchteil wieder zurückfließt.

Ausweitung der Sozialpolitik

Sozialpolitik ist im politischen Spektrum weder „links“ noch „rechts“ angesiedelt, sondern dient den Parteien quer durch das politische Spektrum, um im Wahlkampf zu punkten. Mit der Einführung der „dynamischen Rente“ 1957 hat der damals amtierende Bundeskanzler Konrad Adenauer erfolgreich seine Wiederwahl vorbereitet.

Keine der später folgenden Regierungen hat es je anders versucht. So wurden im Laufe der Zeit immer mehr sozialpolitische Maßnahmen in die Wege geleitet, sodass inzwischen die sozialpolitische Agenda in alle Lebensbereiche eingedrungen ist. Inzwischen betrifft die Sozialpolitik nicht nur die Arbeiterklasse, sondern die gesamte Bevölkerung – von der Wiege bis zur Bahre.

Diese Absicht lag bereits der Politik von Otto von Bismarck zugrunde. Als der „eiserne Kanzler“ in Deutschland 1883 die gesetzliche Krankenversicherung und 1889 die gesetzliche Rente einführte, wollte er der Sozialdemokratie den Wind aus den Segeln nehmen und die Arbeiterschaft für sein Projekt der deutschen Einheit gewinnen. Sozialpolitik war Nationalpolitik. In der modernen Demokratie mit allgemeinem Wahlrecht ist Sozialpolitik Wahlkampfpolitik geworden. Sie dient als Instrument des Stimmenkaufes.

In der einen oder anderen Weise ist heute jeder in den Sozialstaat einbezogen – sei es über die gesetzliche Kranken- und Rentenversicherung, über die Arbeitslosenversicherung und die betriebliche Unfallversicherung oder durch die in den Neunzigerjahren eingeführte Pflegefallversicherung. Darüber hinaus gibt es Familienförderung und Kindergeld und schließlich die diversen Formen der Sozialhilfe und die immer größer werdende Zahl von Sonderleistungen.

Der moderne Wohlfahrtsstaat ist die hauptsächliche Triebkraft für steigende Staatsausgaben und treibt die Staatsverschuldung an. Sozialausgaben stellen den größten Posten des Bundeshaushalts dar.

Inzwischen umfassen die gesamten Staatsausgaben über 51 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Im vergangenen Jahr wurden für Soziales mehr als eine Billion Euro ausgegeben. Mit mehr als der Hälfte aller Staatsausgaben übertreffen die Sozialausgaben die als notwendig bezeichneten öffentlichen Ausgaben für die Infrastruktur um ein Vielfaches.

Verfehlte Reformpolitik

Trotz der immensen Expansion des Sozialstaates haben die gesellschaftlichen Problemlagen nicht abgenommen. Nicht nur für die Bundesrepublik Deutschland, auch für andere europäische Länder und vor allem für die Vereinigten Staaten konnte man immer wieder feststellen, wie die diversen sozialpolitischen Pläne die sozialen Notlagen verstärken, die Politik und Staat zu beheben vorgeben.

Ursprünglich wurde die staatliche Sozialpolitik für eine Gesellschaft konzipiert, in der es Familienhilfe vor der Staatshilfe gab – und Sozialhilfe noch mit einem Stigma versehen war. Dies hat sich inzwischen geändert. Die traditionellen Familienverbände haben sich – nicht zuletzt aufgrund der staatlichen Sozialpolitik – immer mehr aufgelöst und die staatliche Unterstützung wird für die Empfänger als selbstverständlich angesehen. Wer sie nicht ausnutzt, gilt als dumm.

Folge der ausufernden Sozialpolitik ist, dass die Staatshaushalte von einem Defizit ins andere stolpern. Politiker erringen mit den passenden Parolen den Wahlsieg. Sie werden abgewählt, nachdem es den Wählern dämmert, dass diese Politiker, wenn sie an der Regierung sind, nicht das liefern können, was sie im Wahlkampf versprochen haben. Dann kommt der nächste Anlauf und wieder endet alles wie gewohnt.

Höhere Staatsausgaben machen Menschen ärmer

Der Wohlfahrtsstaat besitzt eine widersprüchliche Struktur. Hinter der versprochenen Hilfe liegt die Bevormundung. Wohlstand, richtig verstanden, verlangt nicht die Ausdehnung des Wohlfahrtsstaats, sondern seinen Abbau.

Gefordert ist die Einsicht, dass die sozialen Notlagen, die heute so lebhaft beklagt werden, in einem Umfeld auftreten, das durch eine massive Ausgabenflut für „soziale Zwecke“ gekennzeichnet ist. Mehr staatliche Ausgaben führen zu mehr Steuern und Abgaben und machen die Menschen schon dadurch ärmer. Dessen ungeachtet schiebt man in Politik und Medien die Ursachen für die soziale Not dem Kapitalismus in die Schuhe, einem Kapitalismus, der in diesem Sinn gar nicht existiert.

Das System ist in der bisherigen Gestalt nicht finanzierbar. Die Sozialbeiträge (einschließlich des Arbeitgeberanteils, der ja Lohnbestandteil ist) haben schon in den 90er-Jahren 40 Prozent der Bruttoeinkommen erreicht. Die hohe Belastung mit Sozialabgaben lässt es für die meisten Arbeitnehmer kaum noch zu, ausreichend selbst Kapitalerträge abwerfendes Eigentum zu erwerben. Die Altersarmut steigt und die Einzahler von heute sind die Betrogenen von morgen. Eine schrumpfende Gruppe von Aktiven muss immer mehr Inaktive versorgen.

Das System der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung ist selbstzerstörerisch. Die Gestaltung des Rentensystems zwingt ein junges Ehepaar zu problematischen Entscheidungen. Sollen sie Nachwuchs aufziehen und somit nicht nur die Kosten der Kindererziehung tragen, sondern darüber hinaus auch auf ein Gehalt und die damit verbundene spätere Rente verzichten? Oder wollen sie keine Kinder, damit beide weiterhin Einkommen beziehen und auch noch Rentenansprüche für beide Ehepartner erwerben? Eine Folge ist die bekannte Geburtenschwäche; die Alterslast steigt.

Für die Finanzierung der Renten reichen die Beiträge nicht mehr aus. In den kommenden Jahrzehnten wird das Auseinanderklaffen der Jugend- und Altenquotienten dramatische Ausmaße annehmen. Immer weniger Jüngere müssen für immer mehr Ältere aufkommen. Am Beispiel des Systems der gesetzlichen Rentenversicherung wird deutlich, dass sich der Sozialstaat selbst zerstört. Der Wohlfahrtsstaat frisst seine Kinder und Enkelkinder.

Sozialpolitik ist zerstörerisch

Interventionismus als staatlicher Eingriff in die Marktwirtschaft zielt darauf ab, dass die Wirtschaftssubjekte ihr Einkommen und Vermögen nicht nach eigenem Willen ausgeben, sondern nach dem Willen der jeweiligen Staatsführung. Interventionismus bedeutet staatliche Wirtschaftslenkung und pervertiert den Kapitalismus zum Staatskapitalismus. Die staatlichen Eingriffe schwächen die Leistungskraft der Wirtschaft. Das Dauerfeuer der Interventionen in die ökonomischen Vorgänge führt zuerst zur Konfusion und dann dazu, dass die volkswirtschaftliche Dynamik erlahmt.

Der Interventionismus kennt kein Ende: Er funktioniert nach dem Prinzip, dass der Staatseingriff das Übel, das vermeintlich beseitigt werden soll, selbst hervorbringt und weitere schädliche Nebenwirkungen noch dazu.

Dies gilt auch für den Wohlfahrtsstaat, der viele der gesellschaftlichen Problemlagen, die er angeblich bekämpfen will, erst hervorruft: Je großzügiger Sozialhilfe ausgebaut wird, desto mehr Sozialhilfeempfänger wird es geben. Wenn die Belastung mit Sozialabgaben steigt, blüht die Schattenwirtschaft. Mit der Zunahme des Steuerzugriffs kommt es zur Steuerflucht und Steuervermeidung. Je umfassender der Zugang zu staatlichen Gesundheitsleistungen, desto mehr Kranke gibt es und desto höher ist der Verbrauch an Heilmitteln.

Im Verlauf der vergangenen Jahrzehnte ist die Rate des Wirtschaftswachstums und damit die Quelle des Wohlstands geringer geworden. Die wirtschaftliche Dynamik hat nachgelassen und die Steigerungsrate der Produktivität sinkt.

Der Sozialstaat schafft nicht allgemeine Wohlfahrt, sondern produziert Unwirtschaftlichkeit, Unübersichtlichkeit und Verdrossenheit.

Selbst höchstrangige Fachleute können die Sozialgesetzgebung nicht mehr überblicken. Wird eine Maßnahme beschlossen, kann kein Regierungsbeamter oder Minister angeben, worin genau ihre Wirkung besteht und wie hoch die Nettokosten oder Nettovorteile sind. Die wissenschaftlichen Gutachten angeblicher Regierungsberater sind wertlos. Erstens, weil auch die Experten nicht über einen vollständigen Überblick verfügen und zweitens, weil sie sich mit abweichenden Urteilen von vornherein die Chance verbauen, überhaupt gehört zu werden.

Ausweg: Wirtschaftspolitik ändern

Zur wirtschaftlichen Stagnation kommt es nicht aufgrund der vermeintlichen Grenzen des Wachstums, sondern wegen einer falschen Wirtschaftspolitik. Die Ursache dafür, dass sich der wirtschaftliche Fortschritt verlangsamt, besteht in zu viel Staatsaktivität, in zu hoher Steuer- und Abgabenbelastung, in zu vielen Reglementierungen und in den Irritationen, die von der Geldpolitik ausgehen.

Hier ist Abhilfe zu schaffen, wenn man den Wohlstand erhalten und schaffen will. Der Weg aus der Krise besteht darin, die private Initiative zu stärken. Weniger Steuern und Abgaben und weniger Reglementierungen sind dazu die ersten Schritte.

Über den Autor:

Dr. Antony P. Mueller ist habilitierter Wirtschaftswissenschaftler der Universität Erlangen-Nürnberg und Professor für Volkswirtschaftslehre an der brasilianischen Bundesuniversität UFS (www.ufs.br). Vor Kurzem erschien sein Buch „Kapitalismus, Sozialismus und Anarchie: Chancen einer Gesellschaftsordnung jenseits von Staat und Politik“.

 

Dieser Beitrag stellt ausschließlich die Meinung des Verfassers dar. Er muss nicht zwangsläufig die Sichtweise der Epoch Times Deutschland wiedergeben.


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